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Sport: Sanfte Giganten

Die Rugby-Helden der WM in Australien wandeln zwischen Tradition und Moderne

Wellington. „Rugby ist eine wunderbare Show: Erst der Tanz, dann die Oper und plötzlich das Blut eines Todes.“ Richard Burton wusste, wovon er sprach. Der Hollywood-Star war ein kräftiger Kämpfer im Rugby. Genauso wie George W. Bush, Che Guevara und Boris „Frankenstein“ Karloff.

Kraft, Blut, Adrenalin, Testosteron, Gewalt. Natürlich ist Rugby noch mehr. Balance, Geschmeidigkeit, Schnelligkeit – Ästhetik. Aber wen interessiert das schon, solange Rugby am anderen Ende der Welt wie gerade bei der Weltmeisterschaft in Australien stattfindet. Steigen wir also in die Arena, um die Helden des Ovals einmal zu treffen.

„Meine Mama ist die wichtigste Person in meinem Leben“, gestand Joe Rokocko einer neuseeländischen Frauenzeitschrift. Der geborene Inder ist einer der talentiertesten Flügelläufer Neuseelands, 21 Jahre alt und ein neuer Star im Team der All Blacks, wie das nationalteam daheim genannt wird.

Rokocko ist schnell und wendig, ein sicherer Ballfänger und hat zudem ein Gespür für die entscheidende Lücke in der gegnerischen Verteidigung. Solange er möglichst viele Punkte macht, darf er auch gut aussehen und nette Fotos von sich und seiner Mama machen lassen. Ein Star muss nicht mehr unbedingt so sein wie die Spieler, die sich nicht in Frauenzeitschriften ablichten lassen dürfen, weil sie die Spuren jahrelanger Abwehrarbeit im Gesicht haben. Blumenkohl-Ohren, Schrammen, Narben, dicke Augenlider.

Der 24-jährige Jonny Wilkinson ist Englands Punkte-Maschine. Keiner versenkt das Ei so sicher im großen H wie „Englands Pin-up-Boy“. 755 Punkte hat er gemacht, in 49 Spielen. Ein Beckham des Rugby? Das dann doch nicht. Obwohl Wilkinson mit rund zwei Millionen Euro einer der Spitzenverdiener des internationalen Rugby ist, fehlen ihm Pomp und eine Vorzeige-Frau wie Beckhams Posh.

Rugby-Stars gibt es eine ganze Reihe, dazu große Legenden wie den Australier David Campese, den Franzosen Jean-Pierre Rives, den Südafrikaner Francois Pienaar oder den Neuseeländer John Kirwan. In ihren Ländern werden sie verehrt, als Helden des Sports und Bewahrer der Tradition. Aber oft kennt sie nur die Rugby-Gemeinde. Trotz blut- und schlammverschmierter Heldenfotos. Oder Bildern wie vom Neuseeländer Sean Fitzpatrick, dem legendären Kapitän der All Blacks in den Neunzigerjahren, der sich schon mal als halbnackter Schmied am Amboss fotografieren ließ.

In Neuseeland, dem Land des erdigen, rauen Mannes, gelten All Blacks als ehrwürdige Herren. Nach ihrer Pensionierung leben sie oft zurückgezogen, von Mythen umrankt, auf dem Land. Oder sie treten in Anzügen auf und reden von alten Zeiten, als moralische Vaterstimme des Volkes. Wie Colin „Tannenbaum“ Meads, der in den Sechzigerjahren neue Standards setzte und „das alte, ehrliche Neuseeland“ verkörpert wie vielleicht Fritz Walter einst das aufstrebende Deutschland. Nachdem ganz Neuseeland nach der Blamage im Halbfinale gegen Frankreich 1999 jammerte, sprach er: „Es ist nur ein verdammtes Spiel.“ Die Nation lauschte Meads und war beruhigt.

Einer hat es geschafft, größer als der Sport Rugby zu werden: Jonah Lomu. 1,96 Meter groß, 120 Kilo schwer und 10,8 Sekunden schnell auf 100 Metern. Der geborene Tonganer aus den ärmlichen Vierteln von Süd-Auckland war lange der überragende Spieler der Neuseeländer. Es gibt Bilder, da hängen zwei Spieler an seinen Beinen und zwei an seinem Rücken, während er zwei weitere überrennt und den Ball versenkt.

Lomu wurde seit 1995 zum Aushängeschild für den Sport, und er lieferte auch das Mysterium, das Stars von normalen Spielern unterscheidet. Dazu gehören ein obskurer Freund und Manager, zwei Hochzeiten, zu denen er seine „geliebten“ Eltern nicht einlud und natürlich viel Geld. Drei Millionen Euro soll er pro Jahr verdienen. Lomu ist religiös, liebt Musik und Kinder. In Interviews erlebt man einen nachdenklichen, in sich ruhenden Mann. Einen sanften Riesen, der sagt, dass er die größte Angst vor seiner Mutter habe, wenn sie sauer sei. Die spielt zum Glück kein Rugby.

Bei der Weltmeisterschaft ist Lomu nicht dabei. Seit 1996 leidet er an einer Nierenkrankheit. „Ich muss erst wieder gesund werden“, sagte er – den Tränen nahe. Experten glauben nicht an seine Rückkehr. Doch Jonah Lomu, der unbesiegbare Gigant, kämpft weiter, er gibt sich der Krankheit nicht geschlagen. Richard Burton hätte ihn geliebt.

Ingo Petz

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