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Michael Müller, 50, geboren und aufgewachsen in Berlin, ist seit Dezember 2014 Regierender Bürgermeister. Der SPD-Politiker muss manchmal auch glitschige Themen anpacken.

© dpa

Regierender Bürgermeister Michael Müller: "Mir imponierte Muhammad Ali - und Miroslav Klose"

Michael Müller will die Olympischen Spiele nach Berlin holen. Er ist selbst ein leidenschaftlicher Ruderer. Was Müller am Rudern besonders fasziniert und was Sport mit Berliner Politik zu tun hat, erzählt er im Interview.

Herr Müller, rudern Sie eigentlich noch?
Nein, leider nicht.

Platz genug für einen Ergometer hätten Sie hier in Ihrem Büro.
Ich würde gerne wieder rudern, weil ich immer draußen Sport gemacht habe, Tennis, Basketball, Rudern. Jetzt paddle ich manchmal mit einem Freund, Stand Up Paddling auf dem Surfbrett, da war ich auch schon ein paar Mal mit auf dem Wannsee. Rudern ist leider sehr zeitintensiv. Man fährt raus, rudert, muss das Boot reinholen, saubermachen, wieder zurückfahren. Da ist ein halber Tag nötig.

Sie haben mal gesagt, Rudern sei Ihr Lieblingssport. Wo haben Sie denn gerudert?
Angefangen habe ich beim SRVW, beim Schüler-Ruderverband Wannsee, danach habe ich in Tegel gerudert, meine Eltern hatten da einen kleinen Garten.

Und in welchem Boot haben Sie gesessen?
Man fängt an im Wandervierer, um zu lernen. Dann Doppelzweier, Skiff. Für den Achter bin ich zu klein. Die im Achter sind alle über 1,90. Mit 16, 17 wächst man ja kaum noch. Und dann ist es schnell die Entscheidung zum Leistungssport: Die Ruderer für den Achter wurden sofort extra trainiert. Der Deutschland-Achter ist das Beste, was es gibt.

Sie hätten ja auch als Steuermann im Boot sitzen können?
Dafür war ich wiederum zu groß. Aber ich habe meinen Obmann-Schein gemacht, ich kann ein Boot also als Steuermann führen.

Wenn Sie ans Rudern denken, welche Bilder haben Sie da vor Augen?
Es ist eine ganz besondere Atmosphäre, vor allem morgens und abends auf dem Wasser. Das ist wunderbar, manchmal ist man völlig alleine. Damals zu West-Berliner-Zeiten auf dem Kleinen Wannsee konnte man nie ganz rumfahren. Wir sind da im wahrsten Sinne des Wortes an Grenzen gestoßen. Das war auch noch mal ein bewusstes Erleben als Berliner. Ich habe mich nie eingesperrt gefühlt, aber da ist mir deutlich geworden: bis dahin und nicht weiter.

Hatten Sie mal ein unangenehmes Erlebnis an der Grenze?
Als Ruderer nicht, aber der Garten meiner Eltern lag am Wasser. Da bin ich als Kind im Schlauchboot rumgepaddelt und habe ein bisschen geträumt. Offenbar war ich zu weit gefahren, nichts Dramatisches, nichts Böses, aber es war sofort ein Schnellboot da und hat mich mit der Bugwelle zurückgedrängt.

Ist das Ihre einzige merkwürdige Erinnerung ans Wasser?
Zweimal sind wird bei den Ruder-Wanderfahrten richtig abgesoffen. Boot vollgeschlagen. Nach Hause schwimmen. Alles, was dazugehört.

Was fasziniert Sie am Rudern? Das Meditative, der Rhythmus, das Naturerlebnis?
Ich liebe Wassersport. Ich bin gesurft. Ich habe mir ein Fitnessstudio ausgesucht mit Sportbecken, damit ich schwimmen kann. Und ja, Rudern ist ein besonderer Sport. Es werden nicht ständig Kommandos geschrien. Wenn man ein eingespieltes Team ist, kann man eine Zeit lang in Ruhe für sich und trotzdem zusammen fahren. Es ist eine besondere Erfahrung, was es für eine Anstrengung braucht, bis man so eingespielt ist.

Das heißt, Sie saßen lieber zu zweit oder viert im Boot als alleine?

Ja, es hört sich vielleicht komisch an für jemanden, der es noch nicht gemacht hat: Aber es macht richtig Spaß, wenn man das gemeinsame Eintauchen merkt. Man hört das dann kaum noch. Auf die Sekunde genau tauchen alle vier gleich ein, ziehen gleich durch und haben eine Geschwindigkeit, die sich ständig weiterentwickelt. Man kann einen Sprint einlegen oder wieder ruhiger rudern. Wenn es so ganz selbstverständlich funktioniert, ist es richtig schön.

Beim Wasser kann es Berlin ja durchaus mit Hamburg aufnehmen.
Selbstverständlich! Denken Sie auch an das großartige Wassergebiet am Müggelsee. In den 40er und 50er Jahren ging es in den Liedern immer um den Wannsee, und auch in unserer Familie wurde am Wochenende immer gesagt: raus. Ja und wohin? Na zum Wannsee, logisch. Aber es gibt viel mehr, gerade auch der Müggelsee ist phantastisch.

Schauen Sie denn bei Olympischen Spielen besonders aufs Rudern?
Ja, die Ruderwettbewerbe schaue ich immer. Meine Zeit war Peter-Michael Kolbe. Das Duell mit Pertti Karppinen war so spannend wie das beim Zehnkampf zwischen Jürgen Hingsen und Daley Thompson. Das war die Hölle.

Herr Müller, gibt es für Sie einen herausragenden olympischen Moment?

Ganz stark für mich ist Muhammad Ali, als er 1996 in Atlanta das olympische Feuer entzündet hat. Mein Vater hat mich früher nachts geweckt für Boxkämpfe, die wir zusammen geguckt haben. Meine Mutter ist da fast verrückt geworden. Und dann 1996 Ali zu sehen, mit Parkinson, in diesem weißen Anzug, das ist ein ganz starkes Olympiabild.

Gibt es eine sportliche Leistung, die Sie inspiriert hat?
Mir imponieren Sportler, die eine Sportart über einen langen Zeitraum dominieren. Da sind wir wieder bei Ali, oder, was die jüngere Vergangenheit betrifft, bei Miroslav Klose. Da haben sich doch viele gefragt: Ist der nicht zu alt? Und dann fährt er mit zur WM nach Brasilien und schießt entscheidende Tore. Solche Sportlergeschichten machen mir Spaß.

In der Politik sind Sie nun doch Steuermann geworden. Und haben acht Senatoren vor sich.
Ja, aber da muss man doch auch noch selbst zum Riemen greifen.

Rudern ist in der Politik oft negativ besetzt, wenn etwas aus dem Ruder läuft oder ein Politiker zurückrudert.
Oder das Ruder rumreißt. Aber damit ist, glaube ich, auch eher das Steuerruder von größeren Dampfern gemeint.

Gibt es etwas in der Politik, was Sie an sportliches Verhalten erinnert?
Klar, Politik ist natürlich auch sportlicher und fairer Wettbewerb – um die richtigen Entscheidungen, auch um Stimmen. Und ja, es gibt auch versteckte Fouls im Sport wie in der Politik. Da gibt es Dinge, die einem auch mal wehtun. Wenn etwas passiert, was nicht alle sehen können und etwas nicht geahndet wird. Ein Tritt ans Knie ist nicht schön, aber wenn es dafür keine Gelbe Karte gibt, ist das doppelt ärgerlich.

Klaus Wowereit ist Fan von Hertha BSC. Wem drücken Sie die Daumen?

Auch ich gehe gern zu Hertha, aber genauso zu Union oder zu Alba oder den Eisbären. Nur bei den Füchsen war nicht noch nicht, aber bevor Sie jetzt fragen: Nein, das liegt nicht an Frank Steffel...

... dem Klub-Präsidenten und CDU-Bundestagsabgeordneten...
...der fragt mich immer mal wieder, ob ich nicht kommen will, aber bisher hat es einfach nicht geklappt, irgendwas kommt immer dazwischen. Und ganz großartig ist Wasserball, eine völlig zu Unrecht unterschätzte Sportart. Es sagen ja alle, da sieht man nichts. Falsch: Wenn Sie nah am Beckenrand sitzen, bekommen Sie verdammt viel mit!

Gibt es etwas, worum die Politik den Sport beneiden kann?
Vielleicht den Mannschaftsgeist, an dem man sehr hart arbeiten muss. Wenn man unsere Nationalmannschaft sieht, wenn über einen langen Zeitraum ein Team heranreift, dann ist das schön. Das ist in der Politik selten, dass etwas über einen längeren Zeitraum zusammenwächst. Das liegt in der Natur des Geschäfts. Sie werden als Politiker zu Teilen unabhängig vom eigenen Wirken durcheinandergewürfelt. Man kommt in unterschiedliche Funktionen. Es finden Wahlen statt, der eine wird gewählt, der andere nicht mehr. Da ist es nicht leicht, etwas kontinuierlich aufzubauen.

Politik ist mehr eine Ansammlung von Einzelkämpfern als ein Mannschaftssport?
Es gibt auch in der Politik Freundschaften und Teams. Etwa zwischen Klaus Wowereit und mir. Wir haben viele Jahre vertrauensvoll zusammengearbeitet ohne bösartige Konkurrenz. Aber das ist in dieser Intensität eher die Ausnahme.

Können Sie eine gewonnene Wahl genießen wie einen sportlichen Erfolg?
Für eine gewonnene Wahl ist selten einer allein verantwortlich, da sind wir dann doch vor allem eine Mannschaft. Da würde ich eher an eine besonders gute Rede denken, wenn es einem in 30 oder 40 Minuten gelingt, andere so von einer Sache zu überzeugen, dass man sein Vorhaben verwirklichen kann, zum Beispiel einen besonders wichtigen Antrag gegen Widerstände durchbringen.

Noch mal zu Ali: Er war früh Weltmeister, dann wurde ihm der Titel aberkannt, er verschwand in der Versenkung und feierte ein kaum mehr erwartetes Comeback. Erkennen Sie sich darin wieder?
Um Himmels willen, Ali ist der größte Sportler aller Zeiten, nie würde ich es wagen, mich mit ihm zu vergleichen.

Es ging mehr um die Wellenbewegung seiner Laufbahn.
Ich war ja nie ganz weg, aber was ich lernen musste, war: Weitermachen, auch wenn es mal nicht schön ist. Wenn es um die Integration von Jugendlichen geht, reden wir ja oft davon, wie wichtig der Sport ist, vor allem die Erfahrung, gemeinsam zu siegen. Ich sage: Viel wichtiger ist die Erfahrung, gemeinsam zu verlieren! Damit umgehen, das muss man immer wieder im Leben. Es war für mich nicht lustig oder schön als Landesvorsitzender meiner Partei abgewählt zu werden. Erfolge nimmt man dann natürlich besonders intensiv wahr.

Sie haben sich im Zuge der Olympiakampagne sehr intensiv mit dem Sport auseinandergesetzt. Verstehen Sie jetzt besser, wie der Sport tickt?
Ich staune darüber, wie alle Fragen im Sport sehr schnell sehr emotional werden, bei Befürwortern wie Kritikern des Olympiaprojekts. Und interessant finde ich, wie offen die Gesellschaft auch den Sport und seine Verbände hinterfragt: Was bedeutet Transparenz? Wer verdient an welchen Sponsorenverträgen? Das ist gut so. Ähnlichen Fragen müssen wir uns in Demokratien als Politik ja auch jeden Tag stellen. Es ist richtig, dass sich der DOSB mit demokratischen, transparenten Spielen ganz im Sinne der IOC-Reformagenda bewerben möchte. Berlin steht dafür bereit.

Sie sind in der Nähe des Flughafens Tempelhof groß geworden. Mit diesem Gelände hatten Sie große Pläne, jetzt liegt es weitgehend brach und wird gern von Freizeitsportlern genutzt. Auch von Ihnen?
Klar. Ich bin da öfter mit dem Fahrrad, meine Kinder gehen da mit Freunden grillen. Wir nutzten das Tempelhofer Feld für unsere Freizeitgestaltung genauso wie andere. Aber das alles wäre übrigens auch bei einer Randbebauung möglich gewesen. Letztens erst hat mir einer gesagt: Ich hab jetzt erst mitbekommen, dass die Fläche in der Mitte frei bleibt. Hätte ich das gewusst, hätte ich auch für die Bebauung gestimmt.

Das Gespräch führten Friedhard Teuffel und Sven Goldmann.

Berlin oder Hamburg - wer hat Olympia eher verdient? In einer gemeinsamen Sonderausgabe von ZEIT und Tagesspiegel haben wir zwei sportliche Gespräche mit den Bürgermeistern der beiden Städte geführt. Das Interview mit dem Hamburger Olaf Scholz finden Sie hier. Die komplette Sonderbeilage "Kampf der Städte" finden Sie im E-Paper vom 12. März 2015.

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