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Der Teufel kickt in Sachsen. RB Leipzig polarisiert – und könnte irgendwann mal den Bayern gefährlich werden?

© imago/Picture Point

RB Leipzig in der Bundesliga: Der Osten braust auf

Mit dem 2:0-Sieg gegen den Karlsruher SC zieht Rasenballsport Leipzig in die Bundesliga ein. Ein Portrait des Aufsteigers, der polarisieren wird.

Es ist ein Freitagabend, ein ganz besonderer Tag für eine Fraktion der Leipziger Fußballfans. Vor 40 Jahren gewann Lokomotive Leipzig seinen ersten Titel. Neun Spieler des FDGB-Pokalsiegers von 1976 sind zur Jubiläumsfeier ins Casino am Bruno-Plache-Stadion im Stadtteil Probstheida gekommen. Es riecht nach DDR. Ein Fan, erst Ende 20, betrachtet stolz sein signiertes Mannschaftsbildchen in Siebziger-Jahre-Ostcolor. 20 Autogrammjäger sind zum Festakt des heutigen Fünftligisten erschienen. Die Schar ist überschaubarer als die der Fußballanhänger, die sich unweit an der Haltestelle Prager-/Russenstraße in die Straßenbahn drängeln. Sie wollen zum großen Fußball. Sie tragen nicht blau-gelb, sondern rot-weiß – die Farben von Rasenballsport Leipzig. Und das im „blau-gelben Stadtteil“, wie in blau auf gelben Grund am Lok-Stadion zu lesen ist.

Ein Anhänger von Lokomotive hat das zur Straßenbahnhaltestelle eilende Fanvolk beobachtet. Er schüttelt den Kopf. „Was geht mich dieses Gesindel an?“

Das „Gesindel“ ist eine mehr als 30.000 Menschen starke Menge, und die wird auch am Sonntag wieder das Bruno-Plache-Stadion liegen lassen und in die Arena im Zentrum strömen: Dort kann Rasenballsport Leipzig mit dem Sieg gegen den Karlsruher SC den Aufstieg in die Bundesliga feiern.

Von Liga fünf in Liga eins in sieben Jahren

Feiern? Gibt es dafür wirklich einen Grund? Ist der Aufstieg des mit Brausemillionen gepamperten Teams nicht das Ende abendländischer Fußballkultur? Oder ist es vor allem begrüßenswert, dass fast 30 Jahre nach der Wiedervereinigung erstmals ein Ostklub mit Ambitionen in der Bundesliga spielen wird und bald eine Mannschaft stellt, die dem FC Bayern Konkurrenz machen kann?

Von Liga fünf in Liga eins in sieben Jahren – es ist ein vom österreichischen Konzern Red Bull finanzierter Aufstieg. Der Brausehersteller hat sich 2009 den Fünftligisten SSV Markranstädt einverleibt und ihn mit einem fast sinnfreien Namen etikettiert. Hauptsache, die Initialen „RB“ ließen sich ableiten. Der eingekaufte Erfolg ohne Fußballgeschichte im Hintergrund, ohne Fanhistoriker, die in der dritten Generation Anhänger sind und romantische Rasengeschichten mindestens aus den Siebzigern am Kneipentresen oder auf der Auswärtsfahrt erzählen können. So etwas geht doch nicht?

Die Frage nach der Moral des Leipziger Fußballprojektes nervt Matthias Kießling. Er hat sie zu oft gehört in sieben Jahren, und er wartet auf den Tag, an dem in den großen Berichten über seinen Klub das Sportliche in den Mittelpunkt rückt. „Aber so weit sind wir immer noch nicht“, sagt er. „Vielleicht dann kommende Saison in der Bundesliga.“ Kießling hat den Werdegang des Klubs vom Anfang bis jetzt begleitet. Sein Auftritt im Internet ist inzwischen in der Fußballszene ein Begriff – das gut sortierte und flapsig-gründlich moderierte Portal „Rotebrauseblogger“ ist von einem Hobby zu seiner Teilzeitbeschäftigung geworden. Bei jedem Spiel ist Kießling dabei.

Fan-Anfeindungen mit Nazivergleichen

Er hat Aue vor gut einem Jahr erlebt. Beim Spiel gegen Leipzig hielten Auer Fans Transparente in die Höhe: „Ein Österreicher ruft und ihr folgt blind, wo das endet, weiß jedes Kind. Ihr wärt gute Nazis gewesen!“ Dazu war dann Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz auf einem Transparent mit Hakenkreuzbinde abgebildet. Nebengeräusche dieser Qualität begleiten RB Leipzig bei fast jedem Auswärtsspiel. Zuletzt in Kaiserslautern haben sie Willi Orban, ehemaliger FCK-Profi, ins Visier genommen – mit Fadenkreuzplakaten und den üblichen plakativen Beleidigungen („Willi ist voll und ganz ein Fußballer mit kleinem Schwanz“). Orban hat gesagt, dass er glaube, den Vereinsverantwortlichen fehlten die „Eier“, um auch mal Stopp zu sagen. Blogger Kießling lächelt das weg. Er sagt, derlei Vorfälle würden zu sehr herausgestellt. So viel passiere inzwischen gar nicht mehr, wenn RB auswärts antrete. Im Osten sei es mitunter eh schlimmer gewesen als im Westen.

Die Attacken kämen von rechts – politisch gesehen, sagt Kießling. Im Kern stünden die RB-Fans nämlich links. So wie er selbst. Zum Beispiel würden Begegnungen mit dem FC St. Pauli auch auf den Rängen eher freundschaftlich denn emotional begleitet. Die Politik des Klubs mit den Fans beschreibt er als engagiert, RB würde aber auch nicht übertrieben viel eingreifen. Gegen Pyrotechnik und politische Statements im Stadion hätten die etwas, aber sonst sei das okay.

Die Gegner werden bei einem Aufstieg nicht mehr aus dem Osten kommen. Ein Vierteljahrhundert haben die Klubs mit DDR-Vergangenheit in der Bundesliga erst kaum eine und zuletzt keine Rolle mehr gespielt. Energie Cottbus, Dynamo Dresden und Hansa Rostock waren schon oben, sie spielen nun alle in der dritten Liga. Dresden steigt zwar auf, aber die dritte Klasse ist zu großen Teilen alte DDR-Oberliga. Und Leipzig? Gab es schon in der Bundesliga, ja in der Saison 1993/94 gelangen dem VfB ganze drei Siege. Ein paar Jahre und eine Vereinspleite später machte der Traditionsklub wieder als Lokomotive weiter.

Aber ist RB besser, weil unverbrauchter?

RB Leipzig ist schon vor dem Aufstieg eine Marke. Wer polarisiert, der interessiert.

Blogger Kießling sagt, Vereine wie der VfB Stuttgart seien „jetzt auch kein Wohltätigkeitsklub“. Bei einer Mitgliederversammlung von Bayern München würden vielleicht zwei Prozent der Mitglieder teilnehmen. Bei welchen großen Profiklubs hätten die Fans denn ernsthaft ein Mitspracherecht?

Mag stimmen, aber der Fall Red Bull ist speziell: Der Konzern ist der Klub, er hat sich in die Stadt eingekauft. Das alte Leipziger Zentralstadion, nach dem Umbau für die WM 2006 eines der schönsten im Land, heißt „Red-Bull-Arena“ – gehört allerdings noch dem Unternehmer Michael Kölmel. Das Stadion liegt im gediegenen Teil des Zentrums, auch Sportdirektor und Trainer Ralf Rangnick wohnt dort. Die Farben der Stromkästen im Stadtteil sind von RB-Fans rot und weiß gepinselt worden. Ihre Gegner haben Schmähworte darauf geschrieben, „Hurensöhne“ ist noch das Harmloseste. RB polarisiert aber sonst immer mehr im Verborgenen in Leipzig. Früher krachte es schon mal, wenn sich die Fans von RB und Lok bei gleichzeitig angesetzten Spielen am Hauptbahnhof begegneten. Heute ist Rot-Weiß an Spieltagen im Zentrum omnipräsent, Gelb-Blau bleibt in Probstheida. Die RB-Zuschauer sind jung, viele kleine Jungs mit Bullenlogokäppis bevölkern die Straßenbahn und das Stadion.

Zeugt es nun von mehr Moral, ein Trikot mit dem Sponsor „Wiesenhof“ (Werder Bremen) oder „Gazprom“ (Schalke) zu tragen? Das ist in Leipzigs Arena nicht mehr das Thema. Ist ja auch eher selten im Leipziger Stadion, der Mateschitz, dessen Engagement in der Fußballszene schon Verletzung der Spielregeln nachgesagt wurde – wegen Untergrabung der 50+1-Regel, die besagt, dass jeder Klub die Mehrheit an der Profiabteilung halten muss. RB widerspricht vielleicht dem Grundgedanken der Regel, verstößt aber nicht gegen sie, denn es gibt in Leipzig keine ausgelagerte Profiabteilung. Allgemein wird kolportiert, dass die die Deutsche Fußball-Liga RB Leipzig wohl akzeptiert, damit der Ostfußball diese eine Chance Leipzig hat.

Tradition ist Nostalgie, nicht Realität

Gertjan Verbeek, Trainer des Leipziger Zweitliga-Konkurrenten VfL Bochum, hat kürzlich gesagt: „Immer wieder gibt es Diskussionen – Traditionsverein oder nein. Ich stelle nur fest: In Leipzig waren am letzten Sonntag 23.000 Zuschauer, hier kommen nur 11.000.“

Tradition ist eben Nostalgie und nicht Realität. Im Osten und in Leipzig schwärmen viele Fußballfans von Lok oder Chemie. Zu einer groß angekündigten Jubiläumsfeier wie am Freitag vergangener Woche im Casino bei Lok kommen sie deshalb noch lange nicht. Nostalgie praktizieren, das ist frustrierend und uninteressant. Fußball lebt von seiner Aktualität und nicht von Jubiläen. Vor 50.000 Zuschauern im Berliner Stadion der Weltjugend siegte Lok im Mai 1976 3:0 gegen Vorwärts Frankfurt/Oder. Heute ist Lok als Einziger aller Klubs bis Liga fünf herunter in dieser Saison noch ungeschlagen. Der Fan mit dem Autogrammfoto, sagt er stolz, als er sich auf den Heimweg von der Feier macht. „Mit zwei Jahren bin ich zum ersten Mal hier gewesen, vor 27 Jahren. Das wird man nicht mehr los.“ Ist wohl so. Und zu Rasenballsport sagt er noch: „Hoffentlich steigen die nicht auf.“

Nostalgie in Fanhand. Bild mit Unterschriften der Lok-Idole von 1976.
Nostalgie in Fanhand. Bild mit Unterschriften der Lok-Idole von 1976.

© Claus Vetter

Das hat sich im Zweitliga-Endspurt nun nicht mehr vermeiden lassen. Für die Leipziger Fußballfans mit weniger romantischen Erlebnissen spielt ab der nächsten Saison der RB Leipzig in der Bundesliga.

Vorstandschef Oliver Mintzlaff sagt, RB habe eine „ganz klare, relativ saubere Gehaltsstruktur“ und daran werde sich auch nach einem Aufstieg „nichts ändern“. Zweistellige Millionentransfers bestreitet Mintzlaff nicht. Aber wenn alle Vereine mal ihre Spielergehälter offenlegen würden, dann sei RB „höchstwahrscheinlich nicht“ auf dem ersten Platz in der Zweiten Liga. Der Etat soll im ersten Bundesliga-Jahr im Mittelfeld liegen, später wachsen. In dieses Konzept passt die Verpflichtung von Ralph Hasenhüttl. Der Österreicher gilt nach erfolgreicher Arbeit in Ingolstadt als aufstrebender Trainer. Rangnick hat ihn daher geholt, er will künftig nur Sportdirektor sein.

Der Osten braust nach oben. Dieser Klub ist schon eine Marke, bevor er überhaupt in der Bundesliga spielt. Das ist was. Wer polarisiert, der interessiert. Womöglich werden kommende Bundesliga-Saison mehr Fans von Berlin bis Leverkusen Gastspiele von RB verfolgen als Gastspiele von Ingolstadt oder Hoffenheim. Wenn es in der Bundesliga weiter nach oben geht, dann soll das in das alte Zentralstadion eingelassene neue Stadion von 43.000 Plätzen auf 56.000 Plätze erweitert werden.

Matthias Kießling sagt, es sei sein Traum, dass das Produkt einmal so gut ist, um sich vom Sponsor emanzipieren zu können. Allein von Red Bull abhängig zu sein, muss das Überleben nicht sichern. Das Hickhack um den vor ein paar Tagen fast und dann doch nicht geschlossenen Red-Bull-TV-Sender „Servus TV“ war keine in dieser Hinsicht Mut machende Geschichte. Was, wenn der Mateschitz keine Lust mehr hat? „Wird nicht passieren, solange der lebt“, glaubt Matthias Kießling und lächelt. Die Mission, die Bundesliga aufzumischen, beginne ja jetzt erst.

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