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Razzia beim DFB: Wie geht es weiter mit dem Deutschen Fußball-Bund?

Deutschlands wichtigste Fußballfunktionäre sind wegen der Vergabe der WM 2006 im Visier der Staatsanwaltschaft. Alle Fragen und Antworten zur Affäre um den größten Einzelsportverband der Welt.

Die Affäre um die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland hat eine neue Stufe erreicht. Nun ermittelt die Staatsanwalt Frankfurt wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung gegen den Präsidenten des Deutschen Fußball-Bunds (DFB), Wolfgang Niersbach – und gegen seinen Vorgänger Theo Zwanziger sowie den früheren Generalsekretär Horst R. Schmidt. Der größte Einzelsportverband der Welt steht nun vor einer Zerreißprobe.

Warum erfolgte der Zugriff jetzt?

Vor zweieinhalb Wochen veröffentlichte der „Spiegel“ Vorwürfe über angebliche Schwarze Kassen vor der WM 2006 in Deutschland. Der DFB hatte vorab selbst mitgeteilt, eine Zahlung von 6,7 Millionen Euro im April 2005 sei damals womöglich nicht, wie zunächst angegeben, einem Fifa-Kulturprogramm zugute gekommen. „Sofort nach Erscheinen des Artikels wurde ein Beobachtungsvorgang angelegt“, sagt die Oberstaatsanwältin Nadja Niesen von der zuständigen Frankfurter Behörde. „Danach gingen alle Abläufe insgesamt sehr schnell.“

Trotzdem vergingen 18 Tage, bevor die Ermittler einen Durchsuchungsbefehl vom Amtsrichter erhielten und ausrückten. Ob das nun ein forsches oder zögerliches Vorgehen war, darin sind sich Experten uneins. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft mit Spezialgebiet Wirtschaftskriminalität gilt als gründlich.

„Einen solchen Antrag schreibt man bestimmt nicht mit heißer Nadel“, sagt der Berliner Strafrechtsanwalt Thomas Röth, „auch der Amtsrichter wird sich bei einem prominenten Fall wie dem DFB besonders bemüht haben, einen rechtsmäßigen Beschluss zu fassen.“ Denn bei Verfahrensfehler könnten beschlagnahmte Beweise nicht verwendet werden.

Geht es „nur“ um Steuerhinterziehung?

Seit der Verurteilung von Mafiaboss Al Capone gelten Steuerdelikte als Einfallstor, um Zugriff in undurchsichtige Geflechte zu erhalten. An wen und wofür die 6,7 Millionen Euro flossen, ist bislang ungeklärt. Je nachdem, wie die Antwort lautet, könnten verschiedene Straftatbestände vorliegen: Untreue oder Bestechung etwa. Doch sind die Verjährungsfristen bei diesen Vergehen relativ kurz und schon verstrichen.

Bliebe nur der Verdacht auf Steuerhinterziehung, um ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen. Hier läuft die Frist erst nach zehn Jahren ab, wenn ein „besonders schwerer Fall“ vorliegt – und der dürfte vorliegen. Der DFB hatte die 6,7 Millionen Euro in seiner Steuererklärung für 2006 als abzugsfähige Betriebsausgabe geltend gemacht, um weniger Körperschaftssteuer zu zahlen. Er hätte damit hunderttausende Euro an Steuern gespart. Falls es sich bei den Zahlungen um Schmiergeld gehandelt haben sollte, wäre das nicht steuermindernd: Seit einer Gesetzesänderung 1999 lassen sich Bestechungen im Ausland nicht mehr als „nützliche Aufwendungen“ von der Steuer absetzen.

Was passiert nun?

2007 erging der Steuerbescheid für den DFB. Die Ermittler haben also jetzt erstmal Zeit zu klären, was der Zweck der Zahlung war und ob er wirklich steuerbefreiend wirkte. „Wir sind noch ganz am Anfang der Ermittlungen“, sagt die Frankfurter Oberstaatsanwältin Niesen. Bis die Ermittler alle Dokumente gesichtet haben, könnten Monate vergehen.

Als Beschuldigte könnten Niersbach, Zwanziger und Schmidt von ihrem Schweigerecht Gebrauch machen und Akteneinsicht verlangen. Die Ermittler könnten weitere Unterlagen einfordern und den Kreis der Beschuldigten erweitern – etwa, wenn durch Zufallsfunde in den Akten weitere Ungereimtheiten auftauchen. Bleibt es beim Vorwurf der Steuerhinterziehung, drohen den Beteiligten Haftstrafen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren.

Wie reagiert der DFB?

Zunächst schmallippig. Über die Direktion Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit versendete der weltgrößte Sportfachverband am frühen Nachmittag eine dünne Erklärung, worin der Verband den Ermittlern vollständige Kooperation zusichere. Das Anrücken der Steuerfahnder sei als „unschön“ empfunden worden, doch dann hätten die DFB-Mitarbeiter sich daran gemacht, ihre Tagesthemen professionell abzuarbeiten, hieß es aus Frankfurt.

Sollte Niersbach für die Zeit der Ermittlungen sein Amt ruhen lassen, wäre das DFB-Präsidium für die konkrete Geschäftsverteilung zwischen Rainer Koch und Reinhard Rauball als den beiden „Ersten Vizepräsidenten“ zuständig.

Was wird aus Niersbach?

Bis vor zwei Wochen konnte sich Wolfgang Niersbach stets als Saubermann unter den Fußball-Funktionären präsentieren. Gab es neue Skandale um die Fifa, war es immer wieder Niersbach, der lückenlose Aufklärung forderte und die Zustände anprangerte. Die Vorwürfe gegen ihn bringen den 64-Jährigen nun doppelt in die Bredouille.

War er tatsächlich mitverantwortlich für die Steuerhinterziehung oder war er ein Mitwisser, ist er eigentlich nicht mehr tragbar. Und wenn Niersbach wirklich gar nichts davon wusste, obwohl er Vizepräsident des WM-Organisationskomitees war, dann ist es ein Zeichen seiner Inkompetenz.

Ein Wechsel an der Verbandsspitze könnte folgen

Wer könnte auf Niersbach folgen?

Dazu möchte sich niemand aus dem Führungszirkel äußern, doch in Gesprächen mit DFB-Insidern fallen zwei Namen immer wieder: Rainer Koch und Reinhard Rauball. Der 57 Jahre alte Koch, vom Beruf Richter, genießt hohes Ansehen im Verband. Zudem ist Koch Präsident des Bayerischen Fußball-Verbandes und des Süddeutschen Fußball-Verbandes.

Auch der Dortmunder Rechtsanwalt Rauball ist gut beleumundet. Mit 32 Jahren war er jüngster Präsident der Bundesligageschichte. 2007 wurde er Präsident des Liga-Verbandes und ist als Vorstand der Deutschen Fußball-Liga Chef aller 36 Profiklubs. Im Dezember aber wird Rauball 69 Jahre alt und wäre daher nur eine Übergangslösung, da er nicht für eine zweite Amtszeit (Altersgrenze 70) kandidieren dürfte. In einer Doppelspitze könnte Koch für die Amateure zuständig sein, Rauball für die Profis.

Welche Rolle spielt Zwanziger?

Der 70-Jährige hat mit seiner Zusammenarbeit mit dem „Spiegel“ die Affäre losgetreten. Ob er dies tat, weil es zwischen ihm und Niersbach zum Bruch kam, oder weil der Jurist sein Unrechtsbewusstsein stillen möchte, ist dabei die große Frage. Dabei wurde er durch seine Enthüllungen ja selbst zum Mitverdächtigen.

Zwanziger macht sich wegen der Ermittlungen jedoch keine Sorgen. Er wisse, „dass er keine Konsequenzen zu befürchten“ habe, teilte er mit. Stattdessen lässt er nun rechtliche Schritte prüfen, weil Informationen über die Ermittlungen vorab an Medien weitergegeben worden seien.

Was ist mit Franz Beckenbauer?

Die Zahlung der 6,7 Millionen Euro hatte das Organisationskomitee (OK) der WM 2006 veranlasst. Die drei Vizepräsidenten dieses Gremiums, Niersbach, Zwanziger und Schmidt, werden der Steuerhinterziehung beschuldigt. Nur der OK-Präsident offenbar nicht: Franz Beckenbauer. „Dazu kann ich nichts sagen“, sagte Oberstaatsanwältin Niesen.

Von einer Razzia bei Beckenbauer wurde zunächst nichts bekannt. Das mag damit zusammenhängen, dass der 70-Jährige in Kitzbühel wohnt. Doch bei Rechtshilfegesuchen über die Landesgrenzen hinaus kooperieren Deutsche und Österreicher meist gut. Hausdurchsuchungen bei mehreren Verdächtigen erfolgen meist zeitgleich, um die Verdunklungsgefahr zu verringern.

„Die Vermutung liegt nahe, dass sie bei Beckenbauer zu wenig in der Hand hatten“, sagt Strafrechtsanwalt Röth. Ähnliches könnte bei Beckenbauers Vertrauten Fedor Radmann und bei Günter Netzer gelten, die beide im OK-Umkreis tätig waren und heute in der Schweiz leben.

Welche Konsequenzen hat die Razzia?

Die Bundesregierung, so wirkt es, beschränkte sich bisher darauf, Aufklärung vom DFB zu fordern. Dabei saßen der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble und sein Vorgänger Otto Schily im Aufsichtsrat des WM-OK 2006 und wären folglich mit getäuscht worden. Bundesinnenministerium und Kanzleramt lassen derzeit intern ihre Akten prüfen. Der DFB lässt die Vorgänge derzeit von der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer extern untersuchen. Auch der Weltverband Fifa und dessen Ethikkommission prüfen die Akten.

Die Affäre wirft kein gutes Licht auf den deutschen Verband, der sich derzeit wieder als Ausrichter eines Großturniers bewirbt: für die Europameisterschaft 2024. Über die Vergabe wird 2017 entschieden, ebenso wie über die Bewerbung Hamburgs für Olympia 2024. Wegen der Affäre befürchtete man beim Deutsche Olympischen Sport-Bund „einen negative Beigeschmack für den gesamten Sport“, wie DOSB-Vizepräsident Walter Schneeloch kürzlich der „WAZ“ sagte. „Das ist auch eine Gefahr für Hamburgs Olympia-Bewerbung.“ Am 29. November entscheidet die Hamburger Bevölkerung über die Bewerbung der Hansestadt für die Sommerspiele 2024.

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