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Sport: Radrennen: Gute Beine, schlechte Schuhe

Steffen Wesemann hatte gute Beine, aber schlechte Schuhe. Wann immer der Wahlschweizer auf dem schmierigen Kopfsteinpflaster kraftvoll antreten wollte, rutschte er aus den Pedalen.

Steffen Wesemann hatte gute Beine, aber schlechte Schuhe. Wann immer der Wahlschweizer auf dem schmierigen Kopfsteinpflaster kraftvoll antreten wollte, rutschte er aus den Pedalen. Das sind nun einmal die Tücken beim Klassiker Paris - Roubaix, zumal wenn nach tagelangem Regen das Radrennen durch die Hölle des Nordens zur dramatischen Schlammschlacht entartet. Dreck, Stürze und Pannen entschieden dieses Spektakel auf abartigen Leidenswegen aus dem vorletzten Jahrhundert.

Der Spitzenfahrer der Telekom hatte das Rad und beide Pedale gewechselt. Nichts half, um richtig Tritt zu fassen. Er habe nur drücken und nicht ziehen und somit nur siebzig Prozent seiner Power auf die Pedale bringen können, klagte Wesemann. Er hätte auch die Schuhe tauschen müssen, damit die vom Dreck abgeschliffenen Platten an der Sohle wieder Halt in der Halterung finden. "Doch nach einem Schuhwechsel hätte ich den Anschluss an die Spitzengruppe nicht mehr geschafft." So aber kämpfte sich Steffen Wesemann nach jedem Ausrutscher immer wieder, "an die zehnmal", nach vorn und wurde nach einem bravourösen Rennen trotz seines Handikaps noch Siebenter. Zum Sieg hätte es für den Hoffnungsträger des Teams Telekom freilich auch ohne die Panne mit der Pedale kaum gereicht. "Aber ein Platz auf dem Podium wäre drin gewesen", behauptete Wesemann.

Den Sieger, das stand beim packenden Finale eines aufregenden Rennens fest, würde das übermächtige Quartett der neuen belgischen Mannschaft Domo-Farm Frites in der siebenköpfigen Spitzengruppe unter sich ausmachen. Die Domo-Stars, Vorjahressieger Johan Museeuw und Weltmeister Romans Vainsteins, schickten in einer ausgeklügelten Strategie schließlich ihren Edeldomestiken Servais Knaven nach vorn. Der 30-jährige Holländer gewann nach einem Solo über die letzten sieben der 254,5 Kilometer den 99. Kopfsteinklassiker in 6:45:00 Stunden. "Ich habe den Sieg meinen beiden Kapitänen zu verdanken", gestand Knaven und versprach zu bleiben, was er ist: "Ihr Helfer."

Der zweimalige Sieger Museeuw wurde mit 34 Sekunden Rückstand Zweiter. Vainsteins gewann auf dem Velodrome von Roubaix den Spurt des Verfolgerquintetts, wurde neuer Spitzenreiter im Weltpokal und vervollständigte den dreifachen Triumph der neuen Mannschaft des großen Paris-Roubaix-Strategen Patrick Lefevere. Der Belgier hatte als Teamchef von Mapei in den vorangegangenen drei Jahren jeweils den Sieger gestellt (Museeuw, Tafi, Ballerini) und schon 1996 einen dreifachen Triumph (Museeuw, Bortolami, Tafi) gefeiert.

Steffen Wesemann spurtete auf der letzten halben Bahnrunde nicht mehr mit um den dritten Podiumsplatz. "Ich konnte nicht aufstehen, wäre sonst wieder aus den Pedalen gerutscht, vielleicht gestürzt und hätte damit die anderen gefährdet", sagte er. Beim Endspurt stand Erik Zabel ein paar hundert Meter weiter im Sportpark bereits unter der Dusche. Der Vorjahresdritte hatte zu Beginn der paves gleich drei Reifendefekte und resignierte: "Dann hast du bei diesem Rennen keine Chance mehr. Alles ist blockiert. Du kommst nicht mehr vorbei und nach vorn." An der zweiten Verpflegung, beim Kilometer 195, gab der Sieger von Mailand - San Remo schließlich auf.

Hertmut Scherzer

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