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Sport: Pferderennen in Hongkong: Millionenspiel zwischen Wolkenkratzern

Wenn Winfried Engelbrecht-Bresges aus seinem Büro im zweitobersten Stockwerk blickt, schaut er nur auf Hochhäuser. Wohn- und Geschäftstürme, die, im Oval aufgestellt, langsam die steilen Hügel hinaufzuwachsen scheinen.

Wenn Winfried Engelbrecht-Bresges aus seinem Büro im zweitobersten Stockwerk blickt, schaut er nur auf Hochhäuser. Wohn- und Geschäftstürme, die, im Oval aufgestellt, langsam die steilen Hügel hinaufzuwachsen scheinen. Nichts ungewöhnliches in Hongkong, wo doch der Platz in der ehemaligen Kronkolonie rar ist und Hongkong-Chinesen selbst die kleinsten Flächen auf den unebensten Stellen der mit Hügeln übersähten Metropole bebauen. Etwas Ungewöhnliches sticht beim Blick aus dem Fenster aber doch ins Auge: Mitten zwischen den Wolkenkratzern taucht nämlich plötzlich eine Galopprennbahn auf. Regelrecht spektakulär wird die Aussicht aber erst am Mittwochabend, wenn die Bahn im Stadtzentrum ihre Tore zum Renntag für über 20 000 Zuschauer öffnet und dann hell erleuchtet ist. Eine Bahn, deren Name schon Programm ist: Happy Valley. Doch richtig genießen kann der Deutsche diese prächtige Aussicht nicht, zu groß ist die Anspannung bei ihm, lässt Engelbrecht-Bresges doch Woche für Woche im Tal des Glücks die Pferde laufen.

Der 45-jährige Diplom-Kaufmann aus Köln ist Rennsportdirektor beim Hong-Kong- Jockey-Club und damit verantwortlich für den Rennbetrieb einer Organisation der Superlative. Denn Hongkong-Chinesen sind wettsüchtig, und das treibt die Umsätze an den Schaltern, den Wettautomaten, den Telefonen und den Wetthandys des Klubs in geradezu Schwindel erregende Höhen. Sicher liegt das auch daran, dass in Hongkong ausschließlich auf Pferde gewettet werden kann und eine staatliche Lotterie nicht existiert. "Aber in Asien haben die Menschen auch ein anderes Verhältnis zum Risiko", sagt der Deutsche mit dem Namen, bei dessen Aussprache die Chinesen einen Knoten in die Zunge bekommen. Deshalb wird das Geld eben auf die Rennbahn getragen - teilweise sogar in Tüten.

Doch die Zocker müssen sich nicht nur auf den Mittwoch konzentrieren. Es gibt noch eine zweite, deutlich größere Bahn im Norden der New Terretories. Ist man von Happy Valley schon überwältigt, wird man von den Verhältnissen in Sha Tin geradezu erschlagen. Im Gegensatz zu der Bahn auf Hong Kong Island, fahren an den Sonntagen regelmäßig 70 000 Zuschauer raus nach Sha Tin. Und die wetten in für Europäer unvorstellbaren Dimensionen. Umgerechnet 23 Millarden Mark hat der Klub mit seinen 4150 festen Mitarbeitern in der abgelaufenen Saison, die von September bis Juni dauert, umgesetzt. Auf jeden Renntag entfallen so rund 300 Millionen Mark - das ist mehr als der Jahresumsatz auf allen deutschen Rennbahnen zusammen.

Das Besondere am Hong-Kong-Jockey-Club ist aber das System, wie diese Geldmittel verwendet werden. Zwar werden 81 Prozent der Umsätze als Gewinne wieder ausbezahlt, was bei den verschiedenen Wettarten zu enormen Gewinnen führt. Allein eine dreifache Dreierwette (jeweils die ersten drei Pferde in drei aufeinander folgenden Rennen) bringt bei umgerechnet drei Mark Einsatz rund 20 Millionen. Doch der eigentliche Clou ist die Verwendung der übrigen 14 Prozent, die nach Abzug der Betriebskosten übrig bleiben. Der Klub ist mit 13 Prozent größter Steuerzahler Hongkongs und unterstützt über eigene Fonds karitative Einrichtungen. Immerhin ist das ein Drittel des gesamten Sozialetats Hongkongs. Alles fein säuberlich aufgelistet und nachvollziehbar in einem Jahresbericht, der selbst im Internet zu finden ist.

Zweifel an mafiosen Strukturen zerstreut Engelbrecht-Bresges mit mehreren Argumenten. So gibt es staatliche Kontrolle und ein spezielles Sicherheitskonzept. Hongkong hat im Gegensatz zu den meisten Ländern sehr zentrale Strukturen und zudem das schärfste Dopinggesetz der Welt, bei dem häufig ausländische Galopper und Jockeys auffliegen, die in ihrem Land als "sauber" gelten. Kontrolliert wird übrigens in der klubeigenen Klinik auf der Bahn. Immerhin schaut die Welt, seit es internationale Gruppenrennen gibt, darunter den mit fünf Millionen Mark dotierten Hong-Kong-Cup als Finallauf der Weltmeisterschaft, dem internationalen Management genau auf die Finger. Dieses Management muss in der Leistungsgesellschaft Hongkongs stark erfolgsorientiert handeln. Aber auch Engelbrecht-Bresges kann nicht ausschließen, dass die enormen Summen nicht auch dubiose Gestalten anziehen, "aber Probleme werden bei uns sofort gelöst und nicht unter den Tisch gekehrt", sagt er in Anspielung auf europäische Verhältnisse. Er muss es wissen, schließlich war er noch vor kurzem Geschäftsführer des deutschen Galoppsportverbandes. Anders sei es da auf der Bahn im nahegelegenen Macao. Dort zeigen Wettumsätze von 20 Millionen Mark bei nur 500 Zuschauern, das irgendetwas faul ist.

Während Engelbrecht-Bresges das sagt, geht hinter den Bergen gegenüber der Rennbahn die Sonne auf und macht das Morgentraining angenehmer. Doch nicht nur Journalisten sind zu früher Stunde der Einladung zum regelmäßigen Frühstück für Jockeys, Trainer und Klubmitglieder auf der Rennbahnterasse gefolgt. Auch einige hundert Chinesen stehen mit ihren Renngazetten - in Hongkong sind allein 40 Zeitungen nur für Rennsport erhältlich - auf der Tribüne und beobachten überwiegend die Form der Pferde, die sie kennen. Auf Ausländer wird wenig gesetzt. Wer für Hunderte oder gar Tausende von Mark wettet, will gut informiert sein. Aber selbst das hilft nicht immer. Auch in Hongkong gewinnen gelegentlich Außenseiter - und das bringt Traumquoten.

Ingo Wolff

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