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Reiten: Tempelhofer Ablenkung

Bei aller Begeisterung über das neue Hauptstadt-Turnier gerät die Krise des Reitsports in den Hintergrund.

Ein neues Turnier – das ist genau das, was der Reitsport zur Zeit brauchte. Und dann auch noch eines, das in spektakulärer historischer Umgebung derart viel Aufsehen auf sich zieht wie das neue Hauptstadt-Turnier im ehemaligen Flughafen Tempelhof. Ein Turnier, das von allen Beteiligten über alle Maßen gelobt wird. Bei all den positiven Meldungen der vergangenen fünf Turniertage gerät schnell in Vergessenheit, dass die Nachrichten rund um den Reitsport sich seit gut einem Jahr überwiegend um Dopingvorwürfe drehten. Und dass die Verantwortlichen in Warendorf dabei oft keinen besonders souveränen Eindruck machen.

Daran erinnerte die Dressurreiterin Heike Kemmer am Rande des neuen Hauptstadt-Turniers – trotz aller Euphorie, die sie als Berlinerin für die Neugründung empfindet. Denn nach der Auflösung aller olympischen Kader durch die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) im Mai dieses Jahres steht die Neubildung des Dressur-Kaders nach wie vor aus. „Die Bundestrainer werden jetzt die Listen mit mir durchgehen, und hoffentlich im November die Kader wieder neu aufstellen“, sagte Kemmer, die auch Aktivensprecherin der Sparte Dressur ist. Man merkt der zweifachen Mannschaftsolympiasiegerin an, wie sehr sie diese Situation nervt. „Der Verband hat alles durcheinandergerührt“, sagt Kemmer.

Zumindest die Springreiter haben seit Freitag wieder einen Kader – ohne Ludger Beerbaum und Christian Ahlmann, die die Hauptauslöser der Dopingdebatte waren. Ersterer ist nach seinen umstrittenen Aussagen zum Einsatz von Medikamenten nun nur noch im B-Kader, Letzterer war nach positiver Dopingprobe für zwei Jahre für alle deutschen Kader gesperrt worden. Beide starteten aber am Sonntagnachmittag beim abschließenden „Großen Preis von Deutschland“, landeten jedoch abgeschlagen auf den Plätzen zehn (Ahlmann) und elf (Beerbaum). Es siegte der zweimalige Mannschaftsolympiasieger Lars Nieberg.

Es ist fraglich, ob die Hauruck-Aktion der FN den gewünschten Schritt in Richtung Glaubwürdigkeit gebracht hat. Für viele der Reiter hat sie nur die Glaubwürdigkeit der FN-Funktionäre infrage gestellt. „Es ist eine alte Mannschaft, die da in Warendorf sitzt und da schützt sich jeder gegenseitig, weil niemand seinen Posten verlieren will“, sagt Heike Kemmer, die sich besonders über den Umgang mit ihrer Dressur-Kollegin Isabell Werth geärgert hat. Die fünfmalige Olympiasiegerin war nach einer positiven Dopingprobe vom Reiter-Weltverband FEI für ein halbes Jahr gesperrt worden, vom DOSB wurde kürzlich empfohlen, diese Sperre auf ein Jahr zu erhöhen. In beiden Fällen fügte sich die FN umgehend. „Da kann man doch auch mal hausintern drüber reden, ob man dagegen vorgehen will“, sagt Kemmer. Bei der 47-Jährigen hat sich inzwischen Desillusion breitgemacht. „Ich muss mich jetzt auf den Sport konzentrieren“, sagt sie und hofft, dass das Thema der Kader Ende des Jahres abgeschlossen ist. „Das Wichtigste ist, dass dieser Verband endlich Ruhe in sich selbst findet.“

Denn nur dann könne man die Ausgangsfrage angehen: Wie das Problem des schwer definierbaren Übergangs zwischen Doping und Medikation der Pferde im Spitzensport gelöst werden kann.

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