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Sport: Radikale Route

Volvo Ocean Race, erste Etappe: Die Crew der holländischen ABN Amro One wagt alles und gewinnt viel

Berlin - Sie sehen nicht gerade wie Glücksspieler aus, die zehn unrasierten und erschöpften Männer der ABN Amro One, als sie nach 19 Tagen auf See im Hafen von Kapstadt eintreffen. Eher wie Versuchspersonen für eine sehr wirksame Abmagerungskur. Trotzdem verdanken sie ihren Sieg auf der ersten Etappe des Volvo Ocean Race einem riskanten Pokerspiel. „Es heißt ja“, sagt Navigator Stan Honey bei der Ankunft, „dass es sich nicht auszahlt, alles auf eine Karte zu setzen.“ Für ihn, den 50-jährigen Fährtenleser, schon. Keiner seiner sechs jüngeren Konkurrenten wagte es, sich so weit von der Ideallinie auf dem Weg zum Kap der Guten Hoffnung zu entfernen. Honeys Rechnung ging auf. Am Ende lag die niederländische ABN Amro One sechs Stunden vor ihrem ärgsten Verfolger – und führt das Gesamtklassement mit 11,5 Punkten an.

Vier Wochen zuvor hatte Skipper Mike Sanderson noch wie ein verprügelter Hund gewirkt. Sein Boot war im Prolog, einem Kurzbahnrennen vor der spanischen Atlantikküste, Letzter geworden. Und das, obwohl mit dem Bankenkonsortium ABN Amro der stärkste Investor hinter ihm stand. Sogar das ältere Schwesterschiff ABN Amro Two, das von Designer Juan Kouyoundijan nur als Testgerät entworfen worden war und von einer jungen, unerfahrenen Crew bedient wird, hatte die Veteranen versegelt. Da bedurfte es schon einer gehörigen Portion Starrsinns zu behaupten, „wir haben das geeignete Boot, um zu gewinnen“.

Beim Start in Vigo am 12. November schien sich das Unheil zu wiederholen. „AA One“ drohte bei flauen Winden nach hinten durchgereicht zu werden. Doch dann fiel eine Windbö über das Feld her – und der 19-Meter-Racer eilte den Konkurrenten davon. Ein Spaziergang war es dennoch nicht. Als das Gefährt bei immer stürmischer werdenden Winden aus dem Ruder lief, stürzte ein Crewmitglied gegen die Steuervorrichtung und riss sie aus der Verankerung. Später entzündeten sich die Batterien, die Crew entging mit knapper Not einem Schiffsbrand.

Den anderen Teilnehmern dieses härtesten Mannschaftsrennens um die Welt erging es nicht besser. Es fehlte nicht viel, und das Volvo Ocean Race (vormals Whitbread Round The World Race), das mit der Einführung eines Punktesystems und einer neuen Bootsklasse attraktiver werden wollte, wäre zur Farce geworden: Die meisten der werftneuen Volvo-Open-70- Yachten waren nach wenigen Metern schwimmende Trümmerhaufen. Die spanische Movistar und die vom Disney-Konzern gesponserte US-Yacht Pirates of the Caribbean mussten schon in der ersten Nacht aufgeben. Beide meldeten Probleme mit dem Kiel. Wie sich später zeigte, war die Movistar mit etwas kollidiert, das sie unter Wasser skalpiert hatte. Auch die Synergie and Friends (Australien) steuerte für Reparaturen einen Hafen an und fiel weit zurück.

Angesichts solcher Ausfälle und Beinahekatastrophen scheinen sich die Befürchtungen zu bestätigen, dass der neue Bootstyp noch nicht ausgereift ist. Dessen Problem ist der Schwenkkiel, eine Technik, die in der Einhand-Segler- Szene seit langem Standard ist. Der Ballast wird unterhalb des Rumpfes in Windrichtung ausgeklappt. Die Folge: Leichtere Yachten können immer größere Segel tragen, das Geschwindigkeitspotenzial steigt um 18 Prozent. So benötigte die Siegeryacht Illbruck vor vier Jahren noch 31 Tage, um nach Kapstadt zu gelangen. Aber die Stabilität der systematisch übertakelten Hybrid-Konstruktionen hängt nur noch von der hydraulischen Aufhängung und ein paar mechanischen Teilen ab, die sehr anfällig sind.

Den Männern an Bord der Team Ericsson stockt denn auch 1000 Meilen vor dem Ziel der Atem, als ihre Kiel-Hydraulik aussetzt. Die schwedische Crew, zu der auch Tony Kolb, der einzige deutsche Teilnehmer, zählt, muss das Unterwassergewicht manuell justieren und segelt im Schongang weiter. Zu diesem Zeitpunkt balanciert die Flotte in der südlichen Hemisphäre auf dem Rand des St.-Helena-Hochs, das wie eine große Käseglocke über dem Atlantik liegt. Die ABN Amro One wählt die radikalste Route und schwenkt weit nach Süden aus. Aber die Rechnung geht auf. Mit über 30 Knoten rauschen die Niederländer einem neuen Rekord entgegen. Sie schaffen 546 Meilen in 24 Stunden. Was etwa der Strecke von Berlin nach Belgrad entspricht und einem Durchschnittstempo von 42 Stundenkilometern.

Am Ende trennen den Etappensieger nach 6400 Meilen nur 16 Stunden von der drittplatzierten Brasil 1 (10,5 Punkte). Zweiter wird ABN Amro Two (9,5 Punkte). Team Ericsson trödelt am Sonnabend ins Ziel (10,5 Punkte). Ein Beweis für die engen Spielräume der Hochsee-Hasardeure. Aber im Unterschied zu anderen Pokerpartien kann man in diesem Spiel nicht bluffen.

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