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Platz vier: Herthas Landung aus einem Traum

Hertha BSC fällt es schwer, Platz vier als Erfolg zu werten. Denn es wurde nicht nur eine Menge Geld verspielt, sondern auch viel Gefühl.

Berlin - Es ist kurz vor neun, als Hertha am Abend in Tegel landet. Auf dem Terminal-Rundlauf des ansonsten menschenleeren Flughafens hat sich vor dem Ausgang 5 eine kleine Menschengruppe in Blau-Weiß lose aufgestellt. Sie will ihre Mannschaft aus Karlsruhe kommend in Empfang nehmen. Blumen haben sie keine dabei. Warum auch? Die Mannschaft hat ein 0:4 im Gepäck. Nun ist auch der letzte kleine Traum geplatzt.

Vierter ist Hertha geworden. Nur Vierter, wie die Gesichter der Wartenden sagen. Die Stimmung ist – so lala. Über ihren Köpfen flimmert auf dem Großbildschirm n-tv. Grün-Weiße Wolfsburger liegen sich in den Armen. Die Blau-Weißen schauen mit verheulten Augen hoch. „Man muss aufpassen, dass man nach diesem Spiel nicht die Freude über die Saison verliert“, sagt Werner Gegenbauer. Gegenbauer ist Herthas Präsident und als einer der ersten durch die Schiebetür gekommen. Dabei war noch fast alles drin gewesen für Hertha zum Saisonfinale beim Absteiger. Platz drei wäre leicht möglich gewesen und damit wäre die Chance da gewesen, sich für die Champions League zu qualifizieren. 20 Millionen Euro hätte das gebracht und damit die Träume gefüttert. Selbst im Fall einer Niederlage in den beiden Qualifikationsspielen hätte Hertha wenigstens die Gruppenphase der Europa League sicher gehabt und damit rund fünf Millionen Euro. Als Vierter aber muss Hertha nun erst in die Play-off-Spiele, um wenigstens die Gruppenphase der Europa League zu erreichen.

Hertha BSC hat viel verloren am letzten Saisonspieltag. Einiges an Reputation, viel Geld und noch mehr Gefühl. Natürlich ist ein vierter Platz ein guter Platz für den finanzschwachen Berliner Klub. Nur fühlt er sich an diesem Abend so nicht an. Am drittletzten Spieltag der Saison hatte Hertha mit einem Sieg in Köln die Uefa-Cup-Teilnahme sicher. Das offizielle Ziel von Management und Trainer war erreicht. Und so spielte die Mannschaft dann auch in den beiden noch anstehenden Spielen gegen Schalke (0:0) und beim KSC (0:4). Vielen wird es schwer fallen, den vierten Tabellenplatz als großen Erfolg anzunehmen.

Selbst jene, die an das Gate 5 gekommen sind, müssen sich wohl erst noch überlegen, wie sie mit dem Sommerfußball, den Hertha in Karlsruhe bot, umgehen sollen. Es war ein Debakel, das eine an sich schöne und erfolgreiche Saison fast in ihr Gegenteil zu drehen droht. Als die ersten Spieler auftauchen, bleiben sie stumm. Erst als Marko Pantelic zum Vorschein kommt, rühren sie ihre Hände zum Applaus. Ihr Applaus wird begleitet vom üblichen Singsang: „Marko Pantelic, oho!“. Dann kommen Cicero, Kaka und Steve von Bergen – alles bleibt still. Bei Kapitän Arne Friedrich, den Favre durch seine erneute Nichtberücksichtigung vor den Kopf gestoßen hat, wird es noch mal laut. Auch Josip Simunic bekommt einen kleinen, freundlichen Chor. Und ganz am Ende gilt der Gesang dem Trainer. Lucien Favre blinzelt in die Linsen der Fotohandys. Eine Dame mit Brille und Hertha-Dress möchte dem Schweizer am liebsten um den Hals fallen, hält sich dann aber doch zurück. „Danke für die geile Saison“, sagt sie dem Trainer ins Gesicht. Dann darf sich ihre Freundin neben Favre zum Foto stellen. Beide lächeln - die Frau wie ein Kind, Favre wie Favre.

Denjenigen, die Hertha im Herzen tragen, wird es am ehesten gelingen, diese Saison als das zu werten, was sie ist – ein Erfolg. Aber was ist mit jenen Menschen in Berlin, die sich nach den forschen Siegen des Frühjahrs über die Bayern, in Cottbus und Leverkusen dem Verein zuwandten und sich auf ins Stadion machten, sodass es gegen Dortmund, Bochum und Schalke voll wurde? Werden in ihnen die alten Zweifel gewinnen, Zweifel, die sich aus vielen Jahren verspielter oder verschenkter Möglichkeiten speisen? Wird sich ihr frisch gewecktes Interesse an Hertha über den Sommer verlieren?

„Die Mannschaft wird sich in der neuen Saison beweisen müssen“, sagt Gegenbauer. Das sagt sich so einfach. Es ist fraglich, ob der Mannschaft noch einmal ein solcher Entwicklungsschub gelingen kann wie in der abgelaufenen Spielzeit. Und: Werden Mannschaften wie Bremen, Leverkusen und Schalke ein weiteres Mal so schwächeln? Womöglich wird es nie wieder so günstig sein, die Champions League zu erreichen wie dieses Mal. Hertha hat die Gelegenheit fahrlässig vergeben. Nun muss der Verein mit den Folgen leben.

Zu den Folgen gehört, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen noch einmal schwieriger werden. Der leichtere Weg, sich in gehobener Gesellschaft der Liga zu etablieren, ist verspielt. Wieder einmal muss Hertha Umwege gehen. Der Personaletat für die kommende Spielzeit wird von 33,6 Millionen auf 28 Millionen sinken. Zudem muss der Klub einen Transferüberschuss von fünf Millionen Euro erzielen. Dieses Problem wäre Hertha als Tabellendritter auf einen Schlag los gewesen. Außerdem hätte Hertha auch die Kaufoption auf Cicero ziehen können. Nun aber wird man Spieler verkaufen müssen.

Josip Simunic kann den Verein für sieben Millionen Euro verlassen. Das besagt eine Ausstiegsklausel in seinem laufenden Vertrag. Auch Gojko Kacar würde Geld bringen. Nur kann Hertha auf beide nicht verzichten. Im Gegenteil, die Mannschaft braucht Verstärkungen in allen Mannschaftsteilen. Insbesondere im Sturm wird es ohne Woronin und Pantelic brenzlig. Amine Chermiti und Waleri Domowtschiski sind veranlagt, mehr aber noch nicht. Bliebe Raffael, Favres Königstransfer. Der Brasilianer ist ein guter Fußballer, keine Frage, aber seine Wirkung ist mittelmäßig. Sechs Treffer und fünf Torvorlagen sind für seine Position arg wenig und bringen ihn in der Scorer-Liste auf Rang 43. „Wir müssen mit dem auskommen, was zur Verfügung steht. Wir haben aber einen Trainer, der diese Situation akzeptiert“, sagt Gegenbauer. „Wir werden uns da durchkämpfen. Es geht eben nicht so schnell.“ Besonders optimistisch klingt er nicht.

Die wirtschaftlichen Zwängen für Hertha sind groß. So sind die Schulden des Berliner Bundesligisten trotz eines deutlichen Zuschauerzuwachses von 29 Millionen Euro (Stand: 30. Juni 2008) auf nun 33,5 Millionen Euro angewachsen. Herthas Bosse erklären dies gern als Folge der aktuellen, weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise. In Wirklichkeit resultieren 90 Prozent der Schulden Herthas aus Zeiten, als das Management das Geld mit beiden Händen aus dem Fenster geworfen hatte. Es war Geld, das Hertha noch nicht einmal eingenommen hatte.

In diese Verlegenheit wird Hertha nun nicht kommen. Vielleicht ist das ja auch eine gute Nachricht an einem Tag, an dem Hertha so viel verspielte.

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