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Sport: Ribbeck leistet den Offenbarungseid

JACKSONVILLE .Auf der Gegentribüne schwenkten Fans ein weißes Laken in der Mittagssonne.

JACKSONVILLE .Auf der Gegentribüne schwenkten Fans ein weißes Laken in der Mittagssonne."Wir wollen Berti!" Doch dieser schlappen deutschen Fußball-Nationalmannschaft kann derzeit wohl nur noch der liebe Gott helfen.Jetzt läßt sie sich sogar schon von den Soccer-Freaks im Football-Land USA vorführen und mit 0:3 bloßstellen.Da gefror selbst das Lächeln des Optimisten Erich Ribbeck im sonnengebräunten Gesicht: "Ein großer Rückschlag für uns alle." Sehr gutes Training, beste Stimmung, katastrophales Spiel, peinliche Niederlage - ein deprimierendes Fazit der ersten Florida-Woche.Schlimmer als bei Berti.

"Die Wahrheit liegt auf dem Platz.Das war schon bei Sepp Herberger so", meinte Uli Stielike, der Trainer, grollend.Und genauso habe sich nichts daran geändert, daß "das Verhalten eins gegen eins das A und O des Fußballs ist".Wenn sie schon keine Künstler seien, sollten sie wenigstens Kerle sein.Stielikes erschütternde Statistik: "Heute haben wir bestimmt achtzig Prozent der Zweikämpfe verloren." Andreas Möller verliert den Ball im Mittelfeld.Markus Babbel greift Jovan Kirovski nicht an.Der Kölner Zweitliga-Kicker drischt den Ball in den Winkel.1:0.Jens Jeremies läßt sich von Tony Sanneh den Ball vom Fuß nehmen.Der Neu-Herthaner schlenzt den Ball an Oliver Kahn vorbei.2:0.Die US-Amerikaner degradieren mit einer fliegenden Kombination die Deutschen zu Statisten, bis der Wolfsburger Reservist Claudio Reyna unbedrängt den Ball nur noch über die Linie schieben muß.3:0.Binnen zehn Minuten demonstrierten drei Bundesliga-Legionäre den Deutschen, wie man Tore herausspielt und schießt.Die aber hatten nicht einmal eine klare Torchance.

In der Halbzeitpause appellierten Ribbeck und Stielike an die Ehre der Spieler.Sie würden "die deutsche Nationalmannschaft und den deutschen Fußball vertreten".Doch nur noch zur Schadensbegrenzung waren die Angesprochenen fähig.Kein Aufbäumen.Wie auch? Ribbeck hatte ja selbst schon nach dem 0:2 resigniert: "Da war das Spiel entschieden.Wir waren kein gleichwertiger Gegner.Die Amerikaner waren uns in der Spritzigkeit, mit der Aggressivität und läuferisch überlegen." Das klang wie der Offenbarungseid des deutschen Fußballs.

Die Abwehr war trotz eines noch zweikampfstarken Marco Rehmer ein Torso, in der auch Lothar Matthäus mehr strauchelte als stabilisierte.Das Mittelfeld mit einem Andreas Möller, der untertauchte, als wäre schon wieder Weltmeisterschaft, und mit einem Jens Jeremies, der Fehler produzierte statt für Furore zu sorgen, blieb Niemandsland.Da auch von den Flügeln, links erst der extrem schwache Alexander Zickler, dann Marco Bode, rechts Lars Ricken, keine Flanken flogen, kamen Olaf Marschall und Michael Preetz überhaupt nicht ins Spiel.

Lag es am harten Training, daß die Spieler im Alltel-Stadion kein Bein auf den Boden bekamen? "Wenn das Training ausschlaggebend gewesen wäre, hätten wir in der zweiten Halbzeit einbrechen müssen.Aber wir sind ja ab der fünften Minute nicht auf dem Platz gestanden", meinte Stielike sarkastisch und ließ weniger sportliche als "menschliche" Enttäuschung anklingen.Den Spielern habe das Bewußtsein dafür gefehlt, und das habe ihn am meisten gestört, was eine Niederlage und eine derartige Leistung mit sich brächten."Wieviele Kritiker an dieser Reise haben zu Hause doch nur auf diesen Moment gewartet."

Immerhin machten sich die Vorgeführten hinterher nichts vor.Oliver Kahn sprach von "einer Blamage, und das ist noch zu wenig.Mit den drei Toren waren wir doch noch gut bedient." Matthäus jammerte: "Es durfte nicht passieren, daß wir uns so abschlachten lassen.Aber heute hat nicht einer, sondern hätten alle elf Hilfe gebraucht." Jeremies redete von einem "Hühnerhaufen", ohne sich selbst als Hahn auszunehmen."Wir waren alle hilflos und müssen uns mal einigen, was wir taktisch eigentlich spielen wollen."

Nach dem vorzeitigen Ausscheiden bei der WM geht der tiefe Fall des Europameisters in die Zweitklassigkeit auch unter dem Vogts-Nachfolger Ribbeck schier unaufhaltsam weiter: 0:1 gegen die Türkei, 3:1 gegen Moldawien und 1:1 gegen Holland mit je einer blamablen Halbzeit, 0:3 gegen die USA.Oliver Kahn hätte nicht geglaubt, daß "der Neuaufbau der Mannschaft so schmerzvoll und langwierig sein kann".Morgen nun folgt der zweite Florida-Teil, das Spiel gegen Kolumbien in Miami.Für Ribbeck eine willkommene Möglichkeit, "den schlechten Eindruck zu verwischen".Auswischen aber kann die Nationalmannschaft die Schmach von Jacksonville nicht mehr.

HARTMUT SCHERZER

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