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Sport: „Ronaldo hat eine Mission zu erfüllen“

Sie gelten als einer der größten Experten im Fußballgeschäft – wie oft mussten Sie bei dieser Weltmeisterschaft der Überraschungen Ihre Meinung ändern? Diese Weltmeisterschaft hat uns allen gezeigt, wie gefährlich Prognosen im Vorfeld eines solchen Turniers sind.

Sie gelten als einer der größten Experten im Fußballgeschäft – wie oft mussten Sie bei dieser Weltmeisterschaft der Überraschungen Ihre Meinung ändern?

Diese Weltmeisterschaft hat uns allen gezeigt, wie gefährlich Prognosen im Vorfeld eines solchen Turniers sind. Schon zu Beginn dieses Jahres sagte ich voraus, dass wir in Asien eine ganz ungewöhnliche Weltmeisterschaft erleben würden. Dabei dachte ich allerdings mehr an das Wetter, die Regenzeit, die unterschiedlichen Zeitzonen und die Kulturen der zwei Veranstalter-Länder, mit denen wir Fußball-Länder bislang überhaupt keine Erfahrung gesammelt hatten.

Und jetzt?

Einerseits lag ich also schon gut mit meinem Gefühl, andererseits konnte wohl niemand vorhersehen, dass Großmächte vom Kaliber Frankreichs und Argentiniens, Italiens und Portugals so früh ausscheiden würden oder dass sich Japan, Senegal, Südkorea und die Vereinigten Staaten so lange halten könnten - und zwar auf äußerst beeindruckende Weise. Aber auch all diese Überraschungen haben meine grundsätzliche Meinung über diese Weltmeisterschaft nicht geändert. Es war ein sehr gutes Turnier auf hohem Niveau, und diese unerwarteten und teilweise phantastischen Resultate haben mir persönlich sehr gut gefallen.

Zumindest endet es nun mit dem Zusammentreffen der zwei erfolgreichsten Fußball-Länder der Geschichte.

Immer wenn ich auf diesen Tausenden von Seiten in allen möglichen WM-Statistiken geblättert habe, fand ich es verwunderlich, aber irgendwie auch faszinierend, dass Brasilien und Deutschland nie gegeneinander gespielt hatten. Wie war das möglich, dass sich die zwei besten Länder in diesem Sport und auch die Vorreiter der zwei großen Fußball-Kontinente bei den großen Titelkämpfen immer aus dem Weg gegangen waren? Doch bei dieser Weltmeisterschaft erlebten wir jede Menge Premieren: das erste Mal in Asien, das erste Mal mit zwei Gastgebern, die erste WM im dritten Jahrtausend. Also war es auch allerhöchste Zeit, dass wir hier zum erstenmal den wichtigsten Kräftevergleich erleben, auf den der Fußball so lange gewartet hat. Und wenn es schon dazu kommt, dann bitteschön auch im Endspiel.

Statistisch gesehen handelt es sich um ein Duell von Giganten, aber wenn wir nur ein bisschen den Kommentaren des türkischen Trainers oder der türkischen Spieler trauen, die ihr Halbfinale ja gegen die Selecao verloren haben, dann haben Ronaldo und Co. am Sonntag eher ein Demonstrationsspiel vor sich.

Gerade bei dieser WM haben zu viele Trainer und noch viel mehr Spieler den Fehler gemacht, dass sie ein Spiel schon mit dem Mund gewonnen hatten, bevor überhaupt der Ball gespielt worden war. Deutschland und Brasilien beginnen am Sonntag bei 0:0.

Und dann…

…kann durchaus noch mal passieren, was hier mehrfach geschehen ist. Dass die bessere Athletik und der größere Kampfgeist den Unterschied ausmachen zwischen zwei sehr erfahrenen Mannschaften. Auch die Tagesform wird sehr wichtig sein. Senegal hat das ja im Eröffnungsspiel eindeutig bewiesen. Ich kann meinen Landsleuten nur eines sagen: Ignoriert das dumme Geschwätz, was das doch für ein schwacher deutscher Gegner sei. Ich kann wirklich aus Erfahrung behaupten: Ein WM-Endspiel ist NIEMALS leicht. Schreiben Sie niemals bitte in Großbuchstaben.

Trotzdem – bitte eine Prognose.

Vor vier Monaten hätte kein Mensch auf der Welt solch ein Finale getippt. Aber in der vergangenen Woche haben sich beide als die stärksten Mannschaften auf unserem Globus herauskristallisiert. Die beste Abwehr trifft auf den besten Angriff. Aber ich denke, Brasilien gewinnt. Ich fühle mich nur nicht wohl dabei, wenn alle behaupten, Brasilien ist der große Favorit. Der einzige Favorit ist der, der am Ende mit dem Pokal vom Platz geht. Und sollten die Deutschen gewinnen, hätten sie genauso wie wir vier WM-Titel. In vier Jahren, wenn sie im eigenen Land spielen, könnten sie dann Brasilien als erfolgreichste Fußball-Nation überholen. Darüber wäre ich dann nicht so glücklich.

Was könnte denn der Vorteil der brasilianischen Mannschaft sein? Und von welchen Spielern droht den Deutschen die größte Gefahr?

Jeder unserer Spieler besitzt die technischen Fähigkeiten, in irgendeinem Moment dieses Spiels zu einer großen Bedrohung für die deutsche Abwehr zu werden. Dafür besitzen alle Leute, die das gelbe Trikot tragen dürfen, genügend individuelle Klasse. Doch es gibt zwei Schlüsselspieler in den unterschiedlichen Phasen des Spiels. Und das werden Ronaldo und Cafu sein.

Warum ausgerechnet die beiden?

Ronaldo, weil er eine Mission zu erfüllen hat. Er will nach den wirklich traurigen Dingen, die um ihn herum beim letzten WM-Finale passiert sind und danach einer Reihe von Verletzungen etwas wiedergutmachen. Dies ist seine persönliche Revanche am Schicksal. Viele haben an meinem Sachverstand gezweifelt, als ich ankündigte, dieses Turnier würde zum großen Wendepunkt seiner Karriere. Jetzt ist es soweit: Mit seinen sechs Treffern bislang wird er wohl auch Torschützenkönig. Und am schönsten wäre es, wenn ihm die Entscheidung gegen Kahn gelingen würde. Das wäre wie ein großes Film-Duell.

Und Cafu?

Er ist der beste rechte Verteidiger der WM und inspiriert diese Mannschaft sowohl mit seinem Spiel als auch als Kapitän. Denken Sie mal daran: Cafu ist der Einzige, der sowohl 1994 wie 1998 im Endspiel gestanden hat. Ronaldo war ja in Amerika auch schon dabei – durfte aber noch nicht spielen.

Die Diskussionen um den Erfolg dieser WM werden sehr kontrovers geführt: Kritik am Niveau des Turniers kommt jedoch vor allem aus jenen Ländern, deren Nationalteams nun schon länger vor dem Fernseher sitzen. Warum loben Sie diese WM so hoch?

Der größte Erfolg dieser Weltmeisterschaft war es, dass hier bewiesen worden ist, wie effektiv sich der Fußball rund um die Welt in den letzten paar Jahren verbessert hat, so dass nun fast jedes ehrgeizige Land ein echter Konkurrent auf der großen Bühne ist. Es gibt kaum noch Underdogs. Deshalb werden wir die erste WM in Asien im Kopf behalten, als das Turnier der Schocks und Revolutionen, der Unterhaltung und Aufregung.

Ein paar der Großen schieben ihr Ausscheiden den drittklassigen Schiedsrichtern in die Schuhe? Warum verloren Sie wirklich?

Es ist immer leicht, den Schiedsrichter zum Sündenbock zu stempeln. Es hat einige ziemlich schlimme Fehlentscheidungen gegeben, aber wir dürfen nicht vergessen, dass es sich bei den Unparteiischen halt auch um Menschen handelt. Das wird auch immer wieder passieren. Mannschaften mit Klasse aber sollten niemals glauben, sie seien irgendwann von einer Entscheidung eines Schieds- oder Linienrichters abhängig.

Sondern?

Meiner Meinung nach sind die Fußballriesen wie Argentinien, Italien und Portugal vor allem deshalb so früh heimgeflogen, weil sie zwei der schlimmsten Fehler gemacht haben, die man bei einer Weltmeisterschaft machen kann: Sie kamen schon selbstzufrieden und viel zu arrogant hier an.

Aber das Argument, dass viele der Weltstars ausgelaugt und müde in Fernost erschienen sind, müssen Sie doch akzeptieren.

Das tue ich auch. Und daraus wird die Fifa wohl auch ihre Lehren ziehen.

Welche?

Das Champions-League-Endspiel hat am 15. Mai in Glasgow stattgefunden, gerade einmal zwei Wochen vor der WM. Wir haben uns mit Brasilien 1970 allein fünf Monate lang im Trainingslager auf die WM in Mexiko vorbereitet. Die Fifa wird deshalb in den WM-Jahren den Wettkampf-Kalender in Europa, wo ja praktisch alle Stars spielen, etwas verändern müssen. In dieser Hinsicht laufen die Diskussionen, so dass die Spieler mindestens einen Monat Zeit haben, um sich richtig für das Weltturnier zu präparieren.

Das Gespräch führte Martin Hägele.

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