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Sport: Runter von der Galeere

Kanu-Trainer Josef Capousek lehrt die Chinesen, ihren Athleten statt Schlägen Handys zu geben

Kaffee und Kuchen könnte noch jemand servieren, Herr Yang vielleicht, der Dolmetscher. Dann könnte sich die Runde so richtig entspannen. Aber Herr Yang starrt lieber aufs Wasser, dort laufen gerade die 200-Meter-Vorläufe der Einer-Canadier bei der Kanu-WM in Duisburg. Hinter ihm hängen vier chinesische Kanuten lässig in ihren Plastikstühlen, direkt vor der Garage, in der ihre Boote aufgebockt sind. Huang Shaokun und Ma Xiaojie, die Canadier-Spezialisten, lachen sogar. Das ist bemerkenswert. Und das hat viel mit dem weißhaarigen stämmigen Mann zu tun, der in weißen Shorts ein paar Meter neben Herrn Yang steht. Er braucht seinen Dolmetscher jetzt nicht, Josef Capousek hat selber Pause.

Capousek war 16 Jahre lang Chef-Trainer der deutschen Kanuten, jetzt ist er oberster Coach der chinesischen Kanuten. Das ist aber nur sein offizieller Titel. Vor allem ist er der Mann, der ein paar Menschenrechte bei den chinesischen Kanuten eingeführt hat. Und der gerade dabei ist, chinesische Funktionäre zu verändern. Erfolgreich, wie er bei Wei Di am Freitagabend erkannt hat. Wei Di ist Präsident aller Wassersportverbände in China, und er hat in einer Mannschaftsbesprechung über die bisherige chinesische WM-Bilanz gesprochen. Die war bis dahin nicht so toll. Zhong Hongyan zum Beispiel hat bloß Platz sechs im Halbfinale der Frauen-Kajak-Einer belegt, obwohl Capousek von ihr viel erwartet hatte. „Enttäuschend“, sagt der Chefcoach. Er hatte damit gerechnet, dass Wei Di lospoltern würde. „Du bist ein schlechter Trainer, alles ist schlecht, so in der Art, wie es bei den Chinesen üblich war.“

Aber Herr Di erzählte dann den geduckt dasitzenden Trainern und Sportlern ruhig, dass sie die Köpfe nicht hängen lassen und ruhig weiterarbeiten sollen. Da war Capousek doch beeindruckt.

Im März 2005 hat der gebürtige Tscheche seinen Job in Peking begonnen und erstmal Sportler wie erwachsene Menschen behandelt. Sie mussten jetzt nicht mehr morgens in Reih und Glied zum Frühstück marschieren, sie wurden nicht mehr geschlagen, das Handyverbot wurde abgeschafft, Computerspiele erlaubt und das Wort Regeneration hatte nicht mehr die Bedeutung einer ansteckenden Krankheit. „Für die Chinesen war ein gutes Training ein Training, bei dem die Athleten abends auf allen vieren ins Bett krochen. Und das am besten jeden Tag. Wenn einer noch gehen konnte, war es ein schlechter", sagt Capousek. Er führte Pausen zwischen den Trainingseinheiten ein und gibt den Sportlern jetzt wöchentlich anderthalb Tage frei. Es war, in der Summe, eine Kulturrevolution. „Die Funktionäre haben auf die Änderungen sehr eigen reagiert“, sagt Capousek. Er hat dann anschließend aber schnell ein paar gute Ergebnisse geliefert, das nahm ihn aus der Schusslinie.

Er gilt ja schließlich als eine Art Wunderdoktor. Für den Deutschen Kanuverband hat er bei sechs olympischen Spielen 17 Gold-, neun Silber- und fünf Bronzemedaillen geholt, jetzt soll er zu Chinas höherem Ruhm in Peking möglichst viele Chinesen zu Medaillengewinnern machen. Keine leichte Aufgabe. „Ich wurde richtig wütend, als ich nichts vorfand, kein System, keine Strukturen“, sagt Capousek. Wang Feng aus dem Kajak-Vierer der Frauen wurde als 16-Jährige zum Kanu rekrutiert, weil sie groß und stark war. Dass sie in ihrem Leben noch nie in einem Boot gesessen hatte, spielte keine Rolle. Sie ist die Schlagfrau, sie wurde zur Kanutin geformt, sie durchlief die ganze Knochenmühle des chinesischen Trainings.

Die Knochenmühle bekam unter Capousek allerdings einen anderen Anstrich. Er orderte Pulsmesser, führte wissenschaftliche Analysen ein und eine vernünftige Trainingssteuerung. Als die Funktionäre merkten, dass dieser Deutsche mit seinen seltsamen Methoden Erfolg hatte, dass er bei Weltcups Siege und Medaillen gewann, da unterstützten sie ihn beispielhaft. Als er mal von einer Anlage erzählte, mit der man Kräfte im Boot messen kann, da stand sie drei Tage später da, mit höchstem technischen Niveau und mehrere zehntausend Euro teuer.

Aber dafür erwarten die Chinesen Gegenleistungen. Meng Guanling und Yang Wenjun gewannen 2004 Olympiagold im Zweier-Kanadier der Männer, das soll den Auftakt für eine olympische Goldserie darstellen. Capousek warnt allerdings: „Die Erwartungshaltung ist zu hoch. Wir können nicht am zweiten Stock bauen, wenn wir noch nicht mal das Fundament gelegt haben.“ Das Fundament, argwöhnen viele Beobachter, wird auch mit Dopingmitteln gelegt. Da wird Capousek schmallippig. „Die ganze Nationalmannschaft wird im Abstand von 14 Tagen kontrolliert“, sagt er. Aber wie unangemeldete Trainingskontrollen in China funktionieren sollen, kann niemand sagen.

Capousek kümmert sich auch lieber ums Sportliche. Vier Medaillen wollte er bei dieser WM gewinnen, „das wird wohl nicht mehr hinhauen“. Er würde ja gerne mal wissen, wie seine Athleten ihre Rennen einschätzen und wo sie ihre Probleme sehen. „Aber die Chinesen werden ihnen nie die ganze Wahrheit sagen. Ich spreche kein Chinesisch, ich kann deshalb nie unter vier Augen mit ihnen reden.“ Herr Yang hört immer mit.

Andererseits: So wie die vier chinesischen Sportler an diesem Samstagvormittag zufrieden vor sich hin lächeln, braucht man gar nicht zu reden. Wie es ihnen geht, sieht man auch so sehr gut.

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