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Platzkampf: Hand aufs katalanische Herz

„Hirngespinste!“, sagt der spanische König Juan Carlos. Trotzdem werden in Katalonien die Rufe nach einem unabhängigen Staat immer lauter. Zum Beispiel am Sonntag beim Spiel des FC Barcelona gegen den Erzrivalen Real Madrid.

Es war mehr als ein Fußballspiel. Es war eine politische Machtdemonstration. Seit dem Ende der spanischen Franco-Diktatur 1975, in der die Katalanen und ihre Kultur brutal unterdrückt worden waren, hatte es im „Camp Nou“, dem Heimatstadion des FC Barcelona, nicht mehr einen solch vernehmbaren Ruf nach Unabhängigkeit gegeben. Nach einem eigenen katalanischen Staat – und nach einem Abschied von Spanien.

„In-Inde-Independencia“, skandierten die Menschen an diesem Sonntag, „Un-Unab-Unabhängigkeit“. Mehr als 90 000 Fans passen in das größte Fußballstadion Europas, das beim Duell gegen den Erzrivalen Real Madrid, beim „Clásico“, bis auf den letzten Platz besetzt war. Natürlich vor allem mit Barça-Anhängern. Die „Königlichen“ aus Madrid gelten den Katalanen als Vertreter des ungeliebten spanischen Zentralstaats.

Ein Meer aus katalanischen Fahnen weht im Camp Nou. Fünf goldgelbe und vier rote Streifen durchziehen die Flaggen, oft noch geschmückt mit einem fünfzackigen Stern, dem Banner der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung.

„Catalonia is not Spain“, prangt in schwarzen Lettern auf einem Plakat. In der Südkurve flattert ein langgestrecktes Transparent mit der Aufschrift: „Catalonia, next European state“. Abspaltungsparolen auf Englisch, damit die 400 Millionen TV-Zuschauer, die in 150 Ländern das legendäre Fußball-Duell verfolgen, auch ja alles verstehen.

Schon vor dem Anpfiff bringt Barça-Präsident Sandro Rosell die Fans in Stimmung: Die „cules“, wie die Barça-Anhänger heißen, formen auf sein Kommando aus Pappschildern ein Mosaik, welches das Stadion in den katalanischen Farben aufleuchten lässt.

Real-Madrid-Präsident und Hochtief-Großaktionär Florentino Pérez folgt dem separatistischen Schauspiel auf der Ehrentribüne mit versteinertem Gesicht. Auch die „Madridistas“, die Fans des „Königlichen“ Klubs und spanischen Rekordmeisters Real Madrid, von denen immerhin ein paar tausend in die Höhle des Löwen in Barcelona gekommen waren, verharren ungerührt auf ihren Plastiksitzen.

Ein weiterer Paukenschlag eine Viertelstunde nach Spielbeginn: Die Stadionuhr markiert 17 Minuten und 14 Sekunden Spielzeit, als die Fans erneut die Unabhängigkeit besingen. Ein Ritual, mit dem schon länger im Camp Nou an die verlorene Schlacht der katalanischen Truppen im Jahr 1714 gegen die königlichen spanischen Soldaten erinnert wird. Die Niederlage bedeutete das Ende der damaligen katalanischen Selbstverwaltung und die Eingliederung in das spanische Königreich. Zum Gedenken an diesen Tag wird jedes Jahr am 11. September, dem Tag der Kapitulation Barcelonas, der katalanische „Nationalfeiertag“, die „Diada“, begangen.

Am jüngsten „Diada“-Tag, vor gut einem Monat, hatte Katalonien die bisher größte antispanische Demonstration erlebt: Rund 1,5 Millionen Katalanen demonstrierten in Barcelona „für einen eigenen Staat“. Auch Barça-Chef Rosell war dabei und versicherte: „Barça wird an der Seite der katalanischen Bürger stehen.“

„Katalonien braucht einen Staat“, ruft er den Menschen zu. Die Menge jubelt.

„Der Weg zur Unabhängigkeit ist geöffnet“, verkündete Artur Mas, Ministerpräsident des aufmüpfigen Kataloniens, in dem 7,5 Millionen Menschen leben. Mas hatte dort mit seiner Regionalistenpartei Convergencia i Unio (CiU) im Dezember 2010 die Regierung übernommen und steuert seitdem zielstrebig auf Konfrontationskurs mit Spanien. In der begründeten Hoffnung, im Unabhängigkeitsaufwind seine Macht ausbauen zu können, setzte er für den 25. November Neuwahlen an.

Anschließend will Mas per Referendum auch noch über die territoriale Zukunft abstimmen lassen. Gut zwei Drittel des katalanischen Parlaments, in dem Mas und seine CiU bisher nur die einfache, aber noch nicht die absolute Mehrheit haben, stimmten für die Volksabstimmung – für das Recht der Region zu entscheiden, ob Katalonien „ein neuer Staat in Europa wird“. Laut Umfragen wird die Mehrheit der Katalanen mit „Ja“ stimmen.

Spaniens konservativer Regierungschef Mariano Rajoy bekniete Mas, doch in der dramatischen Wirtschaftskrise des Königreiches nicht auch noch einen Keil in die spanische Nation zu treiben. Vergebens. „Katalonien”, antwortete Mas kühl, „muss seinen Weg gehen.“

Wie ein Triumphator steht Mas vor seinem Regierungspalast, auf der „Plaza Sant Jaume“ in Barcelona. Lässt sich von seinen Anhängern feiern. Zeigt sich in Siegerpose. Er winkt, setzt ein selbstsicheres Lächeln auf, legt die Hand aufs katalanische Herz. Mas, ein Industriellensohn, ist ein Meister populärer Gesten.

„Katalonien braucht einen Staat“, ruft er den Menschen zu. Die Menge jubelt. Mas genießt sichtlich das Bad im aufwallenden katalanischen Nationalismus. Und er versichert: „Wir sind nicht verrückt geworden.“ Die Katalanen hätten wie alle Völker „ein Recht auf Selbstbestimmung“. Diese Töne kommen an. Das Volk stimmt bewegt die katalanische Hymne „Els Segadors“ an. „Siegreiches Katalonien, das bald wieder reich sein wird.“

Wirkungslos verhallte der Aufruf des spanischen Königs Juan Carlos, doch nicht separatistischen „Hirngespinsten hinterherzujagen“. Spaniens Finanz- und Wirtschaftsmisere, die ganz Europa besorgt, müsse „gemeinsam rudernd“ überwunden werden.

„Die Katalanen haben keinen König“, schallte es höhnisch zurück. Und: „Wir sind eine eigene Nation.“ Katalonien, das seit Jahrhunderten um seine Eigenständigkeit kämpft und sich stets gegen die Einvernahme durch die spanische Krone wehrte, war schon immer eine Art Feindesland für Juan Carlos. Bei Besuchen in diesem Teil Spaniens, das im Norden an Frankreich und im Westen an die spanische Region Aragonien grenzt, wird der Monarch oft mit Buh-Rufen und Pfiffen begrüßt, manchmal gehen sogar seine Fotos in Flammen auf.

Die Abneigung gegen den spanischen Zentralstaat ist groß. Vielleicht auch weil die Katalanen noch in guter Erinnerung haben, dass sie unter der spanischen Franco-Diktatur (1939–1975) ihr Heimatgefühl im Untergrund pflegen mussten. Wer die katalanische Muttersprache auf den Straßen Barcelonas benutzte, musste mit Prügeln und politischen Pressionen rechnen. Auch die „Sardana“, der katalanische Nationaltanz, wurde verboten. Genauso wie die „Castells“, jene bis zu zehn Stockwerke hohen Menschentürme, die heute wieder auf allen Dorffesten in die Höhe wachsen und inzwischen von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt wurden.

Derzeit ist Katalonien die am höchsten verschuldete Region Spaniens.

Die Wunden dieser totalen Gleichschaltung unter Franco sind tief. Nur im Barça-Stadion Camp Nou trauten sich die Katalanen in diesen bleiernen Jahren aus ihrem Versteck. Dort konnten sie unbehelligt ihre Heimatsprache sprechen. Der Traditionsverein mit dem Motto „Mehr als ein Klub“ war schon immer ein Hort des katalanischen Widerstandes.

Dort lebten auch kurz nach dem Tod Francos beim „Clásico“ am 28. Dezember 1975 wieder Unabhängigkeitsrufe auf, und es wehten die ersten katalanischen Flaggen. Der Barça-Trainer war damals der Deutsche Hennes Weisweiler. Der damalige Geschäftsführer Jaume Rosell, Vater des heutigen Klubpräsidenten Sandro Rosell, stieß die Franco-Büste im Klubhaus vom Sockel.

In der spanischen Demokratie errang Katalonien 1978 wieder eine begrenzte Autonomie mit Selbstverwaltungsrechten, die seitdem immer weiter ausgebaut wurden. Dazu gehört die Anerkennung des Katalan, das neben dem Spanischen, wenigstens theoretisch, gleichberechtigte Amtssprache ist. Auf der Straße, in Behörden und auf den Schulen dominiert heute freilich die katalanische Sprache, welche durch die Regionalregierung massiv gefördert wird. Mit dem Ergebnis, dass man inzwischen in Katalonien ohne Katalanischkenntnisse weder arbeiten noch studieren kann. Spanisch wird dort zunehmend zur Fremdsprache.

Die seit Jahren von den Regionalpolitkern betriebene „Katalanisierung“ zeigt Erfolge: Die Lust auf einen Abschied von Spanien nimmt zu. Auch deswegen, weil viele Menschen in Barcelona und Umgebung das Gefühl haben, dass sie mit einem eigenen Staat besser fahren und mehr Wohlstand haben würden.

Derzeit ist Katalonien die am höchsten verschuldete Region Spaniens. Nach Meinung des katalanischen Regierungschefs Mas ist die Kasse aber nur deshalb leer, weil die Region, im Zuge des Finanzausgleichs, zu viele der in Katalonien eingenommenen Steuern an die spanische Zentralregierung abführen müsse. „Wir sind die Region, die am meisten Steuern an Madrid bezahlt“, schimpften die Katalanen auf ihrer großen Unabhängigkeits-Kundgebung in Barcelona.

Mindestens 16 Milliarden Euro pro Jahr würden derzeit an die Zentralregierung abgeliefert, behauptet Mas. Unbestritten ist, dass Katalonien samt der Urlaubsküste Costa Brava das wirtschaftsstärkste Gebiet des gesamten Königreiches ist. Barcelona gilt zudem als die kreative Schmiede Spaniens. Der Verlust dieses Territoriums wäre für Spanien ziemlich schmerzhaft.

Die spanische Regierung hat bisher allen Abspaltungsgelüsten eine Abfuhr erteilt. Das Grundgesetz schreibt die „unauflösbare Einheit der spanischen Nation“ fest. „Ich werde dafür sorgen, dass die Verfassung gehütet wird“, sagt Regierungschef Rajoy. Er will einseitige Schritte Kataloniens höchstrichterlich verbieten lassen. Bei Rechtsbruch könnte die katalanische Regierung abgesetzt, bei Gefahr für die „territoriale Unversehrtheit“ sogar die Armee in Marsch gesetzt werden.

Den obersten Katalanen Artur Mas schreckt das nicht. Er träumt schon davon, dass Katalonien bald als neuer EU-Staat zu neuem Ruhm kommt. Wenigstens im Fußball dürfte eine künftige katalanische Nationalmannschaft leichtes Spiel haben: Der Kern des amtierenden Welt- und Europameisters Spanien besteht aus Spitzenspielern des FC Barcelona.

Der katalanische Schlachtruf müsste kaum geändert werden. Schon jetzt ertönt, wenn die Barça-Spieler einlaufen: „Visca el Barça, visca Catalunya – Hoch lebe Barça, hoch lebe Katalonien.“

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