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Profisport: Achtet aufeinander

Der Fußballbetrieb steht vor der Frage, wie er sich ändern kann. Psychologen bei Vereinen allein reichen dazu nicht.

An diesem Wochenende werden auf vielen Fußballplätzen Gedenkminuten abgehalten werden, um an den verstorbenen Nationaltorhüter Robert Enke zu erinnern. Zahlreiche Mannschaften werden mit Trauerflor auflaufen. Aber viele Spieler werden auch Fragen bei sich tragen – Fragen nach einem neuen Umgang miteinander im Fußball. „Der deutsche Fußball wird mit seinen Möglichkeiten und seinen Kräften daran arbeiten, Antworten auf die Frage zu finden, warum junge Leistungssportler, die von vielen bejubelt werden, in eine solche Situation kommen können. Das müssen wir tun“, hatte DFB-Präsident Theo Zwanziger gesagt.

Der Fußball kommt erst langsam wieder zu sich. Und doch weiß er, dass er sich irgendwie ändern muss. Nur wie? Und wie nachhaltig? „Niemand fühlt sich in der Lage, in dieser Situation einfach zur Tagesordnung überzugehen“, sagte Bundestrainer Joachim Löw. Ein Handlungsbuch dafür gibt es nicht, doch viele Menschen innerhalb und außerhalb des Fußballs fordern ein Umdenken.

„Die Tragödie Robert Enke gibt Anlass, über bestimmte Dinge nachzudenken, die in dem Geschäft üblich sind und hingenommen werden“, sagte Jörg Schmadtke, der Manager von Enkes Verein Hannover 96. „Wir haben eine Aufgabe gestellt bekommen von Robert, über die sollten wir nachdenken.“

Enkes Ehefrau Teresa und sein behandelnder Arzt hatten die schweren Depressionen des 32-Jährigen öffentlich gemacht. „Es war die freie Entscheidung von Frau Enke. Ich denke, sie wollte auch die Öffentlichkeit für dieses Thema sensibilisieren“, sagte Hannovers Vereinspräsident Martin Kind.

Die Reaktionen in diesen Tagen scheinen einem Reflex zu folgen. Ähnliches spielte sich im Herbst 2003 ab, nachdem Sebastian Deisler seine Depressionserkrankung öffentlich gemacht hatte. Tagelang berichteten die Medien darüber, wurde öffentlich debattiert. Viel geändert hat sich im Fußball seitdem nicht. Jetzt beginnt die Diskussion erneut. Offenbar war dafür erst Enkes Suizid nötig. Werder Bremens Trainer Thomas Schaaf hat sich als einer der ersten Verantwortlichen zu Wort gemeldet. Er spricht sich dafür aus, für das bisherige Tabuthema Depressionen sensibler zu sein. So soll Schaaf vor dem Training einen Appell an seine Spieler gerichtet haben: „Scheut euch nicht, jemandem zu helfen! Scheut euch nicht, Hilfe zu suchen! Achtet aufeinander!“ Dem 48-Jährigen, der mehr als 30 Jahre im Profifußball tätig ist, sind die möglichen Gefahren in seinem Geschäft bewusst: „Unser Bild in der Öffentlichkeit ist so, dass wir immer stark sein müssen. Wir sollten das Thema bearbeiten, wir müssen darüber sprechen.“

Auch die Deutsche Fußball-Liga (DFL) denkt über Konsequenzen für das Profigeschäft nach. „Depressionen dürfen kein Tabuthema sein. Gemeinsam mit der Vereinigung der Vertragsfußballspieler und unter Einbeziehung der Kommission Sportmedizin des DFB müssen wir darüber nachdenken, wie wir zu einem offeneren Umgang mit dem Thema kommen“, sagte DFL-Geschäftsführer Holger Hieronymus der Deutschen Presse-Agentur. Konkreter wurde er nicht.

Depressionen werden heute als Schwäche und Versagen ausgelegt, was insbesondere im Profifußball Ängste schürt bei Betroffenen. Es sind Ängste vor einem Ansehensverlust in der Mannschaft und in der breiten Öffentlichkeit. Die Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VdV) fordert psychologische Unterstützung für Spieler – nicht zum ersten Mal. VDV-Geschäftsführer Ulf Baranowsky sagte, die Vereine als Arbeitgeber müssten den Spielern zur Seite stehen und Angebote schaffen. Er lobte Klubs, die Psychologen beschäftigten, doch längst haben sich nicht alle Vereine dieser Thematik geöffnet. Nur der FC Bayern München hat einen Psychologen fest angestellt. Vereine wie die TSG Hoffenheim und der VfL Bochum arbeiten mit einem solchen Experten auf Honorarbasis zusammen. Die restlichen Bundesligaklubs bieten ihren Spielern Hilfe bei der Vermittlung von Experten an.

Doch allein die Hinzuziehung eines Psychologen würde das Problem nicht lösen (wenn man mal von der Frage absieht, ob der Betroffene überhaupt die Bereitschaft besitzt, sich auch zu öffnen). Im Gegenteil, die Hinzuziehung eines Psychologen könnte sich sogar als kontraproduktiv erweisen, sagt Isabella Heuser dem Tagesspiegel. Die Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Charité befürchtet, dass der Einsatz eines Psychologen „die Stigmatisierung“ noch weiter vorantreiben würde. Es hieße dann doch nur: Guck mal, der geht zum Psychiater!

„Im besten Falle muss eine psychische Verletzung im Fußball so normal werden wie eine Muskel- oder Bänderverletzung“, sagt Heuser. Ihrer Meinung nach müsse der Mannschaftsarzt verstärkt bei den Spielern auf Anzeichen für psychische Auffälligkeiten achten. „Er muss das affektive Verhalten der Spieler im Auge haben und sie aktiv darauf ansprechen.“ Dafür aber müsste sich der eine oder andere Mannschaftsarzt weiterbilden. Sollte schließlich tatsächlich eine ernsthafte Erkrankung bei einem Spieler vorliegen, bliebe immerhin noch die Zeit, einen Fachmann hinzuzuziehen, möglicherweise auch im Verborgenen. Natürlich schadet ein Psychologe im Verein nicht, sagt Heuser, doch vielleicht sollte er vorrangig präventiv tätig werden. Denn es gehe darum, „Resistenzen bei den jungen Menschen zu stärken“.

Theo Zwanziger möchte den Umbruch im Fußball von der Spitze befördern. Und er will nachdenken, darüber wie ein Profi so viel Angst vor einer Öffnung hatte, mehr als vor dem Tod. „Wir werden die Frage nicht ganz schnell beantworten können. Aber wir sind es Robert Enke schuldig, eine Antwort zu finden“, sagt der DFB-Präsident. „Wir dürfen, soweit wir es können, nie zulassen, dass ein Mensch in eine absolut alternativlose Entscheidung kommt.“

Klare Konzepte und Strategien gibt es noch keine. Alle Beteiligten sind sich aber sicher, dass ein Mehr an Sensibilität und Behutsamkeit im Fußballgeschäft Einzug halten muss. Dazu gehört neben Verein und Mannschaft auch das Umfeld des einzelnen Spielers, also dessen Elternhaus und die Berater, auch die Medien. Es ist problematisch, wie sehr Enkes Tod in diesen Tagen zum Medien-Ereignis geworden ist. Sollte diese Aufmerksamkeit dem Zweck dienen, das Thema Depression zu enttabuisieren, wäre es positiv.

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