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Per Ciljan Skjelbred, 26, ist kurz vor Ende der Transferperiode vom HSV zu Hertha BSC gewechselt. Er ist bis zum Saisonende ausgeliehen. Der Norweger ist bisher 27-mal in der Bundesliga zum Einsatz gekommen und hat 19 Länderspiele bestritten.

© Ottmar Winter

Per Skjelbred im Interview: "Man fühlt sich wie ein Gladiator"

Per Skjelbred spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über seinen Wechsel zu Hertha BSC, frühe Erinnerungen ans Olympiastadion und seine Casting-Erfahrungen.

Herr Skjelbred, Thorsten Fink ist diese Woche beim HSV entlassen worden ist. Sind Sie zu früh aus Hamburg weggegangen?

Ich verstehe, dass Sie danach fragen, weil in Hamburg gerade ein bisschen Chaos herrscht. Aber ich möchte dazu nichts sagen. In diesem Augenblick ist der HSV für mich nicht wichtig. Ich bin jetzt in Berlin, nur das zählt für mich.

Empfinden Sie das als Glück?

Ja, so ist das. Ich finde, dass ich ein guter Fußballer bin. Und ich möchte endlich jede Woche spielen, um mein bestes Niveau zu erreichen. Für mich ist Hertha eine große Chance und Berlin ein schönes Abenteuer. Unsere Freunde in Norwegen sagen: Das ist Wahnsinn, du spielst für die Hauptstadtmannschaft.

Wie viele Freunde haben denn schon ihren Besuch in Berlin angekündigt?

Viele! Das ist doch klar. Berlin liegt im Zentrum der Aufmerksamkeit. Das ist einfach eine geile Stadt, und dass ich jetzt hier Fußball spiele, ist für viele eine gute Gelegenheit, Berlin mal zu besuchen. Für junge Menschen ist die Stadt mit das Beste, was es gibt. Berlin ist offen für alles, hier sind so viele Menschen aus aller Welt unterwegs, hier ist immer Action.

Haben Sie sich schon einen Eindruck von der Stadt verschafft?

Meine Frau und ich haben mit dem Bus eine Sightseeing-Tour gemacht. Ein bisschen haben wir gesehen: das Kanzlerhaus, die Museen, die Reste der Mauer. Wenn wir mehr Zeit haben, werden wir tiefer eintauchen. Aber jetzt suchen wir erst einmal ein Haus und einen Kindergarten für unsere beiden Kinder.

Sie ziehen mit der Familie um, obwohl Sie nur bis zum Saisonende ausgeliehen sind?

Ich bin ein Familienmensch, deshalb kommt meine Familie mit nach Berlin. Pendeln geht nicht. Der Umzug bedeutet zwar viel Arbeit, aber die Kinder sind noch jung. Wir schaffen das.

Wenn Sie Pech haben, müssen Sie in einem Jahr schon wieder weg aus Berlin.

Kann sein, aber wir wollen ein gemeinsames Leben führen. Meine Kinder brauchen einen Papa, ich brauche sie. Und meine Frau freut sich auch. Sie war noch nie in Berlin, wollte immer schon hier hin. Jetzt kann sie sogar hier leben. Und die Frau ist der Chef im Haus.

Vor kurzem haben Sie erzählt, dass Sie als Schüler mal in Berlin waren?

Das stimmt. Wir haben das Konzentrationslager in Sachsenhausen besucht und bei der Gelegenheit einen Abstecher nach Berlin gemacht. Es war nur ein Tag. Aber Berlin war die erste richtige Stadt, die ich in meinem Leben gesehen habe. Ich komme aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Trondheim. Für mich war alles riesig. Dass ein Sportkaufhaus über drei Etagen geht – Wahnsinn! Wir sind auch am Olympiastadion vorbeigefahren.

Nur vorbeigefahren? Von innen ist es noch beeindruckender.

Das finde ich nicht. Wenn man auf das Stadion zufährt, spürt man sofort die Historie. Die Architektur, der Stein – so was findest du nirgends auf der Welt. Vielleicht in Rom. Man fühlt sich wie ein Gladiator.

Sie wurden als Teenager mal vom Fernsehen gecastet. Wie haben Sie sich da gefühlt?

Das war lustig. Irgendwann klingelte mein Handy, eine unbekannte Nummer aus Oslo. Was ist das?, dachte ich. Der Fernsehsender, der bei uns die Champions League überträgt, suchte die besten Talente Norwegens, und ich war einer von zwölf Kandidaten. Wir haben in Oslo trainiert, und am Ende habe ich in meiner Altersklasse gewonnen. Zur Belohnung durfte ich drei Wochen beim FC Liverpool in der Akademie trainieren.

Wie war das?

Ganz groß – und irgendwie auch krass. Ich war 14 und kam aus einem kleinen Verein. Plötzlich bist du beim FC Liverpool, wirst ständig von Kameras begleitet und läufst Leuten wie Sami Hyypiä oder John Arne Riise über den Weg. Aber wissen Sie, was schwierig war?

"Das war geil." Per Skjelbred über sein größtes Fußball-Erlebnis.

Nein.

Ich durfte sechs Monate nicht sagen, dass ich gewonnen hatte – so lange, bis die letzte Folge im Fernsehen gelaufen war. Trotzdem war das eine schöne Zeit. Man hat mich sogar gefragt, ob ich nach Liverpool in die U 19 wechseln will.

Warum haben Sie das nicht gemacht?

Ich war 15! Das war so, als hätte man mir gesagt: Du fährst jetzt nach Tokio und lebst dort vier Jahre allein – keine Chance. Zum Glück hat sich kurz darauf Rosenborg Trondheim gemeldet.

Hatten Sie keine Angst, eine tolle Karriere zu verschenken?

Manchmal denke ich wirklich: Was wäre passiert, wenn du Ja gesagt hättest? Vielleicht würde ich jetzt in Liverpool spielen. Aber ich hatte eine gute Zeit in Trondheim, ich habe gegen Real Madrid gespielt, gegen Schalke, Arsenal, Valencia.

Was war Ihr größtes Erlebnis?

Mein erstes Spiel in der Champions League. Wir haben 3:1 bei Olympiakos Piräus gewonnen und ich habe gleich ein Tor geschossen. 30.000 heißblütige griechische Fans im Stadion, und – puff – plötzlich ist es totenstill. Das war geil.

Wussten Sie immer schon, dass Sie ziemlich gut Fußball spielen?

Nein, das ist mir erst durch die Fernsehsendung bewusst geworden. Ich hatte nie den Plan, Profi zu werden. Mit meinen Freunden habe ich nur zum Spaß gespielt, vier gegen vier, fünf gegen fünf, auf ein Tor, egal. Erst bei Rosenborg begann die seriöse Zeit. Da gab es sogar beim Training einheitliche Trikots. So etwas kannte ich gar nicht. Am Anfang war es nicht leicht. Ich war 15, die anderen waren 19, ich war klein, die anderen waren groß.

Sie haben mit 16 in der Ersten Liga debütiert und galten in Norwegen als riesiges Talent. Aus heutiger Sicht: Haben Sie sich ein bisschen mehr von Ihrer Karriere erhofft?

Darüber denke ich noch nicht nach. Ich lebe hier und in dieser Sekunde, und ich bin glücklich über jede meiner Stationen.

Bei Hertha hat es ganz gut für Sie angefangen. Gleich bei erster Gelegenheit standen Sie in der Startelf. Hat Sie das überrascht?

Und ob. Am Nachmittag hat der Trainer Tolga Cigerci und mich zu sich geholt. Er hat uns erzählt, wie Hertha spielt. Auf der Tafel stand mein Name. Ich habe gedacht, das wäre nur, um uns allgemein die Taktik zu erklären. Aber es war die Aufstellung für das Spiel gegen Stuttgart. Zwei Stunden später stand ich auf dem Feld. Vielleicht war es ganz gut, dass ich nicht lange nachdenken konnte.

Skandinavier gelten allgemein als mental stark. Wie ist das bei Ihnen?

Ich bin ganz stark im Kopf. Bei meinem ersten Champions-League-Spiel war ich 18. Druck ist normal für mich. Bei Rosenborg hast du immer Druck. Da reicht es nicht zu gewinnen: Du musst auch gut spielen.

Viele Fußballer aus Skandinavien wechseln nach England. Warum haben Sie sich für Deutschland entschieden?

Nach neun Jahren bei Rosenborg wollte ich einfach eine neue Erfahrung machen – als Spieler und als Mensch. Wenn du 24 Jahre in Norwegen gelebt hast, kennst du jede Ecke. So viel gibt es da nicht. Aber ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, was mich in Deutschland erwartet. Trotzdem war es die richtige Entscheidung. Der bessere Fußball wird in Deutschland gespielt. In England geht es mehr über den Kampf und über Kraft.

Wird das auch in Ihrer Heimat registriert?

Letzte Woche hat mich ein Freund angerufen und gefragt, was ich am Wochenende gemacht habe. „Ich habe gespielt.“ – „Für den HSV?“ – „Für Hertha.“ – „Wieso für Hertha?“ Der hatte gar nicht mitbekommen, dass ich gewechselt war. Aber das ist ein bisschen typisch. Die meisten Norweger gucken Premier League. In meiner ersten Saison beim HSV kam ein Journalist aus Norwegen, um über unser Spiel gegen Schalke zu berichten. Der hatte die Haltung: Was ist Bundesliga? Nach dem Spiel hat er mich gefragt: „Per, was ist das denn?“ 60 000 Leute im Stadion, der Lärm, diese bombastische Stimmung. Der war vor Schreck ganz weiß im Gesicht.

Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Michael Rosentritt.

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