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Karla Imdahl, Schülerreporterin der "Paralympics Zeitung".

© Thilo Rückeis

Paralympics-Tagebuch (7): Endstation Syrien

Wäre es möglich, ein Mitglied des syrischen Teams zu interviewen, fragte sich unsere Schülerreporterin bei der Eröffnungsfeier. Der Anfang war auch überraschend einfach.

29. August 2012. Eröffnungsfeier der Paralympics in London. Ich stand auf der Tribüne und sah dem Einmarsch der Nationen zu. Wir näherten uns dem Ende, es kamen der Surinam, Schweden und die Schweiz. Als Nächstes folgte Syrien. Als die Gewichtheberin Rasha Alshikh mit der Flagge an meiner Tribüne vorbeirollte, schoss mir ein Gedanke durch den Kopf, mit dem ich schon seit Monaten gespielt hatte: Wäre es möglich, ein Mitglied des syrischen Teams zu interviewen? Im gleichen Moment beugte sich ein dänischer Journalist zu mir rüber und meinte in bestem Deutsch: "So ein Syrieninterview, wäre das nichts für dich?" Ich schaute ihn vollkommen perplex an und musste zugeben, dass mir gerade genau dasselbe durch den Kopf gegangen war. "Versuch, dir die Flaggenträgerin abzugreifen. Das wird bestimmt spannend!"

Was vorher nur eine fixe Idee war, zeichnete sich nun mehr und mehr als mein persönlicher Traum ab. Dass ich von ihnen kein Statement zur politischen Lage in Syrien bekommen würde, war mir klar. Die Teilnehmenden waren wahrscheinlich sowieso regimetreu. Doch das Thema Behindertensport in Syrien stellte ich mir genauso interessant vor. Wie hatten es die Athleten geschafft, parallel zum Bürgerkrieg die Energie aufzubringen für ein internationales Sportevent der Superlative zu trainieren?

Mein Teamkollege Nico war auch gleich von der Idee begeistert und versprach mir zu helfen. Wir begannen also, die Mitglieder des syrischen Teams zu recherchieren, Sportarten und Startzeiten zusammen zu suchen. Auch kontaktierte ich das syrische NPC und den Pressesprecher der syrischen Mannschaft.

Zwei Tage später war es soweit: Rasha Alshikh hatte ihren ersten und einzigen Auftritt beim Gewichtheben. Dass ich bis dahin weder eine Antwort vom syrischen NPC noch vom Pressesprecher bekommen hatte, verdrängte ich.

Die Syrierin und ihren Trainer Amar nach dem Wettkampf in der Mixed Zone aufzugabeln, erwies sich als überraschend einfach. Mir war gesagt worden, dass beide kein Englisch sprechen, ein Dolmetscher stand mir aber sofort zur Seite. Farid hörte sich mein Anliegen an und war sofort angetan. "Ich finde es fantastisch, dass sich junge Leute für Behindertensport in Ländern wie Syrien interessieren und nicht nur für die Superstars in der Leichathletik." Nach einem fünften Platz für Rasha war ihr Trainer gut gelaunt und stimmte einem Interview sofort zu. Einzige Bedingung: Es dürfe nicht um politische Dinge gehen, über Sport wären sie aber sofort bereit zu reden. Damit hatte ich ja gerechnet. Jetzt stand nur noch ein vergleichsweise nichtiges Problem meinem lang ersehnten Interview im Weg. Wo sollten wir uns treffen? Ins Paralympische Dorf kam Farid nicht rein, die Athleten durften nur in die ExCel Arena wenn sie Wettkämpfe hatten. Wir diskutierten hin und her, kamen aber zu keinem wirklichen Ergebnis. Also tauschten wir Handynummern aus und verabredeten uns für den nächsten Tag. Amar gab mir noch einmal die Hand und grinste mich an, dann schob er seinen Schützling davon. Kaum dass ich aus der Mixed Zone war, rief ich Annette Kögel an. "Annette, Annette, ich hab die Syrer!" Ich war vollkommen aus dem Häuschen.

Bildergalerie: Die Schülerreporter bei den Paralympics 2012

Das Lächeln verging mir schon am nächsten Tag. Um 11 Uhr morgens rief ich Farid an. Wieder überlegten wir eine ganze Weile und einigten uns endlich, uns am Bahnhof Stratford International zu treffen. Farid versprach, den Trainer zu informieren und mich danach zurückzurufen. Eine Stunde später rief er an. "Karla, ich erreiche ihn nicht. Ich habe es alle fünf Minuten versucht, er geht einfach nicht an sein Telefon. Ruf mich in einer Stunde nochmal an, ja?" Eine Stunde sitzen, warten, recherchieren, hoffen. In dieser Stunde lernte ich, den Begriff "Syrien" besser nicht zu oft zu googeln. Die Schreckensmeldungen häuften sich. Ich begann mich zu fragen, wie ich überhaupt eine Syrerin interviewen sollte, ohne das Thema "Politik" zu streifen? Wie gefährlich war das ganze Unterfangen, weniger für mich als für die Athletin und ihren Trainer, die ich da hineingezogen hatte?

Doch die Entscheidung, wie ich das Interview am besten führen sollte, wurde mir schon wenige Minuten später abgenommen. Um 13:10 klingelte mein Handy. "Ich hab ihn erreicht." war das Erste was der Dolmetscher zu mir sagte. Um dann im nächsten Satz alle Hoffnungen zu zerstören. "Ein Delegierter aus Syrien hat sich eingeschaltet. Wir dürfen kein Interview machen." – "Gar nicht?" fragte ich mutlos. "Gar nicht. Da ist nichts zu machen." Der Algerier klang genauso enttäuscht wie ich mich fühlte. Er redete sich richtig in Rage. "Das wäre eine großartige Möglichkeit für Syrien, sich mal in einem guten Licht zu präsentieren. Aber sie wissen einfach nicht, was gut für sie ist."

Seine Worte überraschten mich und verstärkten gleichzeitig meine Frustration. All das passte so ausgezeichnet zu dem Regime, von dem man immer in der Zeitung las! Mit Aktionen wie diesen schneidet sich die Regierung um Bashar al Assad ins eigene Fleisch. Sie scheinen zu vergessen, dass sie im Moment Jeden gebrauchen können, der der Welt etwas Gutes über Syrien erzählt. Doch das sind Momente, wo sich Journalismus der Politik beugen muss, so grausam und korrupt sie auch sein mag. Presse- und Meinungsfreiheit verabschieden sich mit einem Handkuss. Dass davon in Syrien selber nicht mehr viel übrig ist wussten wir auch schon vorher. Doch dass Sportler nun nicht einmal mehr das Recht bekommen, sich zu ihren Leistungen zu äußern, ist alarmierend. Dabei wäre die Botschaft der Paralympics so wichtig für die Menschen in Syrien: Gebt niemals auf. Man kann alles schaffen. Selbst als syrischer Athlet mit Behinderung am zweitgrößten Sportfest der Erde teilnehmen.

Vielleicht war es blauäugig von mir zu denken, ein Interview mit einer Syrerin könnte so einfach arrangiert werden. Immerhin haben es schon viele vor mir versucht und sind gescheitert. Ich habe wenigstens den Trost, dass die beiden mit mir reden wollten. Und das werte ich als gutes Zeichen.

Karla Imdahl

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