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Sport: Real Madrid auf dem Lausitzring

Colin Sullivan liebt Fußball. Das ist für einen Engländer nichts Ungewöhnliches, auch seine Liebe zum Rennsport teilen viele Landsleute mit ihm.

Colin Sullivan liebt Fußball. Das ist für einen Engländer nichts Ungewöhnliches, auch seine Liebe zum Rennsport teilen viele Landsleute mit ihm. Doch weil der Multimillionär aus Essex tief in sich außerdem noch den Experimentiergeist eines Lord Sandwich trägt, entstand vor gut drei Jahren die Idee zur wohl skurrilsten Fusion der Sportgeschichte. Premier1 Grand Prix heißt der Bastard aus Kicken und Motorsport, der im Juli 2002 an den Start gehen soll.

Der Ansatz ist gleichermaßen simpel und kurios: 24 internationale Fußballklubs sponsorn die Teams einer Formel-1-ähnlichen Rennserie, die in zehn Läufen ihren Meister ermittelt. Die Fahrer sind nicht etwa unzufriedene Ersatzbankdrücker der Vereine, sondern professionelle Rennfahrer aus der zweiten Reihe oder solche, die ihren fahrerischen Zenit schon ein wenig überschritten haben. Am Anfang ist Sullivan mit seinem bizarren Anliegen noch von allen Seiten verspottet worden. Jetzt geht es langsam, aber sicher voran. Der portugiesische Rekordmeister Benfica Lissabon war der erste Klub, der das Wagnis einging und dem staunenden Publikum im heimischen Estadio da Luz einen Renner in Vereinsfarben präsentierte. Wenig später schloss auch der englische Erstligist Leeds United einen Vertrag mit Premier1 Grand Prix.

Danach tat sich lange Zeit nichts, auch wenn von verantwortlicher Seite immer wieder zu hören war, dass mindestens 30 Spitzenmannschaften Interessenbekundungen abgegeben hätten. Klar, schließlich erhält jeder Verein umgerechnet mehr als zwei Millionen Mark für seine Teilnahme an der Rennserie. "Das Interesse der Fußballklubs an unserem Projekt war überwältigend", sagt Robin Webb, Ausführender Direktor der Rennserie. Und so wurden denn auch kürzlich mit Feyenoord Rotterdam (Holland) und dem RSC Anderlecht (Belgien) zwei weitere Teilnehmer vorgestellt. Die Beweggründe der Vereine zum Beitritt sind dabei stets die gleichen: weltweite TV-Präsenz, die Eröffnung völlig neuer Märkte und das enorme Fan-Potenzial.

Sullivans Plan, die beiden größten Zuschauergruppen im Sport miteinander zu verknüpfen, scheint aufzugehen. Denn das Fernsehen entscheidet über Erfolg oder Misserfolg einer modernen Sportart. Deshalb hat er sich mit dem ehemaligen Formel-1-Programmchef der BBC, Keith MacKenzie, einen Fachmann geholt, der ihn bei Verhandlungen mit den größten TV-Stationen unterstützen soll.

Im Formel-1-Establishment beobachtet man die Entwicklung mit Argwohn. Zwar hat die internationale Rennsportorganisation Fia vor kurzem ihr vorläufiges Okay gegeben, dennoch macht deren Präsident Max Mosley keinen Hehl daraus, was er von P1GP hält: "Ich bin mir nicht sicher, ob Rennsportfans in Scharen kommen würden, wenn wir eine Fußballliga mit von Formel-1-Teams gesponsorten Mannschaften gründeten." Auch Ron Dennis, Teamchef des Formel-1-Rennstalls McLaren, lässt kaum ein gutes Haar an der neuen Konkurrenz: "Es ist eine absurde Idee. Ich sehe keinen Grund, warum es funktionieren sollte. Zumal auch keine richtig guten Rennfahrer daran teilnehmen werden."

Diese Einschätzung mag darin begründet sein, dass Dennis kein allzu großer Fußballfan ist. Unter den Fahrern finden sich einige Landsleute, die mit Fußball mehr anzufangen wissen. Johnny Herbert, zum Beispiel, würde liebend gern für Premier1 an den Start gehen, allerdings nur unter der Bedingung, dass er für sein Lieblingsteam fahren kann. "Wenn Chelsea dabei ist, bin ich deren Mann", schwärmt der ehemalige Teamkollege von Michael Schumacher. Das Reglement reizt den derzeitigen Testfahrer von Arrows. Da alle Autos mit den gleichen Chassis und 750-PS-starken Motoren ausgerüstet werden, ist der Fahrer wieder verstärkt im Mittelpunkt des Geschehens. "Es wäre toll, gegen Nigel und Damon zu fahren, wenn wir alle die gleichen Wagen hätten", sagt Herbert.

Tatsächlich sind Nigel Mansell und Damon Hill, die beiden ehemaligen Formel-1-Weltmeister, als Piloten im Gespräch. Beide haben mit 48 und 42 Jahren zwar die besten Zeiten schon hinter sich, aber als Publikumsmagneten eignen sie sich allemal. Und Publikum ist das Zauberwort bei P1GP. Die Rennen finden fast ausnahmslos auf ehemaligen Grand-Prix-Strecken statt. Mit Zandvoort in Holland, Donington in England und Rio de Janeiro stehen drei Höhepunkte im Kalender.

Deutscher Austragungsort wird der Lausitzring sein. Wer dort sein Heimspiel absolvieren wird, ist noch nicht bekannt, laut Premier1 steht man aber mit namhaften Bundesliga-Klubs in Verhandlung. Gemessen am hehren Anspruch, nur die besten Teams in den elitären Kreis aufzunehmen, kommt man natürlich am aktuellen Champions-League-Sieger Bayern München nicht vorbei. Doch die eigenwilligen Bayern haben erwartungsgemäß wenig übrig für derlei Kinkerlitzchen. Vor einem Dreivierteljahr, berichtet Pressesprecher Markus Hörwick, seien Verantwortliche von Premier1 GP an sie herangetreten. "Die Entscheidung hat keine halbe Stunde gedauert", sagt Hörwick verächtlich. "Wir sind ein Fußballklub und sollten uns deshalb darauf konzentrieren, was von uns erwartet wird: Fußball spielen." Auch die schnell verdienten zwei Millionen Mark ließen den deutschen Rekordmeister nicht weich werden, selbst wenn Hörwick von "noch ganz anderen Summen" spricht, die im Raum gestanden hätten. Laut P1GP steht man dennoch mit namhaften deutschen Klubs in Verhandlungen, deren Ergebnisse Anfang Dezember präsentiert werden sollen.

Obwohl gerüchteweise sogar der vermeintlich reichste Klub der Welt Manchester United mit der neuen Rennserie in Verbindung gebracht wird, dürfte ein Großteil der 30 interessierten Klubs wohl eher aus Italien und Spanien stammen. Die akute Finanznot der dort ansässigen Vereine wird dem ein oder anderen Präsidenten ein schnelles "Ja" abgerungen haben. Es ist also auf jeden Fall noch spannend, wer denn tatsächlich am 14. Juli 2002 in Estoril auf den Startplätzen stehen wird. Und wer weiß, vielleicht fahren der AC Florenz oder Real Madrid noch in zwanzig Jahren den Steuerfahndern auf und davon.

Christian Hönicke

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