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Sport: Raus aus der Küche

Seit Monaten träumen die Eisbären von der deutschen Eishockey-Meisterschaft – aber die große Party steigt wohl ohne Berliner Beteiligung

Von Sven Goldmann

und Claus Vetter

Berlin. Die Situation ist schwierig, schwieriger denn je, seit Pierre Pagé die Berliner Eisbären betreut. Nach der 0:1-Niederlage am Freitag gegen die Krefeld Pinguine liegen sie in der Halbfinalserie der Deutschen Eishockey- Liga (DEL) 1:2 zurück. Bei einem Sieg heute in der heimischen Rheinlandhalle würde Außenseiter Krefeld das Finale erreichen – und für den Favoriten aus Berlin wäre die Saison zu Ende. Pagé versuchte nach der unerwarteten Niederlage Stärke zu demonstrieren. „Jetzt müssen wir eben am Sonntag in Krefeld gewinnen, Selbstmitleid hilft uns dabei nicht weiter“ sagte der kanadische Trainer, blickte um sich herum – und sah nur traurige Gesichter.

Seit Wochen reden sie im Berliner Stadtteil Hohenschönhausen von der Meisterschaft, wird im Sportforum sogar ein Originalzitat von Martin Luther King eingespielt: „I have a dream.“ Das klingt ein bisschen deplatziert, weil Kings Traum von einer Gesellschaft ohne Rassenschranken wenig gemein hat mit dem Ziel, deutscher Eishockeymeister zu werden. Egal, am Freitag war Martin Luther King ohnehin nicht mehr zu hören. Es wird nicht mehr geträumt, es wird rational auf Statistiken verwiesen. „Wir haben noch nie in dieser Saison mehr als zwei Spiele in Folge verloren“, sagt Pierre Pagé. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir drei Spiele hintereinander verlieren.“

Pagés Trainerkollege Butch Goring aus Krefeld ist da anderer Meinung. Es war schon erstaunlich, wie konzentriert und entschlossen sich die Pinguine am Freitag im Sportforum präsentierten. Der Favorit aus Berlin war dagegen weit entfernt von der Dominanz, die er noch in der Vorwoche beim 4:1-Sieg im ersten Spiel der Serie demonstriert hatte. Warum? Mike Bullard suchte und fand eine Antwort. Der Kanadier hatte früher selbst einmal bei den Eisbären gespielt und war dort wegen seiner Kampfkraft so beliebt, dass ihn die Berliner Fans anlässlich der Beendigung seiner Karriere ins Sportforum eingeladen hatten. Bullard war nicht gerade begeistert von dem, was seine Nachfolger da aufs Eis gezaubert hatten: „Die Stars der Eisbären sind gute Spieler für die Hauptrunde und für die erste Runde in den Play-offs. Aber beim nächsten Schritt gibt es Probleme.“

Einen Bullard haben sie eben nicht mehr bei den Eisbären – aber aufgeben mögen sie sich deshalb noch lange nicht. „Unser Vorteil ist doch, dass die Krefelder unbedingt zu Hause die Serie beenden wollen", sagt Stürmer David Roberts. „Also ist der Druck bei den Krefeldern und nicht bei uns.“ Das klingt doch ein wenig konstruiert und war die rhetorische Fortsetzung der unnützen Kringel, die Roberts zuvor auf dem Eis gedreht hatte. Der einstige Torjäger läuft seiner Form ebenso hinterher wie seine fünf amerikanischen Landsleute, die den Eisbären in der Hauptrunde noch zu ihren erstaunlichen Erfolgen verholfen hatten. Es waren die Tore von David Roberts, Mark Beaufait und Kelly Fairchild, die den Traum der Eisbären von der Meisterschaft hatten reifen lassen. In den Play-offs ist wenig bis gar nichts von ihnen zu sehen. Von der deutschen Meisterschaft reden jetzt andere – die Krefelder.

Am späten Freitagabend war es eben allein am Psychologie-Fan Pierre Pagé, noch einen Hauch von Optimismus im Sportforum zu verstreuen. Zu vorgerückter Stunde wurde der Frankokanadier im kleinen Kreis dann doch ein wenig lauter und bemühte eine eigenwillige Metapher. „Ich höre von manchen Spielern, die Presse würde zu großen Druck auf die Mannschaft ausüben. Was soll das, wen stört der Druck der Presse, wenn er mit Schlittschuhen und Schläger auf dem Eis steht? Wer mit diesem Druck nicht klarkommt, der soll, bitte schön, die Küche verlassen.“

Dieses semantische Meisterwerk steht sinnbildlich für die amerikanischen Partys, die sich nun mal vor allem in der Küche abspielen. Wenn die Küche geschlossen ist, ist die Party vorbei. Genau das könnte den Eisbären heute Nachmittag passieren .

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