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Angst vorm Fliegen. Das Reck war mal sein Lieblingsgerät, nach einem Sturz in Stuttgart graute es Philipp Boy (r.) davor. Nun hat der 25-jährige Cottbuser seine Turn-Karriere beendet.

© dpa

Philipp Boy beendet Karriere: Der Kopf turnt nicht mehr mit

Nach einem Sturz beim DTB-Pokal in Stuttgart wurde der frühere Mehrkampf-Europameister Philipp Boy die Angst nicht los – nun beendet der 25-jährige Cottbuser seine Turn-Karriere.

Über viele Jahre war Philipp Boy ein fester Bestandteil beim DTB-Pokal in Stuttgart, einem von weltweit vier Weltcupturnieren. Am Samstag jedoch trat er nicht im Turntrikot an die Geräte, sondern in einer braunen Strickjacke mit schwarzem T-Shirt darunter. Der Presseraum platzte aus allen Nähten, als der 25-jährige Cottbuser aufs Podium stieg. Obwohl er lächelte, war ihm anzusehen, dass dem zweimaligen Vizeweltmeister im Mehrkampf dieser Gang nicht leichtfiel. „Ich danke für die Wertschätzung“, begann er seine Ausführungen. Dreieinhalb Minuten redete er sich warm, bevor er das, worauf alle warteten, sagte: „Warum ich meine Karriere beenden werde!“

Es war ein langer Prozess, bis der Mehrkampf-Europameister diese Entscheidung für sich getroffen hatte. Begonnen hatte er vor einem Jahr, in Stuttgart. Damals hatte Boy die Reckstange ganz knapp verpasst und war heftig auf die Matten geknallt. „Es war der schlimmste Sturz meiner Karriere.“ Obwohl er außer Prellungen und Stauchungen glücklicherweise keine schwereren Blessuren davongetragen hatte, gab er zu: „In meinem Kopf ist etwas hängen geblieben.“

War er davor einfach völlig unbeschwert an die Geräte gegangen, machte er sich plötzlich Gedanken über die Risiken. An seinem Lieblingsgerät Reck hatte er nun Angst, loszulassen für die Flugelemente. „Ausgerechnet an dem Gerät, an dem ich in London eine Medaille gewinnen wollte.“ Doch bei Olympia verpasste er als Mitfavorit nach Reckabstürzen alle Einzelfinals. Immer wieder dachte er an das Schicksal seines Teamkollegen Ronny Ziesmer, der seit einem Trainingsunfall querschnittsgelähmt ist. „Seit diesem Sturz hatte ich die Bremse im Kopf“, sagte Boy. „Ich konnte das Problem nicht lösen.“ Die vielen Gespräch, der Psychologe, es half alles nichts.

Philipp Boy war immer schon ein sensibler Turner. Als der Vorturner Fabian Hambüchen von einer Verletzung geplagt wurde, begann der Aufstieg des Cottbusers. 2010 wurde er überraschend WM-Zweiter in Rotterdam. Im Jahr darauf konnte er diese Platzierung in Tokio wiederholen. Als jedoch Hambüchen kurz darauf in den Mehrkampf zurückkehrte, wich das Selbstvertrauen. Der erste Wettkampf danach war der in Stuttgart, mit dem bekannten Ausgang.

Cheftrainer Andreas Hirsch kennt Philipp Boy seit etwa 15 Jahren. „Ihn hat ausgezeichnet, dass er eine Vision hatte“, sagt der Übungsleiter aus Berlin. Er wollte immer das Maximum erreichen, oben stehen. Aber da war schon Hambüchen. Deshalb wurde Boy meist nur als zweiter Mann wahrgenommen. Die beiden Vizetitel hinter der japanischen Legende Kohei Uchimura bezeichnet Hirsch als sensationell. Der Gewinn des Mehrkampftitels bei der EM 2011 in Berlin war für Boy der schönste Moment seiner Karriere.

Wolfgang Willam, der Sportdirektor beim Deutschen Turnerbund, wollte ihn noch für Olympia 2016 in Rio begeistern. Boy winkte ab. „Ich habe gespürt, dass ich in vier Jahren nicht mehr um Olympiamedaillen kämpfen kann.“ Zum Abschluss der halbstündigen Pressekonferenz sagt Boy, dass er mit sich im Reinen sei. Er verlässt das Podium und lächelt befreit. „Die Entscheidung ist gut überlegt, lange überlegt. Ich bin erleichtert, dass sie raus ist.“

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