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Sport: Plaudern in Brüssel

Der fünfmalige Sieger Lance Armstrong erklärt Jan Ullrich zum Favoriten für die Tour de France 2004

Brüssel. Lance Armstrong war gut drauf. Bestens gelaunt spielte der fünfmalige Sieger der Tour de France mit den vor ihm gestapelten Diktiergeräten der Reporter. „Hier hat wieder eins geklickt“, sagte er und wechselte das abgelaufene Band. Die Pressekonferenz in Brüssel, ohne besonderen Anlass einberufen, machte dem Amerikaner sichtlich Spaß. Witzig und schlagfertig unterhielt sich der eloquente Texaner eine Stunde lang mit rund vierzig geladenen Journalisten.

Es schien, als wollte Lance Armstrong zum Jahresende einfach ein bisschen mit den Medien plaudern. Allerdings nicht über sein Privatleben nach der Trennung von seiner Frau. „Es ist wichtig, das Private zu schützen, aber noch wichtiger, froh und glücklich zu sein“, sagte der US-Amerikaner. Es war sicherlich kein Zufall, dass die Sängerin Sheryl Crow, mit der ihm eine Beziehung nachgesagt wird, am Abend in Brüssel ein Konzert gab. Doch nicht der Popstar war die Person, um die sich in den Gesprächen fortan alles drehte, sondern Jan Ullrich.

Als die Fragen nach dem deutschen Herausforderer bei der Tour de France 2004 auch von den Journalisten aus Frankreich, Italien und den Niederlanden nicht enden wollten, schlug Lance Armstrong mit schelmischen Lachen vor: „Einigen wir uns darauf: Jan Ullrich ist der Favorit. Schreibt das! Wir haben beschlossen, dass Jan all die Arbeit machen muss.“ Natürlich sei die Koalition der Mannschaftskollegen Ullrich/Winokurow, dem Tour-Zweiten und -Dritten des vergangenen Jahres, eine ganz besondere Gefahr. Doch für Armstrong ist die Rollenverteilung beim Team T-Mobile eindeutig. „Winokurow ist ein großartiger Rennfahrer. Aber Jan ist der bessere Tour-Fahrer und der stärkere Anführer.“

Der Kapitän von US Postal macht sich viele Gedanken über die Hierarchie in dem deutschen Team. „Ich würde gerne Mäuschen im Besprechungsraum sein, wenn Ullrich sagt, ,Ich bin bestens drauf’, wenn Winokurow sagt, ,Ich fühle mich stark’, und auch Savoldelli Ansprüche anmeldet“, sagte der Texaner. Teamchef Walter Godefroot sei klug genug, in der „auf dem Papier so starken Mannschaft“ keine individuellen Ambitionen außer denen Jan Ullrichs zu dulden.

Ullrichs Chancen, die Tour nächstes Jahr zu gewinnen, seien „brillant“. Armstrong (32) zählte die Gründe auf: „Jan hat eine großartige Mannschaft. Er hat die Motivation, die Tour ein zweites Mal zu gewinnen. Mit dreißig Jahren ist er im besten Alter eines Athleten. Es wird wirklich schwer werden, ihn zu schlagen. Nochmals: Jan ist der Favorit, und das ist gut für mich.“ Bereitwillig und lachend gab Lance Armstrong die Favoritenrolle an Jan Ullrich ab. Und das, obwohl er in seinem voraussichtlich letzten Rennjahr den sechsten Rekordsieg bei der Tour de France anstrebt und „geschockt wäre, wenn ich verliere“.

Lance Armstrong wurde nicht müde, den deutschen Radstar zu loben. „In diesem Jahr haben wir den besten Jan Ullrich aller Zeiten gesehen. Er kletterte besser, war schneller im Zeitfahren als jemals zuvor. Eindeutig: Jan ist wieder da. Er hat eine Menge Leute überrascht und deren Herzen erobert.“

Als Armstrong auf die Behauptung aus seinem neuen Buch, Ullrich habe bei seinem Sturz bei der Tour beim Anstieg nach Luz Ardiden nicht auf ihn gewartet, angesprochen wurde, reagierte der freundliche Plauderer leicht gereizt. „Wenn Jan sagt, er habe gewartet, dann hat er gewartet. Die Nachricht, die ich im Ziel bekommen habe, war aber eine andere. Vielleicht hat Jan gewartet, als die Kamera nicht auf ihn gerichtet war. Es bedeutet auch nichts mehr.“

Diese Diskussion sollte nicht sein gutes Verhältnis zu Jan Ullrich belasten. Und schon gar nicht die gemütliche und fröhliche Plauderstunde von Brüssel.

Hartmut Scherzer

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