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Sport: Sängerstreit mit Misstönen

Von Helmut Schümann Seoul. Sie waren wie Amerikaner mitunter sind, wenn sie besoffen sind von Patriotismus und Budweiser.

Von Helmut Schümann

Seoul. Sie waren wie Amerikaner mitunter sind, wenn sie besoffen sind von Patriotismus und Budweiser. Etwas zu laut schrien sie ihr „USA! USA! USA!“ durch den U-Bahn-Waggon. Etwas zu aufdringlich wedelten sie den Leuten ihre Stars and Stripes vor deren Gesichter. Sie feierten den 3:2-Sieg der USA über Portugal. Die Fahrt von Suwon, wo das Spiel stattgefunden hatte, nach Seoul dauert ungefähr eine Stunde. Es drohte, eine lange Fahrt zu werden.

Aber dann kam aus dem hinteren Teil des Wagens, da wo die Koreaner saßen, die Replik. Es waren keine Fußball-Fans, es waren Menschen, die eine Stunde vor Mitternacht auf dem Weg nach Hause waren. Erst sangen sie ihr „Oh Victoria“, mit dem sie ihren historischen Sieg über Polen bejubelt hatten und den sie immer noch feiern. Ein harmloser, kleiner Sängerstreit war das. Dann schallte ihr „Dae ha min gook!“ durch den Wagen, jener Schlachtruf, mit dem die südkoreanischen Fans im Stadion von Busan ihre Mannschaft zum Sieg getrieben hatten. „Dae! Ha! Min! Gook!“ Immer lauter, immer schärfer. Die Amerikaner verstummten. Es wurde eine lange Fahrt für sie.

Koreas erster Sieg bei einer WM nach 48 Jahren Erfolglosigkeit hat Erstaunliches bewirkt. Und weil am Montag in Daegu das in der Gruppe D möglicherweise vorentscheidende Gruppenspiel der Koreaner gegen die USA ansteht, wird das Selbstbewusstsein begleitet vom Wiedererwachen eines stets vorhandenen Anti-Amerikanismus. Der äußert sich nicht sichtbar aggressiv, aber als in der Nacht des Sieges über Polen in Kwanghwamun, Downtown Seoul, 80 000 Menschen, die vorher auf einer Leinwand das Spiel in Busan verfolgt hatten, sich der amerikanischen Botschaft näherten, ging die Polizei sicherheitshalber in Alarmbereitschaft.

Das offizielle Verhältnis beider Staaten ist eigentlich gut. Die USA halfen dem Süden des Landes im Koreakrieg, letztendlich halfen sie, dass hier eine Republik entstand. Aber immer wieder gibt es Zeichen, dass am Montag in Daegu nicht allein ein Fußballspiel stattfindet. Einige Zeichen sind lächerlich. Zum Beispiel die koreanische Wut auf Apolo Anton Ohno, den amerikanischen Eisschnelläufer, der im olympischen Short-Track-Finale nach einem Massensturz spektakulär ins Ziel rutschte und dem südkoreanischen Teilnehmer auf diese Weise die schon sicher geglaubte Goldmedaille wegschnappte. Oder „stahl“, wie sie hier sagen. Andere Zeichen sind Interpretationsangelegenheit. Je nach Haltung zu Amerika wird der jüngste Kauf von Jagdfliegern für die koreanische Armee gewürdigt. Die „Korean Times“, ganz offensichtlich kein Freund der USA, nennt den Ankauf von F-16-Bombern als von den USA „erzwungen“.

Aber es gibt auch ernsthafte, nachvollziebare Indizien und auch alltägliche. Immer wieder, zuletzt erst vor ein paar Wochen, kommt die Sprache auf die historisch nicht genügend aufgearbeiteten Vorgänge in No Gun Ri, einem kleinen Dorf, in dem amerikanische Soldaten während des Koreakrieges rund hundert Zivilisten erschossen haben, im Glauben, im Dorf hielten sich Kämpfer des nordkoreanischen Feindes auf. Und die alltäglichen Nickeligkeiten sind in Itaewon zu beobachten, dem Seouler Vergnügungsviertel, in dem ein Großteil der 37 000 in Korea stationierten GIs allzu großspurig den Weltsheriff raushängen lässt.

Die Behörden sind in Sorge. Ein Polizeisprecher hat für Montag einen Sicherheitskordon um die amerikanische Botschaft in Kwanghwamun angekündigt. Und die amerikanische Mannschaft, sie erfreut sich während ihres Aufenthalts in Südkorea eines Sonderschutzes.

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