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Richard von Weizsäcker beim Schwimmen.

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Richard von Weizsäcker: „Unter 18 Grad schwimme ich ungern“

Richard von Weizsäcker ist tot. Der Altbundespräsident war ein großer Politiker - und ein begeisterter Sportsmann, vor allem Schwimmer. Vor zehn Jahren trafen Stephan-Andreas Casdorff und Markus Hesselmann ihn zum Interview über Glücksgefühle im Wasser, aber auch über Tennis, Fußball und Weizsäckers Erlebnisse bei Olympia 1936 - sowie über eine erneute Berliner Olympiabewerbung.

Von

Warum schwimmen Sie so gern, Herr von Weizsäcker?

Die Bewegung im Wasser ist diejenige, die am wenigsten unter dem Altwerden leidet. Ich kann heute weit besser schwimmen als bergsteigen. Warum gucken Sie so misstrauisch?

Weil wir nicht glauben, dass Sie sich alt fühlen.

Ich fühle mich altersgemäß. Es besteht doch gar kein Zweifel, dass man, wenn man älter wird, in der Bewegung zu Fuß nachlässt, sprich beim Laufen oder Steigen, beim Wintersport oder auch beim Mannschaftssport. Die normalen Beschwerden, die an den Hüften und im Rücken und wo auch immer bei jedem älter werdenden Menschen auftreten, machen das Bewegen im Wasser so angenehm.

Schwerelos zu sein?

Ja, natürlich, wenn ich mich ins Wasser lege und vor allem, wenn ich auf dem Rücken schwimme, ist das eben eine wohltuende ordentliche Bewegung, für die Schultern noch mehr als für die Beine. Man streckt sich auch besser als bei irgendwelchen physiotherapeutischen Übungen auf dem Fußboden. Und es ist ja auch ganz legitim, dass beim Sportabzeichen von den fünf Übungen, die man da abzulegen hat, drei im Wasser abgelegt werden können. Das ist vernünftig, denn man möchte auch alten Menschen die Möglichkeit geben, sich daran weiter zu beteiligen, und das geht halt im Wasser besser.

Nehmen Sie selbst immer noch teil?

Nein, jetzt nicht mehr.

Wie oft haben Sie das Sportabzeichen eigentlich gemacht?

Zehnmal. Ich habe ja erst mit 65 Jahren angefangen. Ich hatte einen strengen Staatssekretär, der hat mir gesagt, ich müsste jetzt endlich das Sportabzeichen machen.

Ist Schwimmen für Sie nur Leibesübung oder auch eine Art Meditation?

Leibesübung ohne Zweifel, Meditation ist ein ziemlich hoch gegriffenes Wort. Aber wer in einem schönen See mit schöner Umgebung, in einem See so mit den typischen Wäldern ringsherum, wie es sie in der Mark Brandenburg fast überall gibt, auf dem Rücken schwimmt, den überkommt ein Glücksgefühl. In erster Linie aber schwimme ich, weil es mich erfreut und nicht, um im Wasser zur Lösung eines schwierigen Problems zu kommen, das mir im Gespräch im Trockenen misslingt.

Haben Sie erst im Alter angefangen mit dem Schwimmen oder ist das Schwimmen schon immer Ihr Lieblingssport?

Schwimmen habe ich immer schön gefunden. Die Sportarten, denen ich aus der Kindheit und Jugend immer schon am nächsten stand, waren Teile der Leichtathletik – Springen und Laufen, aber nicht Werfen – und eben Schwimmen. Und dann noch diesen oder jenen Mannschaftssport.

Wir sprechen jetzt von dem aktiven Sport, den Sie selber getrieben haben.

Nun ja, aktiv, das klingt so, als ob ich für Meisterschaften trainiert hätte.

Was war denn Ihr größter sportlicher Erfolg?

Über die kantonale Berner Schulmeisterschaft im 800-m-Lauf hinaus habe ich es nie gebracht. Das war der einzige Test, dem ich mich je ausgesetzt habe.

Wo schwimmen Sie am liebsten?

Dort, wo man die wenigsten Mitmenschen stört und frei losschwimmen kann, vor allem auf dem Rücken, ohne ständig aufpassen zu müssen. Mit anderen Worten: im See. Welche Stadt auf der Welt hat so viele schöne Seen in nahezu jeder Richtung der Umgebung wie Berlin?

Haben Sie da einen Lieblingspunkt?

Ja. Den sage ich Ihnen aber nicht.

Aus Gründen der Sicherheit?

Nein, mit Sicherheit hat das gar nichts zu tun. Eher damit, dass ich nachher dann weniger für mich bin.

Wie sollte das Wasser sein, in dem Sie schwimmen?

Das Problem des Schwimmens in den Seen ist natürlich die Wassertemperatur. Es gibt Leute, die schwimmen das ganze Jahr durch, zu denen gehöre ich bei weitem nicht. Wiederum ein Produkt des Alters ist, dass zu kaltes Wasser den Bewegungsorganen hinderlich ist.

Wie viel Grad sollten es denn sein?

Unter 18 Grad schwimme ich ungern.

Das ist noch ziemlich kühl.

Das geht gerade noch zum kurzen Schwimmen. 23 Grad sind natürlich schöner.

Wann fangen Sie an im Jahr, wann gehen Sie nach draußen, gehen Sie im Mai, gehen Sie im Juni draußen schwimmen?

Ich erinnere mich daran, vor zwei oder drei Jahren schon im Mai angefangen zu haben, im vergangenen Jahr glaube ich am 1. Juli. Und in diesem Jahr im Juni.

Wie oft gehen Sie schwimmen?

Das ist eine Frage der Zeit. Leider kann ich nicht jeden Tag schwimmen gehen.

Sie würden gern, wenn Sie könnten?

Wenn ich könnte, gern.

In Ihrer Zeit in Bonn sind Sie jeden Tag geschwommen.

Ja, dort bin ich viel geschwommen. Obwohl das nicht so leicht war dort. Mein dritter Vorgänger, Gustav Heinemann, war ein großer Schwimmer, er schwamm in Godesberg in einem Bad, damals, während des Übergangs von der 68er-Bewegung in Richtung auf die RAF. Daraufhin hat die Sicherheit ihm das Schwimmen in einem öffentlichen Bad mehr oder weniger untersagt, und es wurde ein kleines Schwimmbad auf dem Gelände der Villa Hammerschmidt gebaut. Das habe ich dann kräftig benutzt, als ich 15 Jahre später in dieses Haus kam.

Ein eigenes Becken. Der Traum des Rückenschwimmers.

Ja, trotzdem ist der See schöner.

Schwimmen Sie denn nicht am allerliebsten im Meer? Das ist doch noch mal schöner als in einem See.

Ja, sehr gern. Im Meer ist man auch etwas kälteunempfindlicher. Das liegt an der Dünung und so weiter. Also in einer etwas kälteren Nordsee und Ostsee schwimme ich lieber als bei derselben Temperatur in Binnenseen, aber das Meer ist ja von Berlin aus ganz schön weit weg.

Die Ostsee ist doch die Badewanne Berlins.

Das war einmal. Früher fuhr man noch mit dem Zug über Swinemünde nach Heringsdorf und so weiter. Früher war die so genannte Badewanne Usedom mit dem Zug über Swinemünde zu erreichen. Das geht leider nicht mehr.

Gehen Sie, wenn Sie müssen, auch ins Hallenbad? Oder hören Sie dann auf zu schwimmen im Winter?

Nein, nein, im Winter schwimme ich auch ein bisschen.

Welches Freibad mögen Sie in Berlin? Im Prinzenbad in Kreuzberg haben Sie mal beim Anbaden mitgemacht.

Da habe ich noch ein schlechtes Gewissen, wenn ich daran denke.

Warum?

Wir haben dort ein 50-m-Wettschwimmen gemacht. Und ich bin Sekundenbruchteile zu früh ins Wasser gesprungen. Und das hat mir einen besseren Platz verschafft, als ich verdient hätte.

Der Kampfrichter hat sich nicht getraut, Sie zurückzurufen?

Ich habe mich ja selber gemeldet. Das war ja nicht so furchtbar ernst.

Aber dass Sie das heute noch wissen, zeigt, dass das schlechtes Gewissen Sie immer noch plagt.

Ja. Der beste Schwimmer dabei war Andreas Wecker, der Turn-Olympiasieger. Er war sehr nett, es war überhaupt alles sehr schön. Da hatte mich jemand eingeladen. Und ich machte gerne mit, weil ich gerne dazu beitrage, viele Menschen von der Schönheit des Schwimmens zu überzeugen.

Sind Sie öfter im Prinzenbad?

Es war nicht das einzige Mal, dass ich da war, aber es ist doch nicht das nächstgelegene Bad für mich, daher bin ich da eher ein seltener Gast. Wie aber überhaupt im Ganzen zu sagen ist, dass der Mangel an Schwimmmöglichkeiten für mich ein weiterer Grund dafür ist, dass ich den Sommer lieber habe als den Winter.

Würden Sie Berlin als eine Schwimmer-freundliche Stadt bezeichnen?

Berlin ist eine wasserreiche Stadt. Im Vergleich zum Beispiel zu Stuttgart, wo ich geboren bin, aber nur kurz gelebt habe, bevor wir nach Berlin gezogen sind. Im Halensee habe ich während meiner Schulzeit den Freischwimmer gemacht und den Fahrtenschwimmer. Das war Ende der Zwanzigerjahre. Dann war ich in Bern drei Jahre in der Schule, da gab es nur den kalten, wunderschönen reißenden Aare- Strom. Man ging die Aare aufwärts Richtung Thun und dann sprang man da einfach rein, oberhalb der Berner Stadtbrücken, dort wo die Aare zuläuft auf die Stadt Bern. Das ist wunderbar dort. Da läuft man rauf, geht rein und lässt sich runtertreiben. Man kann mit äußerster Kraft vielleicht mal ein paar Sekunden auf der Stelle bleiben, wenn man gegen die Strömung anschwimmt. Es war schwer, dort zu schwimmen. Aber man konnte im Fluss schwimmen. Im Rhein zum Beispiel geht das ja nicht überall.

Klaus Töpfer hat es gemacht, vor Fernsehkameras.

Der wollte beweisen, dass der Fluss wieder sauberer geworden ist. Das war dort ein gutes Werk. In Berlin hätte er das nicht machen müssen. Da gibt es genug sauberes Wasser zum Schwimmen.

Sie sind ja ein richtiger Lokalpatriot.

Na ja, nun, Berlin ist eben eine wasserreiche Stadt. Und wunderbar grün. Das ist doch schön. Ich habe mal Mrs. Thatcher am Flugplatz Gatow abgeholt, als ich hier Regierender Bürgermeister war. Sie wollte zum Reichstag gebracht werden. Wir fuhren zusammen los, nach 20 Minuten sagte sie: „Der Pilot hat mich auf dem falschen Flugplatz abgesetzt. Ich wollte doch nach Berlin. Wir fahren hier die ganze Zeit nur an Bäumen und Wasser vorbei.“ Nun ja, wenn man aus London kommt oder aus Paris oder aus solchen Städten, fällt einem das eher auf als vielen unserer manchmal undankbaren Berliner Mitbürger, die all diese Schönheiten gewohnt sind.

Der Läufer: Zum Sportabzeichen, das Richard von Weizsäcker zehnmal machte, gehört natürlich auch das Laufen. In dieser Disziplin erzielte Weizsäcker auch seinen größten sportlichen Erfolg, wie er selbstironisch erzählt: "Über die kantonale Berner Schulmeisterschaft im 800-m-Lauf hinaus habe ich es nie gebracht."
Der Läufer: Zum Sportabzeichen, das Richard von Weizsäcker zehnmal machte, gehört natürlich auch das Laufen. In dieser Disziplin erzielte Weizsäcker auch seinen größten sportlichen Erfolg, wie er selbstironisch erzählt: "Über die kantonale Berner Schulmeisterschaft im 800-m-Lauf hinaus habe ich es nie gebracht."

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Erleben Sie das auch immer wieder, dass die Berliner extrem kritisch sind mit ihrer Stadt?

Die Berliner meckern immer gern, und das ist ja eine sehr nette Eigenschaft. Da kann man sich mit Vergnügen dran beteiligen.

Sie treiben gern selbst Sport. Schauen Sie auch gern anderen beim Sport zu?

Im Fernsehen, ja. Tennis zum Beispiel. Wie die Venus Williams gegen die Davenport in Wimbledon kürzlich den dritten Satz noch zu ihren Gunsten umgedreht hat, das war einfach faszinierend.

Sitzen Sie dann entspannt auf der Couch oder gehen Sie richtig mit?

Ich finde Damentennisturniere schon sehr interessant, Herrentennis ist oft etwas zu kurzatmig in den Ballwechseln. Bei den Damen kann man so richtig die Entwicklung eines Punktgewinns erleben, wie er aufgebaut wird. Aber ich habe schon als Kind in Berlin bei Tennisturnieren gerne zugeguckt. Und in Wimbledon. Da war ich 1937 während eines Aufenthalts in Großbritannien. Das war eine Zeit, wo einer, der als Deutscher erkennbar war, in Großbritannien gemieden wurde. Die Familie, bei der ich lebte, bekam von ihren Nachbarn bei Einladung eine Mitteilung, sie könnten aber nur kommen ohne den deutschen Gast. Dann haben die natürlich gesagt, wir bringen ihn entweder mit oder wir kommen alle nicht. Kurzum, ich habe noch erlebt, wie es mit dem Ruf eines Deutschen damals stand. Und dann stand da in Wimbledon Gottfried von Cramm auf dem Platz. Das war der einzige Deutsche, soweit ich es erlebt habe, der großen Respekt der Engländer gewann, weil er eben gut und vollkommen fair spielte.

Wie halten Sie es mit dem Fußball?

Ich bin natürlich mehrfach im Stadion gewesen. Zum Beispiel 1982 in Berlin bei einem Spiel, in dem sich entschied, dass die Herthaner wieder aufsteigen konnten. Und dann bin ich anschließend auf das Feld gegangen, um zu gratulieren, und da wurde ich fast zerquetscht. Es sah beinahe lebendsbedrohend aus für meine Frau, die von der Tribüne aus zuschaute. Ich habe natürlich auch viele Länderspiele gesehen. Beim WM-Endspiel 1974 in München habe ich noch kurzfristig eine Karte bekommen und saß zwischen den Bräuten und Freundinnen der holländischen Spieler. Das war ein Erlebnis ganz besonderer Art, kann ich Ihnen sagen. Die fanden natürlich in erster Linie, dass der Elfmeter eine krasse Fehlentscheidung zu Gunsten Deutschlands gewesen ist.

Was sind Ihre Erinnerungen an Olympia?

Die ersten Olympischen Spiele, die ich miterlebt habe, waren 1936 in Berlin. Damals wohnte ich in Bern. Mein Patenonkel, von dem ich bis dahin nie etwas gehört hatte, schenkte mir zur Konfirmation einen Olympiapass. Er wurde in der Schweiz besorgt, und ich saß nun mit lauter Schweizern 1936 im Olympiastadion und im Schwimmstadion nebenan.

Wie haben Sie die Spiele, Hitlers Spiele, damals erlebt?

Ich war ja erst 16 Jahre alt. Aber der politisch-ideologische Rahmen war mit Händen zu greifen. Und wurde gerade auch in denjenigen Tribünenteilen, die von Ausländern besetzt waren, nachhaltig registriert. Auf der anderen Seite bescherte uns eben der Amerikaner, der 100 und 200 m und die 4 x 100-m-Staffel und im Weitsprung gewann, ein unvergessliches Erlebnis. Ich habe Jesse Owens nach dem Krieg persönlich kennen gelernt. Er kam dann mal nach Berlin. Owens war ein überzeugender, strahlender, wohlgesinnter Mann. Und daran erinnert man sich, ohne dass das mit der Hypothek der politisch-ideologischen Ausnutzung durch den Nationalsozialismus belastet gewesen wäre, doch auch lebenslang.

Ist denn das andere, das Politische dieser Spiele, einem 16-Jährigen auch schon irgendwie erfahrbar geworden?

Ich erinnere mich zum Beispiel an die Ehrungen für die Ruderer. Die Goldmedaillen wurden im Olympiastadion überreicht. Die Deutschen waren besonders erfolgreich im Rudern. Und dann stand der Hitler da auf seiner Ehrentribüne, und dann hieß es also bitte aufstehen, die Nationalhymne wird gespielt, dann wurden zwei Nationalhymnen gespielt. „Deutschland über alles“ und „Die Fahne hoch“. Und da standen sie alle mit ausgestrecktem rechten Arm, siebenmal hintereinander ohne Pause. und dieser Ausländerklub, in dem ich da saß, die haben natürlich alle gesagt, die Leute sind vom kalten Affen gebissen. Was sie hier machen, das ist doch reine Propaganda. Warum wird das nicht in Grünau, wo damals gerudert wurde, verliehen?

Sollte sich Berlin wieder bewerben?

Für 2012 habe ich mich lebhaft unterstützend für Leipzig engagiert, das habe ich mit Überzeugung und mit Freude gemacht. Dass eine der fünf deutschen Städte, die sich darum bemüht haben, eine ernste Chance gehabt hätten gegen Paris oder London, war schon damals recht unwahrscheinlich. Da haben sich also Stuttgart, Frankfurt. Düsseldorf, Hamburg und Leipzig beworben, und der Wettbewerb unter diesen fünf war spannend. Die Bereitschaft der vier, die rausfielen, den zu unterstützen, der als letzter Kandidat übrig blieb, die war nicht gerade überwältigend, man kann auch sagen, sie war ein bisschen beschämend. Natürlich wäre Hamburg eine gute Bewerbung gewesen, wer wollte das leugnen? Berlin vielleicht auch. Aber Berlin ist schon einmal gescheitert. Und dass es mit den Dauerbewerbungen auch nicht so einfach funktioniert, hat Paris gerade gezeigt.

Was also lernen wir daraus für einen nächsten Versuch?

Das fragen Sie bitte meine Kinder oder meine Enkel.

Das Interview führten Stephan-Andreas Casdorff und Markus Hesselmann.

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