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Yvonne Englich wollte bei der größten Sport-Bühne der Welt auf die Matte – aber ihren Traum von Olympia wird sich nicht erfüllen.

© AFP

Ringerin Yvonne Englich: Im Klammergriff der Schmerzen

Ringerin Yvonne Englich verpasste zweimal Olympia wegen der Geburt ihrer Kinder. Diesmal ist sie fit – und scheitert trotzdem.

Von Katrin Schulze

Berlin - Yvonne Englich hat es versucht. Ihrem Mann zu Liebe. Als der dann aber unterwegs ist, um für das Ziel zu kämpfen, das auch immer ihr größter Traum war, geht es nicht mehr. Sie verliert die Haltung. Keine gute Sache bei einer Ringerin, aber der Sport geht ihr gerade sowieso gewaltig auf die Nerven. „Es fühlt sich an, als würde ein Stück in mir sterben. Als würde man mir eines meiner Kinder wegnehmen“, sagt sie und muss schlucken. Die Stimme ist weg; so wie vieles andere auch.

Der Traum von Olympia wird für Yvonne Englich immer nur ein Traum bleiben. „Ich werde nie ein Olympionike sein“, schreibt sie auf ihrer Facebook-Seite. Es sind Worte voller Enttäuschung und Erschöpfung, voller Wut. Sie haben sich angestaut, potenziert über die Jahre. Zum dritten Mal in Folge hat sich die 32-Jährige nicht für die größte Sportveranstaltung der Welt qualifiziert. 2004, die Spiele von Athen standen bevor, wurde Englich nach der Geburt ihres Sohnes nicht rechtzeitig fit. Vier Jahre später, als Peking rief, ereilte sie das gleiche Schicksal – die Tochter war gerade auf die Welt gekommen, dann plagte sie auch noch eine Knieverletzung. Diesmal aber sollte alles besser werden.

London, Olympische Sommerspiele 2012. Darauf richtete Englich ihr Leben komplett aus. Zwei Mal am Tag ging sie für ihren Traum auf die Matte, 730 Mal im Jahr. Und wofür das Ganze? „Für nichts“, sagt sie jetzt. Die Tränen kullern dabei nur so über ihre tausend Sommersprossen. „Die letzten drei Jahre habe ich komplett in den Sand gesetzt.“ Dabei sah es lange so aus, als würde diese Geschichte für sie ein schönes Ende haben.

Im vergangenen Jahr holte Englich bei der EM im eigenen Land Bronze und wurde zur „Ringerin des Jahres“ gewählt. Dass sie es nach London schaffen würde, war eigentlich nur eine Formalie. Doch sie packte den Sprung nicht bei der WM und auch nicht beim Turnier in China. Und zur letzten Qualifikations-Möglichkeit an diesem Wochenende in Helsinki schickte der Bundestrainer, der nach eigener Aussage keine ehrgeizigere Ringerin als Yvonne Englich kennt, nicht sie, sondern eine viel jüngere Kollegin. Eine, die noch nichts Großes errungen hat, seit sie bei den Großen am Start ist.

Es ist eben auch äußeren Bedingungen geschuldet, dass die 32-Jährige sich jetzt kaum noch beherrschen kann. „Vieles, was schiefgelaufen ist, hatte ich einfach nicht in der Hand“, sagt sie. Mit ihrem Coach in Frankfurt an der Oder überwarf sie sich, weil sie zu oft den Mund aufgemacht hatte und manchmal mit 15-Jährigen trainieren musste, also „unter Umständen, die nichts mir Hochleistungssport zu tun haben“. Außerdem verpasste Englich die Geburtstagsfeiern ihrer Kinder, weil sie sich in Trainingslagern in Rumänien oder sonst wo abkämpfte. Und beinahe wäre auch noch ihre Ehe draufgegangen.

Hatte denn wirklich jemand geglaubt, dass es immer gut gehen kann, wenn zwei Leistungssportler unter einem Dach leben? Yvonne und Mirko Englich aber haben schon vieles zusammen durchgestanden – letztlich auch die Krise vom vergangenen Sommer. Der Solidarität wegen wollte er sogar alles hinschmeißen, nachdem sie die Teilnahme am olympischen Wettkampf wieder verpasst hatte. Bis seine Frau ihn überredete, es trotzdem zu versuchen. Und so ringt Mirko Englich in Helsinki um seine letzte Chance, während Yvonne Englich zu Hause um Fassung ringt. „Er soll für uns beide kämpfen“, sagt sie noch, bevor sie den Kampf mit den Tränen wieder verliert.

Es ist ja nicht so, dass sie diese Probleme nicht schon kennen würde. Die Hochleistungs-Beziehung zwischen beiden war auch deshalb so schwierig, weil sie permanent in eine Richtung verlief. Immer war sie es, die sich hinten anstellen musste, immer unterstützte sie am Ende ihn. In Athen und in Peking, wo Mirko Englich Silber gewann. Damals, als sie ihrem Mann auf der Tribüne zusah, wuchs in Yvonne Englich der Wunsch, es noch einmal zu probieren. Wenigstens einmal sollte ihr Traum von der Olympionikin wahr werden.

Im Frühjahr 2012 ist vom großen Traum nicht viel mehr übrig geblieben als ein kleines Häufchen Elend. Irgendwie hilflos fühlt sich Yvonne Englich, aber auch gekränkt. Nur ganz kurz kommt er auf einmal heraus, ihr Ehrgeiz. „Mit dieser Niederlage im Rücken will ich auf keinen Fall aufhören“, sagt sie dann. „Dass ich mich aber noch einmal vier Jahre lang so abkämpfe, kann ich mir im Moment auch nicht vorstellen.“ Im Moment hat der Schmerz Yvonne Englich im Klammergriff.

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