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Rudern: Der halbe Macho

Ruder-Weltmeister Marcel Hacker war lange ein Einzelgänger – jetzt startet er im Vierer

Berlin - Der Hip Hop dröhnt aus einem Kassettenrekorder, die Lautstärke ist bis zum Anschlag hochgedreht. Das können sie natürlich mit dem Mann, der hier den Chef spielt, nicht machen. „Hottentottenmuck, oder was“, poltert Marcel Hacker. Er schlendert durch die kleine Sporthalle im Ruder-Leistungszentrum Berlin, vorbei an ein paar erschrockenen Jugendlichen, vorbei am Rekorder. Im Vorbeigehen dreht er den Regler runter.

Er macht das ganz beiläufig, Hacker strebt eigentlich zu den Fahrrädern im nächsten Raum. Er kommt gerade vom Wasser, er muss jetzt noch ein paar Minuten treten. Hacker ist nicht allein, Karsten Brodowski strampelt neben ihm und zwei ganz junge Ruderer, Tim Grohmann, 18 Jahre alt, und Lauritz Schoof, 20. Brodowski ist auch erst 23, aber schon WM-Dritter mit dem Doppelvierer. Zusammen haben sie in der Vorbereitung den deutschen Doppel-Vierer gebildet – gestern beim Ruder-Weltcup in München aber mussten sie sich erneut umstellen. Für den erkrankten Schoof rückte der Magdeburger René Bertram ins Team und verzichtete auf sein Einer-Halbfinale. Mit Bertram qualifizierte sich der Vierer durch einen zweiten Platz im Hoffnungslauf für das Finale am Sonntag. Ob im Endlauf wieder Bertram oder Schoof im Boot sitzt, stand nach dem Hoffnungslauf, den Slowenien gewann, noch nicht fest.

Vor zwei Wochen erst hatte der deutsche Cheftrainer Hartmut Buschbacher die nun kurzfristig wieder geänderte Besatzung zusammengestellt, aber auf dem Fahrrad erzählt Hacker glucksend, wie er Schoof gleich mal die Rangordnung klargemacht hat. Sie trafen sich vor dem Bootshaus, und der 20-Jährige sagte schüchtern: „Ich darf mit Euch fahren.“ Euch? „Wenn du mal Weltmeister warst, darfst du mich duzen“, knurrte Hacker. Schoof radelt fünf Meter entfernt, er hört sich die Geschichte mit starrem Blick an.

Hacker braucht das; die Macho-Rolle kultiviert er seit Jahren. So gesehen ist nichts Neues passiert. Der Einer-Ruderer Hacker, Weltmeister, Vize-Weltmeister, ist jetzt einfach in den Vierer umgestiegen, er ist von Oberschleißheim bei München nach Berlin umgezogen. „Der einzige Unterschied ist“, sagt er betont lässig, „dass der Vierer schneller ist als der Einer.“ Er ist jetzt voll in der Marcel-Hacker-Rolle aufgegangen. Der 32-Jährige sitzt in der Lobby des Leistungszentrums, die nackten Füße lehnen angewinkelt an einem kleinen Tisch. Alles an ihm signalisiert: Einer wie ich absolviert so einen Umstieg doch mit links.

In Wirklichkeit steht dieser Umzug für einen brutalen Bruch in Hackers Leben. Und er steht für ein paar seelische Wunden. Der Doppel-Vierer ist so etwas wie ein Rettungsboot für Marcel Hacker. Der große Marcel Hacker war im Herbst 2008 sportlich auf Minimalgröße geschrumpft. Peking war sein Debakel. Nicht mal das Finale hatte er bei den Olympischen Spielen erreicht. Wieder mal nicht. Schon in Athen, 2004, durfte er nur im B-Finale rudern.

Doch jetzt brach alles zusammen. Am bedeutsamsten war wohl, dass die geistige Wagenburg in Trümmern lag, die er mit Andreas Maul gebildet hatte. Sie waren weit mehr als Trainer und Athlet, sie lebten fast wie siamesische Zwillinge, vereint im Kampf gegen Funktionäre, Kritiker, Konkurrenten. Hacker trennte sich nach Peking von Maul. Beide reden nicht über die Gründe, aber die Trennung hat Wunden hinterlassen. Hacker sagt, sie hätten keinen Kontakt mehr.

Der gefallene Einer-Star wollte ganz aufhören, er wollte nur noch abtrainieren. Aber dann hätte er auch die Welt verlassen müssen, in der er sich auskannte. „Ich hatte keinen richtigen Halt“, sagt Hacker. Er hat die Füße jetzt runtergenommen und spielt mit dem Verschluss einer Plastikflasche, er hat sich in den sensiblen Marcel Hacker zurückverwandelt, der wunderbar malen kann und Fotos macht mit viel Sinn für Details. Hacker hält seine Macho-Rolle immer nur begrenzt durch, auch das gehört zu ihm.

Es war der verletzliche, nach Orientierung suchende Marcel Hacker, der im Herbst 2008 den neuen Cheftrainer Buschbacher anrief. Er möge ihm doch bitte ein Programm zum Abtrainieren ausarbeiten. Aber Hacker ließ auch durchblicken, dass er eigentlich ein neues Boot suche. Buschbacher war erfreut. Er bildete das Quartett Hacker, Brodowski, Schoof und Grohmann. Hacker saß erst hinten, dann rückte er auf Schlag. „Marcel hat ein Gefühl fürs Boot, er hat Erfahrung als Einer-Ruderer“, sagt Brodowski.

Sie harmonieren wohl auch menschlich, jedenfalls sagen sie das. „Hier gibt es kein Hierarchiedenken“, sagt Schoof. „Das gefällt mir.“ Er meint natürlich: Grohmann und er werden nicht behandelt wie kleine Kinder. Natürlich gibt es ein Hierarchiedenken, nur legt Hacker die Regeln großzügiger aus, als es erscheint, wenn man die Besatzung auf dem Fahrrad sieht. „Ich bin hier der Teamleader", sagt Hacker, und das klingt selbstverständlich. Aber er sagt den Jungen im Boot auch, fast fürsorglich: „Ich bin kein Übermensch, ihr müsst keine Angst haben.“

Selbst Hackers Bus dient dem Teamgeist. Der Kleinbus war jahrelang das Symbol für Hackers Unabhängigkeit. Mit ihm zog er zu den Regatten, in ihm übernachtete er auch bei Bedarf. Aber nach München ist er mit der ganzen Besatzung gefahren. Das ist einerseits Symbol seines Wandels, andererseits hat es ganz praktische Vorteile. „Beim Fahren“, sagt Hacker grinsend, „kann man sich abwechseln.“

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