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Zu viel versprochen. Es ist schwer, am „selber schuld“ beim Elfmeter von Pellè vorbeizukommen.

© AFP

Peinlich statt Panenka: Warum uns Pellès verschossener Elfer gut tut

Im Elfmeterschießen gegen Italien macht Graziano Pellè die Welle. Und scheitert kläglich. Das streichelt unser Gerechtigkeitsempfinden.

Eine der Merkwürdigkeiten des Fußballs ist ja diese: Am Anfang geht alles viel zu langsam. Und am Ende viel zu schnell. Jede der 120 Minuten gegen Italien wollte einem weismachen, dass gleich etwas passiert. Wie im Krimi, wenn sich das Opfer zu später Stunde entschließt, doch nochmal mit dem Hund rauszugehen. Nur ist am Samstag erstmal nicht so furchtbar viel passiert. Am Ende dafür umso mehr. Und was sich im Elfmeterschießen ereignete, hätte als Erzählstoff für zwanzig Spiele gereicht. Eine Geschichte für sich ist zum Beispiel das Duell zwischen Italiens Stürmer Graziano Pellè und Deutschlands Torwart Manuel Neuer. Bevor Pellès Beine zum Elfmeter anliefen und sein Fuß den Ball bearbeitete, ließ er seine Hände sprechen. Er schaute Neuer an, zeigte aufs Tor und ließ seine Hand eine Welle machen. In der Fußballsprache steht diese Geste für den Panenka, die coolste aller Arten, einen Elfmeter zu verwandeln. Antonin Panenka hatte die Tschechoslowakei im EM-Finale 1976 so zum Sieg gegen die deutsche Mannschaft geschossen. Er lief an, und während Sepp Maier schon in eine Ecke flog, lupfte Panenka den Ball in Zeitlupentempo ins Tor.

Die lässigste Reminiszenz an Panenkas Lässigkeit vollführte Andrea Pirlo im EM-Viertelfinale 2012 gegen England. Englands Torwart Joe Hart sprang wild vor ihm herum, Pirlo machte ein paar Schritte und als Hart schon fast in der Ecke lag, chippte Pirlo den Ball ins Tor.

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An Pirlo hat Pellè vielleicht auch gedacht, als er mit seiner Zeichensprache auf Neuer einredete. Neuer sprang weiter auf und ab und sah nicht so aus, als würde ihn Pellès Hinweis sonderlich interessieren.

Nach seiner Geste, nach der schauspielernden Ankündigung, es werde etwas ganz Großes folgen, nämlich ein sensationeller Panenka, schoss Pellè den Ball – neben das Tor. Es war nicht mal ein Schuss, eher ein Schüsschen, und wenn er den Ball auf die Abmessungen des Tors gebracht hätte, dann wäre ohnehin Neuer mit seinen Händen zur Stelle gewesen, um diesen armseligen Versuch zu bestrafen.

Für gewöhnlich breitet sich beim Sieger eines Elfmeterschießens hinterher Mitleid aus mit den Unterlegenen. Weil es die knappste, glücklichste Art des Weiterkommens ist. Weil es ihn genauso hätte treffen können. Aber diesmal? War im Einzelfall Pellè auch bisschen Schadenfreude dabei. Vor allem aber war sein Fehlschuss ein Streichler für das Gerechtigkeitsempfinden. Der letzte Athlet, dem man noch durchgehen ließ, riesige Dinge anzukündigen, ja den die Welt sogar dafür bewundert hat, ist gerade gestorben, Muhammad Ali. Ansonsten gilt für die wahren Champions, dass ihre Leistung umso bedeutender, umso wertvoller wird, je würdevoller sie mit sich und dem Gegner umgehen.

Andrea Pirlo machte keine Welle wie Pellè. Als er getroffen hatte wie einst Panenka, drehte er einfach um und lief zu seinen Mitspielern.

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