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Sport: Prosit im Baskenland

Ganz Spanien feiert den neuen Europameister – bis auf eine Ausnahme

Um 22 Uhr 36, als Spanien nach dem 1:0 über Deutschland als neuer Europameister feststand, fiel das Land in einen kollektiven Taumel. Und diesmal war es wirklich, nun ja, fast das gesamte Land, das den ersten internationalen Titel seit 44 Jahren bejubelte.

Nicht nur in Madrid, Granada oder Valencia feierten Zehntausende Menschen mit Autokorsos, Sprechgesängen und nächtlichen Brunnenbädern die Elf von Luis Aragonés, auch in Barcelona knallten die Korken der Sektflaschen. Auf der Plaza Catalunya und den Ramblas lagen sich die Katalanen in den Armen: Mit Puyol, Xavi, Iniesta und Cesc Fabregas, die alle aus der Nachwuchsschule des FC Barcelona stammen, bietet die „selección“ schließlich genug identifikatorisches Potenzial. Da hatte Joan Puigcercós, Präsident der mitregierenden linksrepublikanischen Regionalpartei ERC, noch so sehr betonen können, dass viele Katalanen mit der Nationalmannschaft nichts anfangen könnten: Nach dem Sieg war das tagespolitische Gezänk für ein paar Stunden vergessen. Allerdings wurden die Feierlichkeiten auch von einem Todesfall überschattet. Ein 40-jähriger Mann stürzte in Madrid von einer Laterne, auf die er geklettert war und verletzte sich dabei tödlich. Außerdem gab es in Madrid Auseinandersetzungen mit der Polizei, die 52 Personen festnahm.

Im Baskenland blieb es dagegen ruhig, sehr ruhig. Denn der Norden Spaniens, wo die Distanz zum spanischen Staat am größten ist, wollte sich der Euphorie nicht anschließen. Gerade mal an zwei Großleinwänden verfolgten ein paar Hundert Menschen das Spiel; eine davon stand in der deutschen Kneipe „Ein Prosit“ in Bilbao.

Dennoch war das Finale gegen Deutschland das meist gesehene Fußballspiel des spanischen Fernsehens: Am Sonntagabend hingen 14 Millionen Menschen vor den Bildschirmen, kurz vor Abpfiff kletterte die Quote von 80,9 auf 88,6 Prozent. Schließlich stehe, das werden die Kommentatoren nicht müde zu wiederholen, „diese Mannschaft für ganz Spanien.“ Es wird schon diskutiert, was der erste internationale Fußballtitel des demokratischen Spaniens nun für das Selbstbewusstsein des Landes bedeutet.

Ganz gleich wie blumig nun die Lobeshymnen auf die Elf ausfallen werden, vor einem großspanischen Reichsnationalismus muss sich keiner fürchten. Dazu reicht es, sich den Ort anzugucken, an dem Spanien das Public-Viewing entdeckte, den Kolumbusplatz in Madrid. Noch unter dem konservativen Ministerpräsidenten José-María Aznar wehte eine überdimensionierte spanische Fahne über dem Platz, während der Europameisterschaft flatterten hunderte kleine. „Podemos“ - „wir können es schaffen“: Die Parole, die ein Fernsehsender für die EM ausgegeben hatte, klang selbst in den Ohren der meisten Basken und Katalanen mehr nach einem Seminar in autogenem Training als nach großspanischem Reichsgetröte. Zu einem neuen Nationalgefühl wird die EM kaum beitragen, allenfalls zu einem fröhlichen unbeschwerten Event-Patriotismus. Und da steht die Farbkombination rot-gelb für nichts anderes als den virtuosen Kombinationsfußball von Villa, Torres und Co. Mit dem Testosteron der „roten Furie“ hat das nichts zu tun; dafür viel mit einer Generation Fußballer, die in der Premier League ebenso zu Hause ist wie in der Primera División.

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