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Sport: Rundum vernetzt

Eishockeyfans müssen sich auf Sichtbehinderungen einstellen – wegen einer fast vergessenen Richtlinie

Berlin - Die Zuschauer in der Kölnarena waren amüsiert. Der Stadionsprecher wies das Publikum im Zehn-Minuten-Takt darauf hin, dass es doch bitte immer auf den Puck schauen möge. Ein Witz! Schließlich sahen die Fans der Kölner Haie ja nicht ihr erstes Eishockey-Spiel. Doch der Hintergrund der Warnungen war ernst: Fliegt ein Puck über die Bande, kann das für einen Klub teuer werden. Schuld daran ist eine zwölf Jahre alte Richtlinie, für die sich lange niemand interessiert hat.

Nach der DIN-Norm 18036 von 1992 haben die Klubs als Veranstalter zu verhindern, dass Zuschauer durch Pucks getroffen werden. Dort ist von Netzen hinter den Toren die Rede, die in allen Stadien der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) inzwischen üblich sind. Es gibt aber noch einen Passus, und der lautet: „Gleiches gilt für die Seiten des Spielfeldes.“

An den Seiten der Eisfläche schützen bislang Banden und Plexiglasscheiben vor Fehlschüssen der Spieler: Sie sind, wie vom Weltverband IIHF vorgeschrieben, zusammengenommen bis zu 2,40 Meter hoch. Das kann aber zu niedrig sein. Die Hamburg Freezers haben da bereits ihre Erfahrungen gemacht. Am 13. März 2003 traf bei einem Heimspiel des Vereins ein Puck eine Besucherin, die in der fünften Reihe der Colorline-Arena saß. Sie brach sich den Kiefer und verklagte daraufhin die Freezers – mit Erfolg. Die Versicherung der Freezers musste der Klägerin 23000 Euro zahlen. Der Klub habe „es versäumt, für einen ausreichenden Schutz vor in den Zuschauerraum fliegenden Pucks zu sorgen“, urteilte das Oberlandesgericht Hamburg. Zwölf Jahre lang hatten die Gerichte die DIN-Richtlinie anders ausgelegt.

„Beim Spiel ohne Seitennetze besteht die Gefahr, dass ich mich grob fahrlässig verhalte“, sagt Klaus Sturm, Anwalt der Freezers. Sein Klub habe sich gegen Unfälle bei Zuschauern versichert. Der Düsseldorfer EG hat dagegen die Versicherung gekündigt, nachdem sich der Klub gegen fliegende Pucks versichern wollte. DEL-Geschäftsführer Gernot Tripcke sagt: „Um jedes Haftungsrisiko auszuschließen, müssten alle Klubs nun Netze an den Seiten anbringen, die bis zur höchsten Zuschauerreihe gehen. Doch als die DIN-Richtlinie erstellt wurde, gab es noch keine Großarenen in Deutschland. Es ist extrem unwahrscheinlich, dass ein Zuschauer, der in Köln im Oberrang sitzt, von einem Puck ernsthaft verletzt wird.“

Für die Klubs in der DEL sind Netze an der Seite eine Horrorvision: Schlechte Sichtverhältnisse für die Fans in der Halle und bei Fernsehübertragungen wären wohl die Folge. Um dies zu verhindern, hat die DEL die Regelauslegung verschärft. Die Schiedsrichter sind angehalten, Spielern bei absichtlichem Herausschlagen des Pucks über die Bande zwei Strafminuten zu geben – Problem verkleinert, aber nicht gelöst.

Ein Urteil wie in Hamburg ist aber nicht nur im Eishockey denkbar, auch wenn sich die Richtlinie 18036 nur mit dieser Sportart befasst. Beim Feldhockey kann ein Querschläger die Zuschauer genauso gefährden wie ein Aufschlag beim Tennis. Auch ein fliegender Golfball hat Verletzungspotenzial. Wird der Zuschauer in deutschen Sportstätten also bald flächendeckend vernetzt? „Es muss etwas geschehen“, sagt Tripcke. Die DEL versuche nun mit dem Deutschen Eishockey-Bund, „diese DIN-Richtlinie zeitnah geändert zu bekommen“. Andernfalls könnten sich immerhin die Hersteller von Fangnetzen freuen: Ein Netz an der Seite des Spielfeldes (immerhin gut 60 Meter lang) müsste in der Kölnarena 42 Meter hoch sein und würde um die 50 000 Euro kosten. Wie ein solches Netz allerdings auf einem Golfplatz angebracht werden soll, ist noch nicht geklärt.

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