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Sport: Sag mir, wo die Linken sind …

Über eine schmerzlich offene Frage, die im deutschen Fußball viel zu selten gestellt wird

Menschen sind seltsame Wesen. Kaum kommt der Ball angerollt, zeigen sie klare Präferenzen. Das eine Bein will immer, das andere scheut zurück. Der eine Fuß ist geschickt, der andere ein Tölpel.

Dieser motorische Hang ist mysteriös genug. (Gibt es beispielsweise linksfüßige Elefanten oder Schimpansen?) Und denkt man ein wenig länger nach, führt das Phänomen direkt auf den größten Schwachpunkt der deutschen Nationalmannschaft. Denn links ist bei uns frei, links ist blank, links haben wir nichts zu bieten! Schon seit langen Jahren nicht!

Der Kreuzbandriss des ebenso schmächtigen wie brillanten Rechtsfußes Phillip Lahm ließ den Mangel in seiner ganzen Virulenz zutage treten. Ein quälend langer Suchprozess führt den Kenner auf die Ersatznamen Christian Ziege und Jörg Böhme – und damit auf ein Duo, das der politischen Konstellation Gysi/Lafontaine in fataler Weise ähnelt. Der eine physisch ein Wrack, der andere sozial nicht zu steuern. Eine echte Wahlalternative besteht nicht. Denn das nun aus der Not berufene Pärchen Christian Schulz und Thomas Hitzelsberger ist weit von der Turnierreife entfernt; von der ewig verwaisten Position eines linken Mittelfeldmannes ganz zu schweigen. Ginge es heute darum, wirklich die beste Mannschaft aufs Feld zu schicken, Coach Klinsmann böte elf deutsche Rechtsfüßer auf.

Diese Diagnose ist in ihrer Misslichkeit kaum zu überschätzen. Schließlich büßt solch eine rechtslastige Mannschaft die Hälfte ihrer taktischen Variabilität ein. Aus dem Spiel fehlt es an ansatzlosen Flügelwechseln, der dynamische Flankenvorstoß zur Grundlinie fällt als Gefahrenoption aus, bei Freistößen liegt ein ganzes Reservoir möglicher Finten brach, und bei Eckbällen und Eingaben bleibt der Flankendrall zu absehbar.

Wie konnte es zu diesem Notstand kommen? Versorgt Mutter Natur nicht auch den deutschen Kickerpool mit einem stabilen Prozentsatz (je nach wissenschaftlicher Schätzung zwischen 15 und 35 Prozent) an geborenen Linken? Und ist der E-Jugendliche erst einmal als Linksfuß erkannt, wird nicht jeder Trainer alles, aber auch wirklich alles tun, um den kostbaren Winzling zu fördern und bei Laune zu halten? Ginge es nach einer selektiv, nachhaltig und vor allem effektiv fördernden Jugendarbeit, müssten sich gerade im absoluten Spitzenbereich in jedem Team vier bis fünf Linksfüßer befinden. Zumindest aber sollten Linksfüßer in Profimannschaften im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt signifikant häufiger vertreten sein. Sind sie aber nicht. Im Gegenteil.

In Deutschland mag der Mangel besonders ausgeprägt sein. Doch wird man weltweit vergeblich nach einem Team fahnden, das – wie es eigentlich wünschenswert schiene – zur Hälfte aus Linksfüßern besteht. Nicht einmal bedingungslos agierende Zwangsförderungssysteme wie in der einstigen Sowjetunion oder dem heutigen China erreichen die Wunschnorm. Irgendetwas sperrt sich da.

Doch was? Sind es soziale Faktoren, eine unbewusste kulturelle Ausgrenzung, gar die unbezähmbare Natur linker Talente selbst? Liegt es vielleicht an der Selbstzufriedenheit der Jugendspieler, die als Linke nie um ihren Stammplatz fürchten mussten und deshalb nicht den Letztbiss entwickelten, der ihnen den Sprung in die Spitze ermöglichte?

Es gibt hier zunächst nur die Frage, aber noch keine Antworten. Sicher zu diagnostizieren ist allein ein flächendeckendes Versagen erfolgsorientierter Minderheitenförderung, das sich hierzulande besonders schwer auswirkt. Nicht nur aus dieser Perspektive leidet unser WM-Team also unter strukturellen Versäumnissen, die schon zehn und mehr Jahre zurückliegen. Genau so lange also wie die letzten deutschen Turnierssiege.

Sie erinnern sich. Rechtsfuß Bierhoff schummelte sein Golden Goal einst mit links ins Netz. Und Linksfuß Andreas Brehme verwandelte den Endspielelfmeter von Rom souverän mit rechts.

Es geht also auch mit dem falschen Fuß, wenn man nur unbedingt will. Das jedenfalls wäre eine ultimativ positive Schlussfolgerung aus dem Schlamassel. Eine Schlussfolgerung, wie sie Jürgen Klinsmann seiner Mannschaft garantiert anbieten wird. Eine von viel zu vielen.

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