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Bei der Analyse. Santos sucht des Gegners Schwachstelle.

© AFP/Leong

Portugals Nationaltrainer: Fernando Santos ist der Arbeiter unter Stars

Die Künstler ins Korsett gesteckt: Fernando Santos schaffte es selbst nie zum Profi. Nun hat er als Nationaltrainer Portugals Individualisten zu einem Team geformt.

Fernando Santos hält nicht viel von Starkult. „Große Turniere“, sagte Portugals Trainer vor dem Viertelfinale gegen Polen, „werden von großen Mannschaften gewonnen, nicht von großen Spielern.“ Es ist die Anti-These zu allem, was den portugiesischen Fußball in der Vergangenheit ausgezeichnet hat. Zwar ist Portugal auch unter Fernando Santos noch mit Künstlern bestückt. Doch inzwischen glänzen die Ballzauberer nicht mehr nur in der Offensive, sondern ackern auch defensiv mit.

Er habe Portugal in ein zweites Griechenland verwandelt, werfen ihm seine Kritiker daher vor. Dem Land, in dem er zuvor lange Zeit als Vereins- und Nationaltrainer gearbeitet hatte. Doch so nahe der Vergleich auch liegen mag, so falsch ist er zugleich.

Denn Santos hat Portugal in kein zweites Griechenland, sondern in ein Abbild seiner Biographie verwandelt. Als Kind tritt er seinem ersten Verein bei, dem Stadtteilklub Operário Futebol Clube de Lisboa. Keine schöne Gegend. Mietskasernen dominieren das Bild; ein klassisches Arbeiterviertel. Ein Arbeiter ist Santos auch als Spieler. Und doch talentiert genug, dass Benfica auf ihn aufmerksam wird. Für einige Jahre lebt der Linksverteidiger den Traum vom großen Profi-Fußball, bis sie ihm eröffnen: Es reicht nicht, nicht für Benfica. Also versucht er sich bei unterklassigen Klubs, spielt je zwei Jahre für Maritimo Funchal und GD Estoril Praia. Ehe er im zarten Alter von 21 Jahren selbst einsieht, dass es nicht reichen wird.

Santos sattelt um. Er studiert Elektrotechnik und arbeitet 13 Jahre lang als Ingenieur. Doch als sein früherer Klub, GD Estoril Praia, 1987 einen Trainer sucht, kann er nicht widerstehen. Er bekommt den Job, bleibt sieben Jahre und führt den Klub in die erste Liga.

Gleich in seiner ersten Saison führt Santos den FC Porto zum Titel

Wunder halten selten ewig. 1994 steigt der Klub schließlich ab. Santos allerdings bleibt erstklassig, wechselt zu CF Estrela Amadora. Ein weiterer Underdog, den er in der Saison 1997/98 auf Platz sieben der Tabelle führt – die beste Platzierung der Vereinsgeschichte. Und mithin ein Erfolg, der ihn auch für die ganz großen Vereine des Landes interessant macht. Den Zuschlag bekommt schließlich der FC Porto, den Santos gleich in seiner Premierensaison zum Titel führt. Dann der erste Bruch in der bis dahin so steilen Trainerkarriere: Porto kann den Titel in den kommenden zwei Jahren nicht verteidigen.

Santos wird entlassen und wagt die Flucht nach vorn, nach Griechenland. Trainiert in Athen sowohl AEK als auch Panathinaikos, sowie PAOK Thessaloniki. Und obwohl er wegen der Dominanz von Olympiakos Piräus nur einen einzigen Titel holen kann, wird er in sieben Jahren vier Mal zum Trainer des Jahres gekürt.

Also machen sie ihn als Nationaltrainer zum Nachfolger von Otto Rehhagel. In dessen Schatten nicht sofort verloren zu gehen, ist allein schon eine Leistung. Doch Santos schafft mehr als das. Bei der WM 2014 erreicht Griechenland erstmals in seiner Geschichte die K.-o.-Phase einer Weltmeisterschaft.

Das Land jubelte, die Kritiker des vermeintlich schönen Fußballs rümpften die Nase. „Unansehnlicher Betonfußball“ sei das, so ihr Vorwurf. Doch Santos konterte trocken: „Wir haben keinen Messi, also hat die Taktik bei uns oberste Priorität.“

Santos ist ein versierter Analytiker, der die Stärken des Gegners einschätzt und lahmlegt

Eine Taktik, die nicht allein darauf abzielt, sich weit zurückzuziehen und der Hoffnung die Hand zu reichen. Vielmehr ist Santos ein versierter Analytiker, der sich bestens darauf versteht, die Stärken des Gegners einzuschätzen und lahmzulegen. So hält er es auch als Trainer Portugals und bei dieser EM. Sowohl gegen das hochgelobte Mittelfeld der Kroaten, als auch gegen die Topstürmer der Polen wartete Santos mit probaten Gegenmitteln auf. Kurioserweise haben die Portugiesen zwar so noch kein einziges Spiel bei diesem Turnier nach 90 Minuten gewinnen können. Andererseits hat Portugal unter Santos noch kein einziges Pflichtspiel verloren.

Wenn es nach ihm geht, wird es dabei bleiben. Denn wie sagte Santos im Vorfeld der Partie gegen Polen: „Große Turniere werden von großen Mannschaften gewonnen. Und ich bin mir sicher, dass kein Team bei der EM hier solch eine starke Einheit ist wie unseres.“ Und zur Not haben sie zwar keinen Messi. Aber ein Cristiano Ronaldo ist ja auch nicht so schlecht.

Ilja Behnisch

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