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Radsport: Putin bei der Tour

Mit Hilfe des früheren russischen Staatspräsidenten baut ein Milliardär ein neues Radsport-Team auf, das alle bisher üblichen finanziellen Dimensionen sprengen soll

Das Gerücht kursiert seit Wochen – nun ist es amtlich: Am Ruhetag der Tour de France präsentierte der russische Brauerei- und Restaurantmilliardär Oleg Tinkoff ein neues Radsport-Team namens „Katjuscha“, das alle bisher gewohnten Dimensionen sprengen soll. 30 Millionen Euro pro Jahr, gab Tinkoff im Pyrenäenort Pau bekannt, werden der Mannschaft in den kommenden neun Jahren zur Verfügung stehen, um „die größte und beste Formation der Welt“ aufzubauen. Das übliche Budget für Profi-Teams auf Tour-de-France-Niveau liegt zwischen acht und zwölf Millionen Euro.

Tinkoff hatte aus seiner eigenen Tasche bereits eine Radsportmannschaft unterhalten, für die zunächst unter anderem Fahrer wie der geständige Doper Jörg Jaksche sowie die überführten Betrüger Tyler Hamilton und Danilo Hondo angetreten waren. Tinkoff suspendierte die drei allerdings wegen des wachsenden Drucks vor dem Giro d’Italia 2007. Für die neue Mannschaft sollen es nicht weniger sein als die besten Fahrer der Welt. Top-Sprinter Robbie McEwen ist im Gespräch, ebenso der belgische Star Tom Boonen, der vor wenigen Wochen wegen Kokain-Missbrauchs bei einer Dopingprobe auffiel. Auch der Schweizer Weltmeister Fabian Cancellara steht auf Tinkoffs Wunschliste. Unterschrieben hat bislang jedoch nur der belgische Sprinter Gert Steegmans. Obwohl Tinkoff behauptet, dass er keine Gehälter über Marktpreis zahlen möchte, bekommt Steegmans von Tinkoff doppelt so viel, wie er bisher bei Quick Step verdiente.

Um dieses Budget aufzubringen, gelang es Tinkoff, die russischen Konzerne Gasprom, Itera und Rostechnologii an Bord zu holen. Mittler zwischen den Firmen und dem ehrgeizigen Radsportmagnaten war Wladimir Putin. Gemeinsam wollen Tinkoff und Putin Russland zur großen Radsportnation machen. „Katjuscha“ soll sich deshalb nicht nur um den Profisport kümmern, sondern auch um die Nachwuchsförderung und um den Frauenradsport. Direktor des gesamten Programms ist der frühere Weltcup-Sieger und jetzige Sportminister von Moldawien, Andrej Tchmil. Zusätzlich setzen sich Tinkoff und Putin dafür ein, ein Pro-Tour-Rennen nach Sotschi zu holen.

Unter den derzeitigen Profi-Teams beäugt man das Projekt „Katjuscha“ – benannt nach einem russischen Raketenwerfer aus dem Zweiten Weltkrieg – mit zwiespältigen Gefühlen. Ein neuer Investor ist angesichts der derzeitigen Probleme des Radsports zwar durchaus willkommen. Es bestehen allerdings Befürchtungen, dass das Unternehmen dem Reformprozess im Radsport nicht eben zuträglich ist. Hans-Michael Holczer vom Team Gerolsteiner, der noch immer vergeblich nach einem neuen Sponsor sucht, wundert sich, was Tinkoff bewegt, mit so viel Geld in den Sport einzusteigen: „Für den Betrag, mache ich Ihnen drei Mannschaften.“ Mit dem kasachischen Team Astana, hinter dem ähnlich wie bei „Katjuscha“ mehrere Staatskonzerne und ein einzelner radsportverrückter Macher stehen, hat man im Radsport jedenfalls keine guten Erfahrungen gemacht. 2007 wirbelte Astana die Tour mit zwei spektakulären Dopingfällen durcheinander.

Vertreter eines neuen, sauberen Radsports befürchten nun, dass Investoren wie Tinkoff die Dopingkrise des Radsports ausnutzen, um groß einzusteigen und dabei reformwillige Teams zu verdrängen. „Es gibt ja die Theorie, dass nur Kakerlaken den atomaren Winter überleben“, sagt Jonathan Vaughters, Chef des Teams Garmin-Slipstream. „Hoffen wir, dass das im Radsport nicht passiert.“

Sebastian Moll

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