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"Projekt Durchmarsch": Rauf geht’s

Von der Dritten Liga in die Bundesliga – die Fans des 1. FC Union Berlin träumen schon vom Durchmarsch. Sechs Vereine haben das bisher geschafft.

Die Berliner Boulevardpresse hat bereits das „Projekt Durchmarsch“ ausgerufen, echte Unioner träumen davon, mit Hertha die Liga zu tauschen, nur die Verantwortlichen beim 1. FC Union sind noch zurückhaltend. „Wir haben 17 Punkte gegen den Abstieg“, sagt Uwe Neuhaus, der Trainer des Zweitligazweiten. Der Aufstieg nach dem Aufstieg zählt nicht zu seiner Gedankenwelt. Dabei gibt es gute Vorbilder.

1860 München, 1993 und 1994

Als Werner Lorant vor der Saison nach seinen Favoriten für den Aufstieg in die Bundesliga gefragt wird, fallen ihm die üblichen Verdächtigen ein „… und eine Überraschungsmannschaft“. Ob er da schon etwas ahnt? Lorant hat 1860 München gerade aus der Bayernliga in die Zweite Liga geführt – aber ein Durchmarsch? „Der Lorant ist ja ein alter Fuchs gewesen“, sagt Armin Störzenhofecker, der damals bei den Löwen gespielt hat. „Vielleicht hat er wirklich ein Gefühl dafür gehabt.“ Denn am Ende der Saison steigen die Münchner tatsächlich zum zweiten Mal hintereinander auf – als erste Mannschaft überhaupt. „Wir haben den Schwung quasi mitgenommen“, sagt Störzenhofecker. „Das war wie in einem Rausch: immer weiter, weiter, weiter.“ Statt in Eching und Frohnlach vor dürftiger Kulisse „durften wir wieder in ganz Deutschland rumfahren“, sagt Armin Störzenhofecker. Zum ersten Mal nach 13 Jahren.

Fortuna Düsseldorf, 1994 und 1995

Woran erkennt man einen echten Fan von Fortuna Düsseldorf? Er kann zweifelsfrei belegen, dass er dabei war, damals, Samstag, 30. Oktober 1993, im Heidestadion von Teveren. Platteres Land gibt es nicht als hier kurz vor der holländischen Grenze. „Die seltsamste Aufgabe der Saison“, hat der „Express“ den Fortunen vorhergesagt – und 5000 Düsseldorfer wollen dabei sein. Das Stadion mit einer neuen Tribüne für 260 Zuschauer liegt inmitten abgeernteter Felder und platzt aus allen Nähten. Das 2500-Seelen-Dorf Teveren erlebt einen denkwürdigen Nachmittag. Fortuna, Zweitligaabsteiger und Tabellenführer der Oberliga Nordrhein, verliert 0:3 beim Dorfklub Germania Teveren, Aufsteiger und Tabellenelfter. Am Saisonende steigt die Altherrentruppe von Alexander Ristic trotzdem auf, nur noch zwei Punkte gibt sie nach der Niederlage in Teveren ab. Dass Düsseldorf dem ersten Aufstieg im Jahr darauf den zweiten folgen lässt, ist allerdings weniger bemerkenswert als die Vorgeschichte: Bevor die Fortuna zweimal hintereinander aufsteigt, ist sie zweimal hintereinander abgestiegen.

Arminia Bielefeld, 1995 und 1996

Es gibt viele Wege, wie man einen unterklassigen Verein nach oben führt. Rüdiger Lamm hat ein klares Vorbild, als er 1994 Manager bei Arminia Bielefeld wird. Lamms Vorbild heißt: Rüdiger Lamm. Der frühere Tischtennis-Bundesligaspieler hatte bereits die Sportvereinigung Steinhagen von der Kreisklasse in die Tischtennis-Bundesliga geführt. Auch bei der Arminia bleibt er bei seiner bewährten Methode: Wer schnell vorwärts kommen will, muss am ganz großen Rad drehen. Lamm geht erst einmal groß einkaufen, holt für die Regionalliga- Mannschaft gestandene Bundesligaprofis wie Thomas von Heesen, Armin Eck und Fritz Walter und beschert den leidgeprüften Fans nach sechs Jahren Drittklassigkeit ein völlig neues Glücksgefühl: Der Weihnachtsmann arbeitet jetzt bei Arminia. Der Klub hat den höchsten Etat (4,5 Millionen Mark) und steigt am Ende souverän auf. Für Lamm und seinen Trainer Ernst Middendorp aber ist das erst der Anfang. Insgesamt verpflichten sie in zwei Jahren 33 Spieler, darunter auch den Ur- Bielefelder Uli Stein. Im Sommer ’96 hat Lamm sein Ziel erreicht: Nach elf Jahren kehrt die Arminia in die Bundesliga zurück. Für deren Manager aber soll die Entwicklung noch längst nicht zu Ende sein. „Wir brauchen ein Stadion, das 50 000 Zuschauer fasst“, sagt Lamm. Zwei Jahre später steigt Bielefeld wieder ab.

1. FC Nürnberg, 1997 und 1998

Vielleicht wissen es die Nürnberger nicht, aber sie haben einen Experten für den Durchmarsch in ihren Reihen. Armin Störzenhofecker, früher 1860, spielt jetzt für den Club. Es dauert allerdings eine Weile, bis ihm selbst aufgeht, „dass ich das ja schon mal geschafft habe“. Das liegt auch daran, dass die Saison für den FCN ganz anders verläuft als damals mit den Löwen. „Den Aufstieg peilen wir mittelfristig an“, hat Präsident Michael A. Roth vor der Saison gesagt, doch anfangs sieht es eher danach aus, als würde der Club gleich wieder absteigen. Nach sechs Spieltagen ist er Letzter, Aufstiegstrainer Willi Entenmann muss gehen, für ihn kommt Felix Magath. „Er hat erst einmal noch eine Art Vorbereitung durchgezogen, mitten in der Saison“, erinnert sich Störzenhofecker. Die Methoden wirken, die Mannschaft ist so fit, dass sie gerade enge Spiele für sich entscheidet und schließlich Dritter wird. Magaths Art aber stößt nicht überall auf Gegenliebe: „Der Ton ist rauher geworden, dem Club dabei ein Stück Menschlichkeit abhanden gekommen“, schreibt der „Kicker“.

SSV Ulm, 1998 und 1999

Manchmal beginnt alles mit einem Zufall. Im Sommer 1997 hält sich Fritz Walter zur Behandlung in einem Reha-Zentrum in Böblingen auf, das von Ralf Rangnick mitbetrieben wird. „Na, Fritz, wie wär’s mit Ulm?“, fragt der Trainer der Spielvereinigung den früheren Torschützenkönig der Bundesliga. Eigentlich soll das nur ein Spaß sein, aber – warum eigentlich nicht? Fritz Walter beflügelt zumindest die Fantasie des Publikums. „Wir hatten beim Auftakttraining rund 300 Zuschauer, so viele wie schon lange nicht mehr in Ulm“, sagt Rangnick. Sechs Tore schießt Walter, dann verletzt er sich, aber auch ohne ihn ist der SSV nicht aufzuhalten. Das liegt vor allem an Rangnick. Die Mannschaft spielt mit Viererkette und Pressing im Mittelfeld. „Das kannte noch keiner“, sagt Joachim Stadler. Der Innenverteidiger ist vom Bundesligisten Borussia Mönchengladbach in die Regionalliga gewechselt – weil Rangnick ihn für seine Vision vom Fußball begeistert hat. Mit ihrer taktischen Überlegenheit kompensieren die Ulmer ihre individuellen Defizite. Selbst in der Zweiten Liga sind sie der Konkurrenz taktisch voraus. „Wir waren immer die Kleinen“, sagt Stadler. „Und dann haben wir auf dem Platz losgelegt mit unserem System.“ Stadler war mit Kaiserslautern Meister und Pokalsieger, mit Gladbach Pokalsieger, aber die Jahre in Ulm, „das war die schönste Zeit überhaupt“.

TSG Hoffenheim, 2007 und 2008

Die TSG Hoffenheim ist längst auf der fußballerischen Landkarte verzeichnet, als sie 2007 in die Zweite Liga aufsteigt – als Pokalschreck. Im Jahr 2003 hat der Dorfklub Bayer Leverkusen aus dem Wettbewerb gekickt. Es ist der erste Hinweis darauf, dass der Verein mehr will. Allerdings jagt der milliardenschwere Mäzen Dietmar Hopp dem großen Ziel lange vergeblich hinterher. Das ändert sich erst, als Ralf Rangnick 2006 nach reiflicher Überlegung Trainer wird. Von der Champions League in die Regionalliga? Ohne die Nähe zum Wohnort seiner Familie hätte Schalkes früherer Trainer wohl genauso abgesagt wie vor ihm Jürgen Röber. Aber in Hoffenheim findet er paradiesische Zustände vor: Rangnick kann Summen bewegen, von der die Konkurrenz nicht einmal zu träumen wagt, und er darf in Ruhe arbeiten, selbst nach einem bescheidenen Saisonstart: Nach vier Spieltagen ist die TSG ohne Sieg Vorletzter. Am Ende aber steigt sie mit 15 Punkten Vorsprung in die Zweite Liga auf. Eine Etage höher fängt es ähnlich holprig an: Wieder kein Sieg aus den ersten vier Spielen, wieder ein Abstiegsplatz, doch dann fangen die Investitionen an, sich auszuzahlen. Für 20 Millionen Euro hat der Zweitligist neue Spieler geholt. Mehr haben in diesem Sommer nur Bayern München und der VfL Wolfsburg ausgegeben.

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