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Sport: Ringen im Chaos

Die Deutschen enttäuschen bei der WM in China – und wollen ihren Sportdirektor absetzen

„Beinarbeit, Beinarbeit“ – die Anweisungen von Frauenbundestrainer Jürgen Scheibe sind noch auf dem letzten Platz der Sporthalle von Guangzhou (Kanton) klar und deutlich zu verstehen. Kein Applaus, keine Anfeuerungen von Fans überdecken Scheibes Kommandos. Nicht einmal 100 Zuschauer verlieren sich in der 6000 Zuschauer fassenden Arena im Zentrum der südchinesischen Millionenmetropole. Einer von ihnen ist Eckhard Knodel aus Pforzheim. „Seit fast 30 Jahren fahre ich zu Ringer-Weltmeisterschaften, ich war bei neun Olympischen Spielen dabei. So wenig Zuschauer gab es noch nie.“

Genauso enttäuschend wie die Resonanz ist auch die deutsche WM-Bilanz. Einzig Konstantin Schneider vom saarländischen KSV Köllerbach kam als Fünfter in der Klasse bis 74 Kilogramm (griechisch-römisch) in die Nähe der Medaillenränge. „Das war knapp, da entschied das Ringerglück“, sagte Detlef Schmengler, der Sportdirektor des Deutschen Ringerbundes (DRB), zum Abschluss der Männerwettbewerbe. Diese Weltmeisterschaften seien aber nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zu Olympia 2008 in Peking. Wichtiger sei gewesen, dass junge Athleten wie Bernhard Mayr (22 Jahre, SC Anger, griechisch-römisch bis 84 Kilo), Marcus Thätner (21, RSV Frankfurt (Oder), griechisch-römisch bis 66 Kilo) oder Ralph Böhringer (21, VfK Schifferstadt, griechisch-römisch bis 120 Kilo) Erfahrungen sammelten, sagte Schmengler und wirkte dabei nicht unzufrieden.

Für die deutschen Athleten ist Schmenglers Bilanz jedoch nur Schönfärberei. Am Rande der Titelkämpfe von Guangzhou sprachen sie sich geschlossen gegen den schon lange umstrittenen Sportdirektor aus. „Die Mannschaften haben ihr Vertrauen zu Herrn Schmengler verloren. Auf dieser Basis sehen wir für die Zukunft keine Möglichkeit mehr für eine erfolgreiche Zusammenarbeit“, heißt es in einem offenen Brief, der auch an den Deutschen Olympischen Sportbund, die Sporthilfe, die Bundeswehr und den Sportausschuss des Deutschen Bundestags gerichtet ist.

Es ist nicht die erste Kritik an Schmengler. 1989 hatte ihn der DRB nach elf Jahren als Freistil-Bundestrainer wegen mangelnder Teamfähigkeit entlassen. Seine Berufung zum Sportdirektor im vergangenen Jahr hatte viele Ringer überrascht. Bis heute soll er sich bei vielen Athleten noch nicht einmal vorgestellt haben, behaupten Ringer. Schmengler weist solche Vorwürfe zurück.

Ärger rief auch hervor, dass Schmengler das Trainingslager zur WM-Vorbereitung in Kuba nicht genehmigte. Statt in der Karibik mit der Weltklasse zu trainieren, fuhren die deutschen Ringer nach Polen zu vergleichbaren Kosten, aber unter schlechteren Bedingungen. Der frühere Weltmeisterschaftszweite Konstantin Schneider hätte dort nicht einmal Trainingspartner gehabt, heißt es in dem Brief. Sportsoldat Mirko Englich, der in Guangzhou nach einer Schulteroperation fehlte, bat um Kommandierung von Schifferstadt nach Frankfurt (Oder), um die dortigen Bedingungen des neuen 30 Millionen Euro teuren Trainingszentrums nutzen zu können. Der Verband lehnte den Antrag ohne Begründung ab. Unter diesen Umständen sei die Vorbereitung für die nächsten Olympischen Spiele gefährdet, schreiben die deutschen Ringer.

Aber auch Raphael Martinetti, der Präsident des Internationalen Ringerverbandes, graust es mit Blick auf Peking. In Guangzhou kostete das Eintrittsticket für das Turnier 400 Euro, unbezahlbar in einer Stadt, in der viele Arbeiter nur 50 Euro im Monat verdienen. Journalisten mussten für ihre Akkreditierung bezahlen. Die Anmeldung des deutschen Teams dauerte sechs Stunden. Chaos, fluchten Athleten und Funktionäre. „Wir werden uns nochmal mit den Chinesen zusammensetzen“, erklärte der Schweizer Ringerfunktionär Martinetti. Wenn er nur wüsste, mit wem. In den vergangenen Tagen hatte Martinetti mit zahlreichen Vizepräsidenten des Verbandes gesprochen. Ob einer von ihnen aber auch etwas zu entscheiden hat, weiß der Ringerpräsident bis heute nicht.

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