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Sport: Quälerei auf der Moldau

In Prag erleidet der Deutschland-Achter eine Niederlage, die möglicherweise noch enorme Auswirkungen haben wird

Berlin - Dieter Grahn hat keine Erklärung für die Pleite. Es ist Sonntag Nachmittag, er steht in Prag am Ufer der Moldau, hinter ihm werden Boote verladen, und Grahn, der Ruder-Bundestrainer, sagt ins Handy: „Es gibt keine Entschuldigung.“ Zweiter ist der Deutschland-Achter geworden, nur Zweiter. Eigentlich hätte das Boot gestern klar gewinnen müssen. Denn Prag war nur ein Einladungsrennen auf der Moldau, bei dem großen Nationen fehlten. Deutschland, der Weltmeister, war das prominenteste Boot, schärfster Rivale war eine aus Vierer- und Zweier-Leuten zusammengewürfelte Achter-Crew von Dukla Prag.

Dieses Boot lag nach 1000 Metern auf einer Höhe mit den Deutschen. „Meine Leute waren überrascht und dann nicht mehr cool genug“, sagt Grahn. Es lag an der Kurve. Der Kurs auf der Moldau macht irgendwann einen Knick, deshalb gab’s für die Außenbahnen beim Start einen Kurvenvorsprung, wie bei der Leichtathletik. Die Deutschen hatten die äußerste Bahn, nach 1000 Metern war der Kurvenvorsprung aufgebraucht, und das, sagt Grahn, „hat einige erschreckt. Die wollten das Rudern neu erfinden“. Sie verloren Rhythmus- und technisches Feingefühl. „Eine Quälerei“, sagt Grahn. Die Tschechen gewannen.

Es ist nicht bloß eine Niederlage. Es ist ein herber Rückschlag. Im September findet in München die WM statt, da gelten die Deutschen als Favorit. „Ein Dämpfer zur rechten Zeit, wir sind noch nicht so weit, wie einige dachten“, sagt Grahn.

Sieben Weltmeister von 2006 sind im Achter, nur der Ratzeburger Florian Menningen ist neu. So eine Besatzung darf nicht die Nerven verlieren, nicht in so einem Rennen. Das ist Grahns Problem. Er weiß jetzt nicht, wie sehr sein Projekt in Frage gestellt ist. Der Achter ist ein Mythos, ein Boot unter permanentem Erfolgsdruck. Die ganze Strategie von Grahn ist auf Olympia 2008 ausgerichtet, selbst die WM ist da nur ein „Zwischenschritt“ (Grahn). Diese Niederlage ist ein Störfaktor, dessen strategische Bedeutung schwer einzustufen ist. Grahn weiß ja nicht, wie nervenstark seine Leute letztlich sind. Vor allem aber muss er befürchten, dass ihn und seine Sportler die Vergangenheit einholt. Dass wieder jenes scheinbare Naturgesetz wirkt, das sie außer Kraft gesetzt hatten.

Das Naturgesetz lautete viele Jahre lang: Die Mitglieder des Deutschland-Achters sind im entscheidenden Moment nicht nervenstark genug. Sie holen bei einer WM oder bei Olympia kein Gold. Dafür aber gewannen sie stets den Gesamt-Weltcup, nur im Jahr 2000 klappte es mal nicht.

Erst 2006 beendete der Achter diese Serie. Er gewann den Gesamt-Weltcup, natürlich, aber dann auch noch den WM-Titel. Der erste WM-Sieg seit elf Jahren. Aber Grahn ist vorsichtig geworden, er hat schon zu viel erlebt. Deshalb ist der Weltcup in diesem Jahr für ihn zweitrangig. Denn jetzt ist sein Boot Titelverteidiger, es steht also noch mehr unter Druck. Zum Weltcup in Linz schickte Grahn eine B-Mannschaft, seine besten Leute trainierten stattdessen in Dortmund. „Man muss mal etwas anders machen“, sagt er. Seine Bestbesetzung wird nur bei Weltcups in Amsterdam und Luzern fahren, weil man zumindest einige „harte Rennen gegen die besten Boote braucht“.

Grahn ist auch gelassener geworden. Früher hat er die Besatzung wild durcheinander gewürfelt. Er setzte zum Beispiel Michael Ruhe auf den Schlag, ersetzte ihn dann durch Enrico Schnabel, holte Ruhe zurück, warf ihn wieder raus, beförderte Andreas Penkner zum Schlagmann. 2006 durfte Bernd Heidicker auf Schlag, eine umstrittene Entscheidung. Heidicker war zuvor lange verletzt, es gab intern Widerstände gegen diese Besetzung. Aber mit ihm holte das Boot Gold, und Heidicker ist immer noch auf Rollsitz eins. „Es bringt nichts, das ganze Gefüge zu zerstören“, sagt Grahn. „Man muss nicht aktionistisch wechseln.“ Gut, „Heidicker ist auf seinem Platz nicht festgebrannt“, sagt Grahn, „aber er ist im Moment mein Schlagmann“. Auch der Kern der Besatzung stehe fest.

So sieht bis jetzt der Plan aus. Aber Grahn ist jetzt nicht mehr sicher, ob er ihn durchhalten kann. Ausgerechnet jetzt, ausgerechnet zu einer Zeit, in der der Mythos wieder auflebt. Der WM-Titel hat das Image des Boots ganz erheblich aufgewertet. Für einen Fernsehsender soll das Boot mit einem Seil einen riesigen Luxusliner ziehen, „einen von der Art der ,Aida’“, sagt Grahn. Die seltsame Anfrage kam vor ein paar Wochen, Grahn und die Crew haben noch nicht entschieden, ob sie mitmachen. Andere Einladungen zu PR-Terminen oder zu Regatten haben sie aus Zeitgründen gleich abgelehnt.

Sie haben einen neuen Sponsor, auch ein Erfolg des WM-Titels. Ein Energieunternehmen überweist rund 400 000 Euro pro Jahr. Die Telekom ist 2005 ausgestiegen, ein Jahr lang mussten die Ruderer deshalb vieles aus eigener Tasche bezahlen. „Jetzt müssen sie sich wenigstens nicht mehr überlegen, wie sie die Miete zusammenbringen“, sagt Grahn.

Er weiß nicht, ob sie alle gerade dabei sind, ihr neues Image wieder heftig anzukratzen. Aber eines weiß er verdammt gut: „Wir müssen noch hart arbeiten.“

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