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Russland: Kaum Gold – dafür Sekt in Strömen

Russlands schwache Olympiabilanz hat ein politisches Nachspiel.

Am Donnerstag dachte Dmitri Medwedew doch noch kurz darüber nach, die Abschlussfeier der Olympischen Spiele mit seiner Anwesenheit zu beehren. Russland hatte sich in Vancouver gerade kurzzeitig auf Platz fünf der Länderwertung vorgearbeitet. Doch schon am Folgetag nahm der Präsident wieder davon Abstand, als klar wurde, dass die russischen Athleten mit ganzen drei Goldmedaillen das schlechteste Ergebnis seit den Spielen 1956 in Cortina d’Ampezzo einfahren würden. Statt in Kanada auf der Ehrentribüne stand der Kremlherrscher daher vor der eigens zusammengetrommelten Fraktion der Regierungspartei „Einiges Russland“ in Moskau und forderte die Sportfunktionäre auf, „eine mutige Tat zu vollbringen“: den eigenen Rücktritt. Sollte die Zivilcourage bei Einzelnen das nicht hergeben, würde „man“ nachhelfen.

Der Angriff kam nicht unvorbereitet. Nach „orgwywody“ – organisatorischen Konsequenzen – hatten zuvor die Fans geschrieen. Und am Sonntagabend machte sich das staatliche Fernsehen über das her, was KP-Chef Gennadi Sjuganow „nationale Schande“ genannt hatte. Trainerin Ljudmila Kalinina, in Perm im Ural für die Betreuung des Nachwuchses im Eiskunstlauf zuständig, drohte vor laufender Kamera mit brisanten Fragen: „Wir haben nichts mehr zu verlieren und wollen wissen, wer sich das Geld eingesteckt hat, das für uns bestimmt war.“

Gemeint war nicht nur die „Privatisierung“ von Fördergeldern, die auch die russische Eiskunstlauf-Ikone Irina Rodnina kritisiert hatte. Das nationale Olympische Komitee, so die dreifache Olympiasiegerin und zehnfache Weltmeisterin im Paarlaufen, sei zum Versorgungswerk für Funktionäre verkommen, die ihren Aufgaben nicht gewachsen seien. Noch mehr empörte die Nation, was die Funktionäre Trainern und Aktiven bei der Unterbringung in Vancouver zumuteten: Erstere mussten teilweise in Containern hausen, wo es nur Betten und Kleiderhaken gab, letztere im Olympischen Dorf in Mehrbettzimmern. Bei Sausen im „Russischen Haus“ dagegen, wo Massen auf Staatskosten angerückter Beamter Quartier machten, floss laut Staatssender RTR der Sekt in Strömen; statt aggressiv für die Spiele in Sotschi zu werben, seien die Kader lieber unter sich geblieben und hätten sich bei „Konzerten“ vergnügt, wo ebenfalls auf Staatskosten eingeflogene, leicht bekleidete Starlets aus Moskau auftraten.

Der Rechnungshof kündigte bereits umfassende Überprüfungen an. Doch die Gescholtenen reagierten auf Kritik mit dem, was man in Russland „olympische Ruhe“ nennt. Sportminister Witali Mutko sagte: „Unser Ergebnis bei Olympia war kein Fiasko, es war objektive Realität.“ Würde man bei der Länderwertung nicht nur die ersten drei, sondern die ersten sechs Plätze berücksichtigen, stünde Russland gut da. Er könne seinen Posten als Sportminister zwar zur Verfügung stellen, sagte Mutko, „aber ob der Sport davon profitiert, weiß ich nicht“.

Nach der Hackordnung auf dem Moskauer Hühnerhof wäre Mutkos Maß damit übervoll gewesen. Dass bisher dennoch nichts passierte, erklären russische Beobachter damit, dass Wladimir Putin schützend seine Hand über Mutko und andere Günstlinge hält, die er einst an die Spitze russischer Sportverbände hievte. Dass Medwedew sich dennoch zur heftigen Kritik am Formtief des vaterländischen Wintersports durchrang, werten Experten daher als Zeichen für die weitere Eskalation des Machtkampfs beider Politiker und das baldige Ende ihres Tandems. Beide könnten bei den Präsidentenwahlen 2012 gegeneinander antreten.

Putin will, wie die „Nesawissimaja Gaseta“ schreibt, für den Wahlkampf vor allem „Einiges Russland“ mobilisieren. Putin werde bei Regionalkonferenzen der Partei in allen acht Regierungsbezirken Grundsatzreden halten. Die Teilnahme Medwedews, der auf Parteitagen bisher im Präsidium saß, sei nicht vorgesehen.

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