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Sport: Rächer in eigener Sache

Michael Phelps schwimmt nur noch, um Niederlagen vergessen zu machen – auch heute gegen Biedermann

Als alles zum Halbfinale über 200 Meter Freistil gesagt war, warf sich Michael Phelps sein weißes Handtuch über die Schulter und verschwand mit einer Andeutung von Jogging um die Ecke. Als wolle er sich schon warmlaufen für das große Finale über die vier Bahnen Kraul am heutigen Dienstag (12 Uhr, live im ZDF und bei Eurosport). Gegen seinen starken Landsmann Ryan Lochte, gegen den Südkoreaner Park Tae Hwan – und gegen den Hallenser Paul Biedermann, der als Zweitschnellster zumindest gestern eine knappe Sekunde schneller war als Phelps auf Platz fünf.

Darauf einbilden wollte sich der kraftvolle Titelverteidiger aber nichts. „Keiner hat gezeigt, was er drauf hat. Deshalb weiß ich jetzt so viel wie vorher“, sagte Biedermann, während der 14-malige Olympiasieger Phelps über das rasende Feld um ihn herum staunte: „Das sind alles schnelle Jungs mit gutem Finish. Das wird garantiert ein enges Rennen.“ Noch mehr Bedeutung erhält der Wettkampf im Hinblick auf die Sommerspiele in London in einem Jahr.

Sein erstes Einzelfinale in Schanghai ist für Phelps eine Art Einstiegsdroge für die Olympischen Spiele 2012. Denn dann wird über 200 Meter Freistil auch noch Ian Thorpe auf den Startblock treten. Nach seinem Anfang Februar verkündeten Comeback ist Australiens Schwimm-Legende in Schanghai zwar noch nicht startberechtigt. Doch das überaus reizvolle Olympia-Duell mit dem Mann aus Sydney ist für Phelps ein entscheidender Grund, warum er sich für seine dann vierten – und erklärtermaßen letzten – Spiele noch einmal im Training quält.

Bei seinem olympischen Durchbruch, 2004 in Athen, trat der Allrounder unter den Beckenschwimmern schon einmal gegen Thorpe an. In einem zum „Jahrhundertrennen“ verklärten 200-Meter-Thriller schlug Phelps hinter dem Australier und dem Holländer Pieter van den Hoogenband am Ende als Dritter an. Eine Scharte, die er in London liebend gerne auswetzen würde. „Seit dem Rennen in Athen will ich unbedingt noch einmal gegen Thorpe antreten – auf dieser Strecke“, sagt Phelps.

Der 26-Jährige hat im Schwimmen alles gewonnen. Folglich sind es vor allen Dingen Niederlagen, die den US-Amerikaner noch motivieren können. Wie etwa Biedermanns WM-Triumph über 200 Meter Freistil von 2009, damals noch im High-Speed-Anzug, den Phelps als „wirklich sehr bittere Niederlage“ bezeichnet. Gegen seinen Landsmann Lochte hat Phelps bei den US-Meisterschaften 2010 über 200 Meter Lagen und 200 Meter Rücken verloren, heute geht es also um eine doppelte Revanche.

Bob Bowman, der Trainer von Michael Phelps, weiß, wie er seinen besten Schüler motiviert. „Lochte ist der beste Schwimmer der Welt“, sagte Bowman Ende vergangenen Jahres. Es sind Sätze wie diese, die Phelps ähnlich heiß machen wie die Niederlagen über 200 Meter Schmetterling gegen den Chinesen Wu Peng und den Australier Nick D’Arcy, die er 2011 bei kleineren Wettkämpfen bereits erlitt. „Um ehrlich zu sein: Das war wahrscheinlich das, was ich gebraucht habe“, sagte Phelps nach seiner ersten Pleite gegen Wu vor drei Monaten in Michigan.

Am Mittwoch steht das große Duell mit dem Chinesen vor dessen Heimpublikum an. Das erste Gold hat Phelps bereits verpasst: Mit der 4-x-100-Meter-Freistilstaffel unterlag er am Sonntag als Startschwimmer den Australiern und Franzosen und bekam als Mitglied des US-Quartetts bloß eine Bronzeplakette umgehängt und schnaubte: „Das ist nicht das Podest, auf dem wir stehen wollen.“

Dieses Gefühl könnte den Star der Branche in Schanghai noch häufiger ereilen. Im Mai räumte Phelps ein, dass er mit einem Minimum an Aufwand zu alter Stärke zurückfinden wolle. Sein wöchentliches Trainingspensum hat er von einst 80 Kilometern (vor der WM 2007) auf 30 Kilometer (2010) heruntergefahren. Der Plan ist gescheitert, daher weissagt ihm Rowdy Gaines, dreifacher Olympiasieger von 1984 und heute TV-Experte beim US-Sender NBC, für diese Woche im Oriental Sports Center auch: „Von all den großen Schwimm-Events, die er mitgemacht hat, wird das seine größte Herausforderung.“

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