RB Leipzig: Die Spalter der Fußballnation
Der Getränkegigant Red Bull klopft mit seinem umstrittenen Projekt RB Leipzig ans Tor zur Zweiten Liga.
Wer die besten sächsischen Fußballspieler bewundern will, muss Dresden und Leipzig den Rücken kehren, 150 Kilometer fahren und am Ausgang des Lößnitztals rechts abbiegen. Im von Wismut-Kumpeln und Sowjetsoldaten in die Botanik gepflanzten Erzgebirgsstadion spielt der FC Erzgebirge Aue. Der Zweitligist handelt nach Grundsätzen, die man im Profifußball mit der Lupe suchen muss: Es wird nur das Geld ausgegeben, das da ist.
Vor der Konkurrenz aus Dresden müssen sich die Auer nicht fürchten. Dynamo wird auf Jahre hinweg von einem Vermarkter zur Ader gelassen, wird von der Stadion-Miete erdrückt. Die Fehler der Vergangenheit stehen der Zukunft im Weg.
Leipzig ist ein anderes Kaliber. Die von Red-Bull-Tycoon Dietrich Mateschitz alimentierten Rasenballer sind auf der Überholspur. Sie sollen in die Bundesliga, irgendwann die großen Bayern und ganz Europa aufmischen. Aktuell wollen die Männer von Red-Bull-Fußball-Chef Ralf Rangnick und Cheftrainer Alexander Zorniger den Saison-Slogan „Ab durch die Dritte!“ mit Leben füllen. Ein Sieg gegen Darmstadt 98 heute (14 Uhr/MDR live) im ehemaligen Zentralstadion, inzwischen Red-Bull-Arena, wäre ein entscheidender Schritt in Richtung Zweitliga-Aufstieg. Dem Verlierer des Spitzenspiels droht dagegen bei noch drei verbleibenden Saisonspielen die Relegation – womöglich gegen Dynamo Dresden.
Der Hit Zweiter gegen Dritter zieht über 30.000 Zuschauer an. Mit einem Schnitt von 15.000 Fans ist RB der Zuschauermagnet in Liga drei. Eine Etage höher wird mit 25.000 Fans pro Heimspiel gerechnet. Das Trainingszentrum in Sichtweite zur Arena wächst und gedeiht und wird am Ende über 30 Millionen Euro verschlungen haben. Fußballchef Rangnick setzte der firmeneigenen Fußballakademie Anfang 2013 die Krone auf und verpflichtete die Nachwuchs-Superhirne des VfB Stuttgart, Frieder Schrof und Thomas Albeck. Die haben schon Sami Khedira und Mario Gomez geformt. Rangnicks Devise: „Ich will an allen Stellschrauben die Besten.“
„Think big!“ lautet auch das Motto von Dietrich Mateschitz. Sein Fußball-Projekt RB Leipzig bringt ihm bei allen Kosten einen wunderbaren Ertrag. Die Brause ist auch dank des ungewöhnlichsten deutschen Sport-Projekts der vergangenen Jahrzehnte sprichwörtlich in aller Munde. Selbst wenn der Sponsor aufgrund der deutschen Fußballstatuten nicht im Vereinsnamen auftauchen darf. RasenBallsport Leipzig teilt die Fußball-Nation; der Klub lässt keinen kalt und bringt Quote. Gegenwind gibt es jede Menge. So flatterten vorm RB-Spiel bei Rot-Weiß Erfurt Flyer durchs altehrwürdige Steigerwaldstadion. Botschaft: Heute spielt „Leidenschaft gegen Berechnung“ und „Tradition gegen Kalkulation“. Berechnende Rasenballer gewannen 2:0.
Dass in der Redaktion des Fußball-Kultur-Magazins „11Freunde“ immer dann ein Fläschlein geköpft wird, wenn es den Dosen-Teufeln schlecht ergeht, ist nur ein Gerücht. Dass die Bewahrer von Ehre und Tradition ein Problem mit RB haben, ist bekannt. Via Titelgeschichte bekamen unlängst alle ihr Fett weg. Mateschitz, DFB, Rangnick, Zorniger, die ansässigen Medien (anschmiegsam, katzbuckelnd). RB stehe für „fusselfreies, cleanes Entertainment für die ganze Familie, planbar und überraschungsarm wie ein Musicalbesuch. Wer die Atmosphäre in der Arena elektrisierend findet, hält sicher auch beim siebten Besuch von Starlight Express die Spannung kaum aus.“
Auch die Dortmunder Macher Reinhard Rauball und Hans-Joachim Watzke haben ein Problem mit „Rasenschach Leipzig“ (Watzke) und verstehen sich als Beschützer von Traditionen. In der Gefühlswelt dieser Männer haben die 2009 gegründeten Rasenballer keinen Platz.
Dietrich Mateschitz retournierte routiniert. „Natürlich sind traditionelle Werte wichtig, vor allem in Bereichen wie Kunst und Kultur. Aber Tradition ist kein Verdienst, alt werden Dinge von selber. Wenn man heute beispielsweise einen Bösendorfer Flügel mit genauso viel meisterlichem Können und Geschick baut wie vor 100 Jahren, dann hat dieser dieselbe Wertigkeit wie der, der im Museum steht. Der einzige Unterschied zwischen dem FC Barcelona, Bayern München und RB Leipzig ist in 500 Jahren der, dass diese Klubs 600 Jahre alt sind und wir 500 Jahre.“
Eingefleischte Fans des 1. FC Lok Leipzig oder des FC Sachsen trifft man in der Red-Bull-Arena nicht. Die RB-Spiele werden vornehmlich von neutralen Fußball-Freunden besucht. Von Leipzigern, die genug haben von kreisenden Polizei-Hubschraubern bei viertklassigen Derbys. Die es leid sind, dass der Fußball ausgerechnet in der Stadt der Helden am Boden liegt. In Leipzig wurde der DFB 1900 gegründet, 1903 wurde der VfB Leipzig erster Deutscher Meister. Wie lang wird es wohl dauern, bis wieder ein Meister aus Leipzig kommt?
Guido Schäfer