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Für viele Fans sind Stadionverbote mitunter willkürlich. Da hilft nicht mal mehr Sarkasmus.

© dpa

"Rechtsstaatlich unerträglich!": Verfassungsrechtler Zuck über Stadionverbote

Rechtsanwalt Prof. Dr. Holger Zuck ist Verfassungsrechtler aus Stuttgart und Experte in Sachen Stadionverbot. Unsere Kollegen von 11Freunde sprachen mit ihm über Sippenhaft und Hausverbot.

Professor Holger Zuck, was sind Ihrer Meinung nach aus verfassungsrechtlicher Sicht die größten Probleme bezüglich der aktuellen DFB-Stadionverbotsrichtlinien?

Für diese Antwort muss ich etwas weiter ausholen.

Bitte.

Erstens: Vor der Verhängung eines Stadionverbotes findet keine Anhörung des Betroffenen statt. Eine Anhörung vor einer Sanktion ist in einem Rechtsstaat aber eine Selbstverständlichkeit. Dies gilt auch für privatrechtliche Fußballvereine und für den DFB, zumal der DFB sich beim überregionalen Stadionverbot letztlich wie der Staat aufspielt. Diese Rolle steht ihm aber nicht zu. Außerdem findet vor einem Stadionverbot keine eigene Sachaufklärung durch den Verein statt. Eine Prüfung des Einzelfalles gibt es nicht. Es geht letztendlich um Sippenhaft. Der Satz "Mitgehangen, mitgefangen" hat in einem Rechtsstaat mit Grundrechtsschutz aber nichts verloren, sondern gehört dahin verbannt, woher er stammt – ins Mittealter!

Und zweitens?

Holger Zuck: Ein Stadionverbot hat weitreichende zusätzliche Folgen. Bei einem Vereinsmitglied des FC Bayern München führt es beispielsweise automatisch zum Verlust der Vereinsmitgliedschaft und der Dauerkarte. Das stellt einen weitreichenden Eingriff in die persönliche Handlungsfreiheit und in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen dar. Berücksichtigt werden solche Folgesanktionen aber nicht. So etwas nennt man Strafen ohne Maß. Auch das geht in einem Rechtsstaat nicht. Drittens: Eine strafrechtliche Verurteilung ist nicht erforderlich. Es genügt ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren, welches später wegen Geringfügigkeit eingestellt wird. Hierdurch läuft die Unschuldsvermutung, die in einem Rechtsstaat ein Schutzgut von hohem Gewicht ist, leer: Der bestrafte Fan wird dazu gezwungen, selbst seine Unschuld zu beweisen. Das kann er aber in den meisten Fällen gar nicht – dazu hätte er sich ja vorsorglich z.B. die ganze Zeit selbst filmen lassen müssen.

Der DFB bezeichnet die für jedermann zugänglichen Stadionverbotsrichtlinien ausdrücklich als Präventivmaßnahmen. Wie stehen Sie dazu?

Wenn ein Fan für etwas bestraft wird, ohne dass ihm aktive Teilnahme nachgewiesen werden kann, geht es beim Stadionverbot nicht darum, das Verhalten dieses Fans zu sanktionieren. Es geht stattdessen ausschließlich um Generalprävention, also darum, den anderen Fans zu zeigen: »Schaut her, dass kann euch passieren, auch wenn ihr nur mit einer Gruppe gewaltbereiter Fans mitlauft.« Generalprävention ist aber kein isolierter Strafzweck, sondern nur eine Nebenfolge. Außerdem: Wenn die Beteiligung eines Fans an Ausschreitungen nicht nachgewiesen ist, geht es beim Stadionverbot auch nicht um Gefahrenabwehr, also um eine Maßnahme, die verhindern soll, dass der Fan sich noch einmal an Ausschreitungen beteiligt. Es geht vielmehr um das Gefahrenvorfeld – der Fan könnte sich in einem anderen Fall vielleicht doch einmal an Ausschreitungen beteiligen.

Die Sicherheitskräfte argumentieren damit, dass dadurch mögliche Gefahren im Stadion abgewendet werden – und dadurch der Fußball sicherer gemacht wird.

Maßnahmen im Gefahrenvorfeld muss ein Rechtsstaat bei international tätigen Terrororganisationen hinnehmen. Bei Fans, denen noch nicht einmal die Mitgliedschaft in einer gewaltbereiten Fangruppe nachzuweisen ist, ist so etwas aber rechtsstaatlich unerträglich.

Lesen Sie auf Seite 2, warum Stadionverbote rechtlich zweifelhaft sind.

Um ein Stadionverbot auszusprechen, reichen bereits eingeleitete Ermittlungen der Sicherheitskräfte. Ist das rechtlich einwandfrei?

Das ist alles andere als rechtlich einwandfrei. In einem Rechtsstaat gilt die Unschuldsvermutung – bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt der Verdächtigte oder Angeklagte als unschuldig. Das Stadionverbot nimmt also eine strafrechtliche Sanktion vorweg, die noch gar nicht fest steht. Schlimmer aber wiegt, dass das Ermittlungsverfahren erst dann als Grund für ein Stadionverbot wegfällt, wenn das Ermittlungsverfahren ohne Wenn und Aber eingestellt wird.

Das müssen Sie erklären.

In vielen Fällen stellen die Staatsanwaltschaften Ermittlungsverfahren wegen Geringfügigkeit ohne Geldbuße ein. Das kann geschehen, weil der Beitrag zu den Auseinandersetzungen nur denkbar gering war. Das kann aber auch geschehen, um sich weitere zeitraubende Ermittlungen zu ersparen, also aus Bequemlichkeit. Die DFB-Richtlinien müssten daher einen Wegfall des Stadionverbots auch bei einer Einstellung wegen Geringfügigkeit ohne Geldbuße vorsehen. Sonst hängt das Stadionverbot mitunter von der bloßen Zufälligkeit ab, ob die Staatsanwaltschaft zu Ende ermittelt hat oder nicht.

Der DFB betont, seit einiger Zeit »einzelfallbezogen« reagieren zu wollen, weg von der bisherigen Vorgabe »Massen in Gewahrsam« – ist damit das Problem der »Sippenhaft« aufgehoben?

Es ist zu bezweifeln, dass der DFB das überhaupt kann. Dazu müssten er oder sein Mitgliedsverein selbst in die Prüfung des Falles einsteigen. Außerdem ist fraglich, wer das für ihn machen soll – Zugriff auf einen polizeilichen Ermittlungsapparat, der diese Prüfungsarbeit für ihn erledigt, hat er nun einmal nicht.

Das Streitthema Nummer eins zwischen betroffenen Fans und den Vereinen, dem DFB und der Polizei ist vor allem die Verhältnismäßigkeit des Stadionverbots als Strafe. Wie stehen Sie dazu?

Die Verhältnismäßigkeit des Stadionverbots ist in zweierlei Hinsicht in Frage zu stellen. Wenn ein Fan sich nachgewiesenermaßen an Ausschreitungen beteiligt, kommt zwar auch ein Stadionverbot in Betracht. Selbst ein Stadionverbot für ein einzelnes Stadion wird aber immer voraussetzen, dass dem Verein als Eigentümer ein materieller Schaden entstanden ist. Wer Stadionordner verprügelt, oder Vereinseigentum beschädigt, hat Hausverbot verdient – keine Frage.

Und der Rest?

In den Fällen unterhalb dieser Schwelle wird es aber schwierig. Maßnahmen zur Deeskalation tun es schließlich auch, insbesondere, wenn die möglichen Maßnahmen noch gar nicht voll ausgeschöpft sind. Ein Stadionverbot nach den DFB-Richtlinien kommt ebenfalls nur bei nachgewiesener Teilnahme an Ausschreitungen in Betracht. Allerdings muss man berücksichtigen, dass in solchen Fällen auch eine strafgerichtliche Sanktion erfolgt. Strafen im Übermaß sind verboten. Also müsste das Strafgericht beim Strafmaß berücksichtigen, dass der Täter zusätzlich ein Stadionverbot erhalten hat. Sonst wird das Übermaßverbot verletzt.

Das Interview führte Alex Raack. Quelle: 11Freunde

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