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Sport: Sag mir, wo die guten Zeiten sind

Tennisprofi Nicolas Kiefer war einmal ein Star, jetzt hat er nur noch Allüren

Paris. Todd Larkham saß bereits einige Minuten auf seiner Bank in der Sonne. Der Schiedsrichter hatte seinen Hochsitz eingenommen, und die Zuschauer auf Court 4 warteten ebenfalls. Jemand klatschte, als ob das die Sache beschleunigen könne. Vergeblich. Zu einem Tennisspiel werden immer zwei Spieler benötigt, und der zweite Spieler, Nicolas Kiefer, fehlte noch. Der Zuschauer klatschte erneut, ein anderer klatschte mit. Kiefer war immer noch nicht da. Als er schließlich kam, gingen Larkham und der Schiedsrichter zur Seitenwahl ans Netz. Kiefer setzte sich auf seine Bank, sortierte sein Sportartikelsortiment. „Meinst du, du bist der Star?“, fragte eine deutsche Zuschauerin.

Nicolas Kiefer ist das mal gewesen. Im Januar 2000 stand er in der Weltrangliste auf Platz vier; inzwischen ist er die Nummer 77. Bei sechs Turnieren ist Kiefer in diesem Jahr angetreten, ein Spiel hat er gewonnen. In Paris, bei den French Open, nun sein zweites. Fast vier Stunden stand er am Montagabend auf Court 4, dann hatte er den australischen Qualifikanten, die Nummer 202, mit 6:3, 6:3, 4:6, 2:6 und 6:3 besiegt. Kiefer war damit in Paris erfolgreicher als das deutsche Damenquintett Barbara Rittner, Angelika Roesch, Martina Müller, Anca Barna und Julia Schruff, das die erste Runde nicht überstand. Nur Marlene Weingärtner gelang ein Erfolg.

Auf Court 4 im Stade Roland Garros, neben der Altglas-Umladestelle, wo es schallt und krachend scheppert und trotzdem niemand um Ruhe bittet, spielen keine Stars. Wenn man von den Zuschauerplätzen nordwärts schaut, sieht man auf die Rückseite des Centre-Courts. An der Betontribüne hängt eine riesige Videowand, und darauf werden die Spiele der Stars gezeigt. Als Kiefer auf Court 4 spielte, konnte man dort im Hintergrund Andre Agassi bei seinem Erstrundenmatch beobachten. Manchmal trainiert Kiefer zusammen mit Agassi. Oder Agassi mit Kiefer. „Er ist der einzige Spieler auf der Tour, der mir hilft, mir Ratschläge gibt“, sagt Kiefer. Früher ist er häufig mit Agassi verglichen worden. Aus heutiger Sicht würde man sagen: Wahrscheinlich, weil sie die gleiche Frisur hatten und den gleichen Kinnbart trugen. Damals spielte Kiefer tatsächlich ein bisschen wie Agassi, mit Wucht und Wut, ein junger Wilder war er . Im Juli wird Kiefer 26, alt ist er noch nicht, aber die Wildheit ist schon lange weg. „Ich werde immer mit dem verglichen werden, was einmal war“, sagt Kiefer, „davon werde ich nicht loskommen.“

Agassi hat eine solche Phase ebenfalls durchgemacht, den totalen Absturz, aber er ist wiedergekommen, und inzwischen liebt ihn das Publikum mehr denn je. Bei Kiefer ist im Moment weder das eine, die Rückkehr zur alten Stärke, noch das andere, dass er die Zuneigung der Zuschauer gewinnt, richtig vorstellbar. „Er lächelt nie“, sagte eine Französin, als Kiefer gegen Larkham im letzten Satz 5:0 führte. „Nie.“ Manchmal macht sich Kiefer das Leben selbst schwer. „Meister der verbrannten Erde“ hat ihn „Der Spiegel“ genannt. Kiefer streitet zu Unzeiten mit dem Schiedsrichter, ist immer noch ein Dickkopf. Gegen Larkham spielte Kiefer einen Stopp nach dem nächsten. Dass die Bälle entweder im Netz hängen blieben oder erst weit in des Gegners Feld zu Boden fielen, irritierte ihn nicht. Er probierte es immer wieder. Genauso wenig lässt sich Kiefer von guten Ratschlägen beeindrucken. Wer an der Befähigung seiner Trainer zweifelt, bekommt zu hören: „Ich habe ein gutes Umfeld.“

Nach seinem Match gegen Larkham wurde Kiefer gefragt, was er von dem Hilfsangebot des Daviscup-Teamchefs Patrick Kühnen halte. Gut möglich, dass sie in Paris mal zusammen essen gehen würden, antwortete Kiefer, „aber Patrick hat hier bestimmt ganz andere Sachen zu tun“.

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