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Sport: Pioniere ohne Arierschein

Der deutsche Fußball hat starke jüdische Wurzeln, vor allem in Berlin – in der Nazizeit wurden sie radikal gekappt

Berlin. Als der Deutsche Fußball-Bund (DFB) vor drei Jahren sein hundertjähriges Bestehen feierte, erschien in der Festschrift des Verbandes auch ein Beitrag über Germania 1888, den ältesten noch bestehenden Fußballverein Deutschlands. Darin wurden die Anfänge des Berliner Klubs gewürdigt; dass Germania gewissermaßen als erster Deutscher Fußballmeister zu betrachten sei, weil er 1890 und 1891 den Titel im bald wieder aufgelösten „Bund Deutscher Fußballspieler“ errang.

Andere Episoden erfuhren weniger Aufmerksamkeit. So etwa das Bemühen des Germania-Gründers Georg Leux, den englischen Kulturimport Fußball so schnell wie möglich einzudeutschen und so vom seinerzeit massiven Vorwurf der „Engländerei“ freizusprechen. Vor allem aber fehlt der erschreckende Hinweis aus der Festschrift des Vereins anno 1938, dass der Klub bereits im Kaiserreich einen „Arier-Paragraphen“ eingeführt hatte. Juden durften demnach nicht mitspielen bei den Berliner Germanen.

Solche Auslassungen haben Tradition in der deutschen Fußballgeschichtsschreibung seit 1945. Der bemerkenswerte Anteil deutscher Juden am Aufbau des deutschen Fußballs ist daher heute vergessen. So wie sich die DFB-Festschrift insgesamt sehr schwer tut mit seiner Vergangenheit, verliert auch der „Germania“-Beitrag kein Wort über jüdische Pioniere.

Einige von ihnen kickten schon 1883 im „Berliner Cricket-Club“ auf dem Tempelhofer Feld, Fred und Gustav Manning zum Beispiel. Beim Aufbau deutscher Fußballverbände spielte dieses Brüderpaar eine tragende Rolle. Fred etwa stellte im Januar 1900 in Leipzig als Vertreter des VfB Pankow den Antrag auf die Konstituierung des DFB. Sein Bruder hat gewissermaßen die Globalisierung der Sportart vorweggenommen; nachdem er in Freiburg den FC gegründet hatte und den DFB als Vorstandsmitglied auf den Weg gebracht hatte, emigrierte er in die USA und konstituierte dort 1913 einen Soccer-Dachverband. Später wurde er Fifa-Exekutivmitglied für die USA und sorgte 1950 dafür, dass Deutschland nach dem Ausschluss 1945 wieder mitspielen durfte im Weltfußball. Ohne Manning, hat der Historiker Heiner Gillmeister einmal kommentiert, wäre Deutschland also womöglich 1954 gar nicht Weltmeister geworden.

Aber noch weitere jüdische Fußballer leisteten Pionierarbeit in Berlin. John Bloch, der Herausgeber der ersten Berliner Sportzeitschrift „Sport und Spiel“, war der vermutlich erste Sportjournalist in Deutschland, der zwecks Werbung die Klubs vor einem Spiel um die Aufstellungen bat. Und Walther Bensemann, Sohn eines Berliner Bankiers, organisierte von der Reichshauptstadt aus die beiden berühmten internationalen Begegnungen 1898 in Paris und außerdem die so genannten Ur-Länderspiele gegen ein englisches Team, das 1899 zum ersten Mal den Kontinent besuchte. 1920 gründete Bensemann den „Kicker“.

Dass junge deutsche Juden wie die Mannings, Bloch oder Bensemann sich in Berlin ausgerechnet dieser neuen Sportart widmeten, war kein Zufall. Ende des 19. Jahrhunderts wohnten vergleichsweise viele Juden in der Hauptstadt. Und da den oft hoch gebildeten jüdischen Kommilitonen der Zutritt zu elitären Studentenverbindungen verwehrt wurde und auch einige Turnvereine antisemitische Ressentiments pflegten, sahen viele von ihnen über den Eintritt in Fußballvereine eine Möglichkeit, diesen Makel auszugleichen. Diese Klubs nämlich eiferten dem sozialen Status angesehener Studentenverbindungen nicht nur in der Namensgebung nach (etwa mit „Alemannia“, „Markomannia“ oder eben auch „Germania“), sie kopierten auch deren gesellschaftliche Riten, die heftigen Besäufnisse etwa, die verharmlosend „Kommers“ genannt wurden.

Namensgebung und frühes Vereinsleben der 1902 gegründeten Tennis Borussia sind ein weiteres Beispiel. Auch hier suchten sich viele säkularisierte und assimilationswillige deutsche Juden eine Oase vom täglichen Antisemitismus. Nicht nur der Vereinsgründer und spätere Präsident Alfred Lesser war Jude, sondern auch zahlreiche andere Mitglieder. In den Zwanzigerjahren, der Blütezeit TeBes, waren rund 15 Prozent der Mitglieder jüdisch – der Bekannteste von ihnen war Simon „Sim“ Leiserowitsch.

Auch bei Tennis Borussia wurden die jüdischen Wurzeln mit der „Arisierung“ im Jahr 1933 radikal gekappt, die Spuren der meisten jüdischen Mitglieder deutscher Sportvereine verlieren sich im Holocaust. Zu den wenigen Überlebenden bei TeBe zählte Lesser, der 1939 in die USA emigrierte. Wie sehr er unter dem Ausschluss aus seinem Verein litt, zeigt ein Brief seiner Witwe von 1952. Immer noch lege sie lila-weiße Blumen auf das Grab ihres Mannes, schrieb sie, „Tennis Borussia gehörte doch so sehr zu seinem Leben!“

Ein längerer Beitrag des Autors über jüdischen Fußball in Berlin ist in dem von Dietrich Schulze-Marmeling herausgegebenen Buch „Davidstern und Lederball“ (Werkstatt-Verlag Göttingen, 512 Seiten, 26,90 Euro) erschienen.

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