zum Hauptinhalt

Sport: Rollender Betrug

Neue Dokumente beweisen, dass Radprofis weiterhin dopen – auch ein deutscher Tourfahrer wird belastet

Von Frank Bachner

und Ralf Meutgens

Berlin. Der durchtrainierte Mann erledigte erst mal Höflichkeiten, bevor er zur Sache kam. „Merry christmas and happy new year fuer dich“, begann er seine E-Mail an einen Dopingexperten, dann aber wurde es ernst: „Bin grad in los angeles … trainingscamp bei einem freund fuer drei wochen. Somatropin? Ist das gut? Was könnte man empfehlen.“ Die Bitte um Hilfe, gestellt am 27. Dezember 2001, kam von einem Radprofi, und die Frage war brisant. Denn Somatropin ist ein Wachstumshormon und damit ein Dopingmittel. „Nach hohen Dosen kann Diabetes oder ein übermäßiges Wachstum besonders der Extremitäten entstehen“, sagt Fritz Sörgel, Leiter des Instituts für pharmazeutische Forschung in Nürnberg.

Staatsanwälte organisieren Razzien in Hotelzimmern, Dopingkontrolleure testen diverse Fahrer, Funktionäre schwingen große Anti-Doping-Parolen – es hilft alles nichts. Das belegen Dokumente, die dem Tagesspiegel vorliegen: Faxe und E-Mails von Sportlern an Betreuer, medizinisches Personal oder andere Experten, und in allen geht es ums Thema Doping. Welche Dosis ist optimal? Welches Mittel wirkt am besten? Wie vermeide ich am besten einen positiven Test? 22 Radprofis sind allein 2003 international als Dopingsünder aufgeflogen oder gesperrt worden. Die Absender der Dokumente sind dem Tagesspiegel bekannt, können aber aus juristischen Gründen nicht genannt werden.

Probleme mit seinem Wachstumshormon hatte zum Beispiel ein deutscher Profi. In seinem handschriftlichen Fax vom 6. Mai 1998 verrät er, dass er unter anderem noch 8000 Einheiten Wachstumshormon hat, das „nur bis zum 14. 05. haltbar“ ist. Und dann fragte er im selben Fax einen dopingerfahrenen Pfleger: „Wie sähe eine Erhaltungsdosis EPO aus?“ Epo ist das klassische Dopingmittel im Radsport. Der Fahrer, Spezialist fürs Zeitfahren, wurde nie positiv getestet. Und jetzt ackert er auf der größten Bühne des Radsports: Der Profi, inzwischen Ende 20, fährt bei der Tour de France 2003 gerade über die Berge.

Unklar ist auch, ob ein anderer deutscher Profi auffiel, der per Fax an einen Betreuer fragte: „Wie lange positiv mit dem Pflaster Androderm 2,5 mg?" Androderm ist das Dopingmittel Testosteron. „Androderm steigert die Produktion von roten Blutkörperchen, es kann zu Leberfunktionsstörungen führen“, sagt Experte Sörgel. Die Frage nach Androderm war offenbar wichtig. „Wenn Du mich kurz auf dem handy anrufen könntest, wäre klasse. Bin auf den 6 days unterwegs. Aber diese Info ist important.“ Die Frage ging am 9. Januar 2002 beim Empfänger ein.

Eine Erfolgsmeldung verkündete dagegen stolz ein Nachwuchsfahrer aus Deutschland. Am 1. Mai 2001 schrieb er per E-Mail einem befreundeten Trainer: „Heute war die erste s.c. session und hat auch super geklappt." Anders gesagt: Der Athlet hatte sich erfolgreich zum ersten Mal Epo gespritzt, 2000 Einheiten, wie er schreibt. S.c. ist die Abkürzung für subcutan, im Klartext: unter die Haut. „Das i.m. hat ein Kollege gemacht (Arzt, ehemaliger Schwimmer)“, notierte das Talent. Was genau da i.m., also intramuskulär, geschah, sagt er nicht.

Das Dopingsystem im Radsport umfasst ein dichtes Netz von Helfern: Betreuer, Mittelsmänner und Ärzte. So schrieb ein deutscher Betreuer, der nicht mehr weiter wusste, am 7. April 2001 an einen Spezialisten: „Beide Arten von Synacthen 0,1 und 0,5 als Depot? Was ist mit Euphyllin bzw. Theophyllin? Wie hoch die Dosis und welches Präparat?" Synacthen ist Kortison, steht auf der Dopingliste „und kann zu Muskelschwäche und Krampfanfällen führen“, erklärt Experte Sörgel. Das deutsche Team, für das der Pfleger arbeitete, fährt derzeit bei der Tour.

Ein anderer Betreuer hatte am 6. April 2001 Fragen an einen Experten: „Hast Du oder weißt Du über IGF 1?“ IGF 1 ist dem verbotenen Wachstumshormon HGH ähnlich. Dann wollte er wissen: „Synacthen 0,1 immer noch ohne positiven Befund?" Offenbar hatte er eine Dosis gefunden, die nicht nachweisbar ist. Und dann, die entscheidende Frage: „Insulin – welches würdest Du empfehlen – geht hier die Therapie zusammen mit HGH?" Geht vermutlich nicht. Bei der Deutschland-Tour 2003 starb der Franzose Salanson; Experten haben den Verdacht, dass auch eine Mixtur von Insulin und Wachstumshormon HGH schuld am Tod des 23-Jährigen sein könnte. Eine Obduktion ergab keinen Hinweis auf Doping, es ist aber unklar, ob überhaupt nach dem schwer nachweisbaren Wachstumshormon gesucht worden war.

Mit Insulin und Wachstumshormon im Gepäck wurde aber der deutsche Radprofi Stefan Steinweg im Februar 2003 bei der Einreise nach Australien festgenommen. Ein anderer Pfleger teilte am 19. April 2001 mit, dass er „ein Angebot von Perftoran habe“. Perftoran ist ein synthetischer Sauerstoffträger. Ein artverwandtes Mittel ist so gefährlich, dass sich die Radprofis mit Handzetteln vor der Substanz warnten.

Wilhelm Schänzer, Leiter des Dopinglabors in Köln, überraschen die Dokumente nicht: „Ich kann bei der Dopingbekämpfung leider keine Veränderung erkennen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false