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Sport: Pferdemädchen, immer noch

Marion Jauß hat mit Pablo As bei der Derby-Woche den Favoriten am Start – außerdem ist sie eine der erfolgreichsten Trabrennfahrerinnen Deutschlands

Von Christine-Felice Röhrs

Berlin. Marion Jauß war zehn, als sie das erste Mal auf einem Pferd saß, ein blasses, kleines Mädchen, dem der Doktor frische Luft verschrieben hatte. Zwei Jahre später war sie aus dem Stall gar nicht mehr wegzukriegen, sie ritt die ersten Turniere, brachte ihr Pferd selber hin, in aller Frühe, und trabte im Mondschein zurück. Was Medizin sein sollte, war Leidenschaft geworden, und die sollte sie erfolgreich machen: Genau 1614-mal hat Marion Jauß, „die Amazone“, wie einer sie mal genannt hat, seither im Sulky, dem Wagen hinter dem Traber, gesiegt. Jetzt, mit 63 Jahren, ist sie immer noch ein Pferdemädchen, eines in Jeans und Turnschuhen, mit offenen Haaren und Pony-Anhänger an der Halskette.

An diesem Tag sitzt sie auf einem Plastikstuhl unterm Sonnenschirm an der Rennbahn in Mariendorf und schreibt auf, in welchem Vorlauf Pablo As starten wird. Pablo As ist der Favorit des diesjährigen Derbys, und er gehört Marion Jauß.

Am Sonntag wird Pablo As beim Höhepunkt dieser Woche laufen, im Kampf um die so genannte Krone des deutschen Trabrennsports. Insgesamt sind 42 Hengste und Wallache gemeldet, deshalb wird es fünf Vorläufe geben müssen, bevor alle die Chance hatten, sich für das Finale zu qualifizieren. Gegen wen Pablo im Vorlauf antraben muss, das ist gerade ausgelost worden. Marion Jauß hat ihren Sohn in den mit einem weißen Tuch abgedeckten Topf greifen lassen: zweiter Vorlauf. Ausgerechnet der, in den die härtesten Konkurrenten auch gelost worden sind. Marion Jauß sagt, sie sei „ziemlich nervös“. Bisher hat keines ihrer Pferde das Derby in Mariendorf gewonnen. Um die Ehre geht es. Das Geld? „Das ist mir wurscht“, sagt Marion Jauß.

Siegt Pablo As im wichtigsten Rennen des Jahres, dann würde seine Besitzerin 173 646 Euro mehr besitzen. Marion Jauß braucht sie nicht. Sie ist die Tochter und, mit Schwester Madeleine, auch Erbin von Eduard Winter, dem Berliner Autohaus-Magnaten. Freunde der Familie sagen, sie ist wie er: bodenständig und warmherzig und begabt mit diesem derben Berliner Wortwitz. Der Alte hat über seine Töchter verschmitzt einmal gesagt: „Besser, dat se reiten, als dat se geritten werden.“ Die Tochter sagt, einen Hut werde sie zum Rennen nicht tragen. Mit „so einer Konzertpflaume“ käme sie sich „dämlich“ vor.

Das Autohaus-Imperium gehört den beiden Winter-Töchtern immer noch. Zu den großen Sitzungen reisen sie an, ansonsten widmen sich beide lieber den Pferden. Vor 14 Jahren hat Marion Jauß ein Gestüt zwischen Hamburg und Timmendorf, in Neritz, gekauft. 20 Hektar sind es, mit einem großen Haus mitten im hügeligen Gelände, mit zwei Ställen plus einem für ihre „Rentnerbande“, für die alten Pferde. Dort verbringt Marion Jauß ihre Tage, steht um halb sieben auf, bespricht sich mit dem Schmied, verhandelt mit Futter-Lieferanten, reitet ihre Pferde in den Bach, wenn die Beine gekühlt werden müssen, oder fährt mit ihnen zum Tierarzt.

Wie ihre Pferde versorgt werden, darüber weiß Marion Jauß eine Menge, das überlässt sie nicht den Angestellten. Manchmal füttert sie auch Medikamente aus der Humanmedizin – was ihr gut tut, sagt sie, tut auch den Tieren gut. ACC Akut zum Beispiel heilt erkältete Pferde ebenso wie Menschen. „Ich hätte sehr gerne Tiermedizin studiert“, sagt Marion Jauß, lieber als Publizistik. Aber dann hätte sie sich als Frau, das war damals eben so, auf kleine Tiere spezialisieren müssen. Und Kleinigkeiten sind Marion Jauß’ Sache nicht.

Mittlerweile besitzt die Berlinerin 30 Rennpferde. Viele sind auch in Mariendorf dabei: Am Donnerstag waren es sechs, am Freitag und Samstag je zwei, und am Sonntag sind es wieder zwei. Marion Jauß kennt jedes von ihnen, und das muss sie auch, sagt sie, denn richtig gut kann ein Pferd im Rennen sonst nicht sein. Pablo zum Beispiel – gezüchtet übrigens von Alwin Schockemöhle – sei „ein lieber Halbstarker, ein bisschen phlegmatisch, ein bisschen abgezockt, der zu Hause jede Menge Blödsinn macht“. Ein wenig antreiben müsste man ihn also schon, aber dafür habe er keine Scheu, vor den anderen zu laufen. Manche Pferde haben die ja, als Herdentiere, und können deshalb nicht gewinnen.

Am liebsten wäre es Marion Jauß, die bei den Amateuren fünf Mal Deutsche Meisterin geworden ist, wenn sie Pablo am Sonntag selber steuern könnte. Aber der Arm tut noch zu weh – vor einem Jahr hatte sie beim Geschwindigkeits-Training einen Unfall: die Schulter in Trümmern, das Becken gebrochen. Nun fährt Thomas Panschow, der derzeit erfolgreichste Berufsfahrer. Und Marion Jauß muss sich eine Weile damit begnügen, zuzuschauen und Sponsorin zu sein.

Andere Pferdesportler unterstützen – das machen beide Winter-Töchter. Madeleine Schulze-Winter viel im Dressur-Bereich. Marion Jauß bei den Springern und Trabern. „Es ist lustig“, sagt sie. „Auch daran lässt sich wieder ablesen, wie unterschiedlich wir sind.“ Ihre Schwester, sagt Marion Jauß, sei viel disziplinierter. Sie selbst sei immer ein bisschen zu faul gewesen für die Fleißarbeit Dressur. Lieber mag sie eben alles, was schnell ist.

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