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Der Reifenhersteller Pirelli wird derzeit scharf kritisiert. Nun wird über neue Sicherheitskonzepte nachgedacht.

© REUTERS

Reifendiskussion in der Formel 1: Pirelli: Und plötzlich verstummt die Kritik

Geplatzte Reifen und wütende Fahrer kratzen derzeit am Image des Reifenherstellers Pirelli, doch vor dem schnellsten Rennen des Jahres schweigen die Kritiker plötzlich.

Sebastian Vettel wollte nicht mehr über die Reifen reden. Es gebe doch vor dem Rennen in Monza eine ganze Menge andere Themen, über die man sprechen könne, sagte der viermalige Formel-1-Weltmeister. Das verwunderte ein wenig, denn nach dem letzten Rennen in Spa wollte der Ferrari-Pilot über nichts anderes reden als über seinen Hinterreifen. Nachdem der ihm in Belgien ohne Vorwarnung kurz vor Schluss regelrecht explodiert war, griff er den Hersteller Pirelli öffentlich scharf an: „Es muss mal gesagt werden: Die Qualität der Reifen ist miserabel. Demnächst knallt einer in die Wand.“

Vor dem Ferrari-Heimrennen in Monza zeigte sich Vettel deutlich weniger angriffslustig. Er sprach stattdessen davon, dass der Reifenhersteller Pirelli bei der Aufklärung „sehr offen“ und „sehr professionell“ gewesen sei. Offensichtlich hat bei dem viermaligen Weltmeister der politische Druck gewirkt, dem einzigen Formel-1-Reifenlieferanten nicht zu sehr gegen das Schienbein zu treten. Wie schon zuvor bei Nico Rosberg, der Vettel in seiner harten Pirelli-Kritik zunächst unterstützt hatte. Auch Rosberg hatte in Spa ein Reifenplatzer ereilt. Der Mercedes-Pilot hatte danach recht unverblümt Zweifel an Pirellis Erklärung geäußert, der Defekt sei durch Einwirkung von außen zustande gekommen. Zwei Tage später tat er plötzlich so, als sei das alles kein großes Drama.

Anregungen aus der Flugbranche

Auch die anderen Fahrer wollen sich an dem Thema offenbar lieber nicht die Finger verbrennen. Obwohl es um ihre eigene Sicherheit geht, blieben vor dem Rennen in Italien konkrete Forderungen zumindest in der Öffentlichkeit aus. Selbst die Aussagen von Alexander Wurz, einst Pilot und heute Präsident der Fahrergewerkschaft GPDA, bewegen sich mehr im Bereich der Hoffnung.

Ein Vorteil in Monza sei, dass trotz der Höchstgeschwindigkeiten auf den langen Geraden „wenigstens die Belastung durch hohe Kurvengeschwindigkeiten nicht so hoch ist“. Aber grundsätzlich, so Wurz, müsse man mit Pirelli auch über langfristige Lösungsmöglichkeiten reden. „Es gibt neue Technologien aus der Flugbranche, die nach dem Concorde-Unglück entwickelt wurden. Systeme, die dafür sorgen, dass ein Reifen nicht mehr einfach platzen kann, sondern die Luft nur langsam entweicht.“

Für die Piloten muss man hoffen, dass sie wenigstens hinter den Kulissen deutlicher auf schnelle Lösungen hingewirkt haben. Denn Monza ist der schnellste Kurs des Rennkalenders, auf dem Spitzengeschwindigkeiten von mehr als 360 km/h erreicht werden. Um weitere Reifenplatzer zu vermeiden, hat Pirelli „aus Sicherheitsgründen“ neue, deutlich verschärfte Limits für den minimalen Reifendruck und den Sturzwinkel herausgegeben.

Hülkenberg: "Kein Grund zur Sorge"

Kritik an der Qualität der Reifen weist Pirelli aber weiterhin von sich. Untersuchungen hätten als Ursachen der Platzer eine Kombination aus zu starker Abnutzung durch zu langes Fahren und besondere Belastungen durch viele Kleinteile auf der Strecke ergeben, die ungewöhnlich viele Mikroschnitte im Gummi bewirkt hätten. Es gebe „keinerlei strukturelle Probleme“ beim Reifenaufbau. Der Automobil-Weltverband Fia gab sich mit dieser Erklärung zufrieden. Dabei lassen die neuen Vorgaben von Pirelli durchaus die Vermutung zu, dass es grundsätzliche Probleme mit den Reifen gibt, die man nur nicht offen kommunizieren will.

Für Nico Hülkenberg ist das dennoch zumindest offiziell kein Grund zur Sorge. „Wenn es da wirklich etwas gäbe, was an der grundsätzlichen Reifenkonstruktion geändert werden müsste, dann hätte man das jetzt sowieso nicht auf die Schnelle tun können“, sagte der Force-India-Pilot.

Im Moment seien die veränderten Vorgaben „wohl das einzig Mögliche und wohl auch der richtige Weg“. Zumindest einige Ingenieure sind sich da aber nicht so sicher. Sie glauben, dass die veränderten Vorgaben auch neue Probleme wie Blasenbildung und Überhitzung hervorrufen könnten. Eine gewisse Portion von Fatalismus schwingt deshalb schon mit, wenn Hülkenberg sagt: „Na ja, am Freitag, wenn wir wirklich gefahren sind, wissen wir mehr.“

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