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Rallye Dakar: „Wir sind Kindermädchen für alles“

Kopilot Timo Gottschalk über die Faszination der Rallye Dakar, Ärger im Cockpit und den Tod.

Herr Gottschalk, Ihr Fahrer Nasser Al Attiyah gilt als einer der verrücktesten Fahrer der Rallye Dakar. Wie fühlt es sich an, neben einem verrückten Piloten zu sitzen?



Ich habe im Auto sehr schnell Vertrauen zu ihm gefunden. Nasser hat teilweise einen wilden Fahrstil, der sehr spektakulär aussieht. Aber er ist auch sehr erfahren und weiß genau, was er tut. Nasser ist ein sehr offener und lockerer Mensch. Es ist sehr angenehm, mit ihm zu arbeiten, und ich habe nicht das Gefühl, dass er es in irgendeiner Weise übertreibt.

Können Sie als Beifahrer Einfluss auf Ihren Fahrer nehmen?

Man kann den Fahrer schon ein bisschen steuern. Wenn er zum Beispiel anfängt zu übertreiben, kann der Beifahrer versuchen, ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zu holen. Jedoch lassen sich die Fahrer nur schwer dazu bringen, etwas ruhiger zu machen.

Wie muss man sich die Kommunikation zwischen Beifahrer und Fahrer im Auto vorstellen?

Manche Fahrer und Beifahrer erzählen sich Geschichten, manche sagen fast gar nichts. Wir sind recht ruhig im Auto und reden nur das, was nötig ist. Ich sage Nasser nur, wo es langgeht, und er sagt vielleicht zehn Worte auf der ganzen Prüfung. Das mag ich auch so. Ich bin nicht so der große Geschichtenerzähler.

Gibt es denn auch mal Krach im Cockpit?

Sicherlich. Ich sage mal: Hey, so nicht! Dafür kann es sein, wenn ich mich verzettelt habe, dass er sagt: Mehr Konzentration! Aber es ist wichtig, dass man sich gegenseitig die Meinung sagen und sich dann wieder in die Augen schauen kann.

Die Rallye geht über zwei Wochen und durch unterschiedlichstes Terrain in Argentinien und Chile. Was sind die Schlüsselfaktoren, um zu gewinnen?

Auf jeden Fall Ausdauer und die richtige Einteilung der Rallye. Man muss einschätzen, an welchen Tagen man ohne großes Risiko Zeit gutmachen kann, und wann man sich lieber zurückhält. Schließlich kann man nicht von der ersten bis zur letzten Prüfung 100 Prozent geben.

Sie sind als Beifahrer für die Navigation zuständig. Trotz der Roadbook genannten Streckenkarte und Ihrer Erfahrung kann es bestimmt passieren, dass man sich komplett verfährt. Wie reagiert man in solchen Situationen?

Dann ist es meistens am besten zurückzufahren, bis zu dem letzten Punkt, an dem man sich noch wirklich sicher war. Von dort aus fängt man neu an. Den Weg einfach irgendwie zu suchen bringt meistens nur Nachteile.

Wenn man die Beifahrer im Biwak beobachtet, kommt einem eine Bezeichnung in den Sinn: „Mädchen für alles“.

Ja, wir sind Kindermädchen für alles. Wir müssen sehen, dass der Fahrer nichts vergisst. Wir versuchen, dem Fahrer das Leben so einfach wie möglich zu machen, so dass er sich auf das Fahren konzentrieren kann. So sagt man ihm, wann er aufstehen muss, wann es Frühstück gibt und wann er wie von A nach B kommt.

Gleich auf der ersten Etappe gab es einen tödlichen Zwischenfall mit einer Zuschauerin. Macht man sich darüber Gedanken?

Man macht sich auf jeden Fall seine Gedanken. Man denkt sich: Mensch, die Leute wollten zuschauen und haben sich auf den Sport gefreut – und dann kommen sie nicht mehr nach Hause. Das trifft einen schon sehr. Man muss es aber auch wieder aus dem Kopf herausbekommen. Man kann sich nicht selbst die Schuld daran geben oder dem Sport. Schließlich passiert bei anderen Sportarten auch etwas – da kann man auch dem Veranstalter keinen Vorwurf machen. Es kann nicht die ganze Strecke abgesperrt werden, man kann auch nicht auf jede Person achten.

Der Veranstalter ASO überlegt, künftig wieder nach Afrika zurückzukehren. Was sagen Sie zu dieser Idee?

Das ist schwierig. Einerseits muss ich sagen, es ist großartig, wie willkommen man hier in Südamerika ist und wie viele Fans an der Straße stehen. Afrika ist auf der anderen Seite die Tradition der Dakar. Sie ist dort zu Hause und groß geworden. Viele Privatiers wünschen sich den afrikanischen Mythos zurück, den sie hier einfach nicht haben. Mir wäre es am liebsten, wenn die Dakar an verschiedenen Orten ausgetragen werden würde: mal Südamerika, mal Afrika, vielleicht auch mal in Russland oder Asien.

Hat der Reiz der Rallye Dakar gelitten, seitdem sie aufgrund von Terrordrohungen nach Südamerika verlegt wurde?

Ich denke nicht. Das Problem ist, dass viele Leute mit dem Namen immer die Paris-Dakar verbinden. Die wundern sich, wie diese Rallye Dakar heißen kann und dann nicht in Afrika ausgetragen wird. Aber der Reiz ist noch derselbe. Sie ist immer noch die schwerste Rallye der Welt, eine große Strapaze über 14 Tage.

Das Gespräch führte Stefanie Szlapka.


Timo Gottschalk, 35, nimmt zum zweiten Mal als Kopilot an der Rallye Dakar teil. Der Berliner und sein Fahrer Nasser Al Attiyah aus Katar starten für das Volkswagen-Team.

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