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Rangnicks Rücktritt: Es war höchste Zeit

Am Donnerstag hat Ralf Rangnick bekannt gegeben, dass er nicht mehr in der Fußball-Bundesliga arbeiten kann, nicht mehr arbeiten will. Sven Goldmann erklärt, warum das eine gute Nachricht ist.

Sie betrifft nicht Rangnicks Leiden an der Volkskrankheit Stress. Sondern seinen Umgang damit. Endlich ist einer ausgebrochen aus dem Kartell der Schweiger, der Verharmloser, der Tabuisierer. Es war höchste Zeit. Dieses Land hat getrauert um den depressiven Robert Enke, es war ergriffen von Sebastian Deislers Schicksal. Aber es hat sich geweigert, einen Schritt und einen Job weiter zu denken.

Fußballprofis stehen unter einem öffentlichen Druck, wie ihn die Öffentlichkeit schwer nachvollziehen kann. Aber es stehen immer elf von ihnen auf dem Platz. Dass eine Mannschaft zusammen gewinnt und zusammen verliert, ist eine Floskel von gar nicht so oberflächlichem Wahrheitsgehalt.

Der Trainer steht allein, er ist das schwächste Glied einer Kette und muss sich im Zweifelsfall den Mechanismen des Geschäfts beugen. Auch das sind Floskeln, sie sind Woche für Woche zu hören, aber ihre finale Konsequenz hat noch niemand hinterfragt. Bis zu dem Donnerstag, an dem Ralf Rangnick den Schritt aus dem Dunkel wagte.

Ein echter Fußballfan leidet in jedem Spiel Höllenqualen. Gewinnen und Verlieren sind für ihn von existenzieller Bedeutung, allerdings nur 90 Minuten lang. Spätestens am nächsten Morgen weicht der existenzielle Charakter der fatalistischen Hoffnung: dann eben beim nächsten Mal. Ein Trainer hat diesen Ausweg nicht. Seine Qualen halten an, der Druck kommt von allen Seiten. Von den Spielern, vom Klub, aus der Öffentlichkeit. Im günstigsten Fall endet es mit Magengeschwüren.

Warum brach der Aachener Trainer Werner Fuchs nach einem Waldlauf mit einem Herzinfarkt tot zusammen? Warum trainierte der Leverkusener Christoph Daum sein Selbstbewusstsein mit Kokain? Warum fiel der Dortmunder Branko Zebec während eines Bundesligaspiels betrunken von der Bank? Die Branche kannte die Antworten auf diese Fragen, aber niemand hat sie ausgesprochen. Die Branche war für ein paar Tage unangenehm berührt und ging dann über zur Tagesordnung. Koks, Schnaps, Herzinfarkt – klingt alles besser als Depressionen oder vegetatives Erschöpfungssyndrom, wie es bei Ralf Rangnick diagnostiziert wurde.

Seit dem Donnerstag, als Ralf Rangnick den Schritt aus dem Dunkel wagte, kann niemand mehr wegsehen. Seine Kollegen, gegenwärtige wie künftige, können es ihm nicht genug danken.

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