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Sport: Schach: Voller Rätsel

In diesen Tagen stehen nicht "Carmen" oder "Don Giovanni" auf dem Spielplan des Dortmunder Opernhauses, sondern Kramnik und "Doc" Hübner. Sie sitzen und spielen Schach.

In diesen Tagen stehen nicht "Carmen" oder "Don Giovanni" auf dem Spielplan des Dortmunder Opernhauses, sondern Kramnik und "Doc" Hübner. Sie sitzen und spielen Schach. Sechs der aktuellen Top-Ten-Spieler messen sich in einem doppelrundigen Turnier. Und außerhalb dieser Konkurrenz ließ sich Dr. Robert Hübner, 52, langjähriger Spitzenspieler Deutschlands, zu einem Match gegen den Schachcomputer DeepFritz ködern. Eigentlich hätte es dieses Show-Duells Mensch gegen Maschine nicht bedurft, schließlich sind Wladimir Kramnik und Viswanathan Anand, die beiden amtierenden Weltmeister, dabei. Nominell handelt es sich sogar um das bedeutendste Schachturnier des Jahres. Einer fehlt allerdings wiederum: Garry Kasparow, der Weltranglisten-Erste.

Im nächsten Jahr soll sich das ändern. Dann richten die Dortmunder anlässlich ihrer 30. Schachtage ein Turnier aus, bei dem Kramniks WM-Herausforderer ermittelt werden soll. "Ich hoffe und glaube, dass Kasparow teilnehmen wird", sagt Kramnik, der seinen Lehrmeister im vergangenen Herbst bei der WM besiegt hatte. Schon fünfmal gewann Kramnik das Turnier in Dortmund. Auch in diesem Jahr dominiert er es bislang. Nach fünf von zehn Runden liegt er mit 3,5 Punkten in Führung und enteilte seinem größten Konkurrenten, Fide-Champion Anand (2,0 Punkte), bereits deutlich.

Die Tiefgründigkeit des 26-Jährigen bleibt vielen ein Rätsel. So applaudierten nach seinem Sieg in Runde vier selbst im Presseraum anwesende Meisterspieler, nachdem ihnen der Russe seine Gedanken am Demonstrationsbrett erläutert hatte. Als der im Maßanzug gekleidete Champion seinen Vortrag beendet und die Magnetfiguren wieder in die Ausgangsposition gestellt hatte, grinste er selbstsicher und ließ sich in sein Hotel chauffieren. Die wilden Jahre, als Spieler und Beobachter anschließend noch bei Zigaretten und Bier zusammensaßen, sind vorbei. Kramnik ist solider, professioneller und besser geworden. Noch besser.

Zwischen ihm und Alexander Morosewitsch, immerhin Vierter der Weltrangliste, schienen an diesem Tag Schachwelten zu liegen. In 34 Zügen und fast vier Stunden Denkarbeit war Kramnik eine technisch perfekte Partie gelungen. Zunächst erschien die Stellung nach dem 20. Zug aus Morosewitschs Sicht durchaus haltbar. Doch dann fand Kramnik ein überraschendes Läufermanöver, das den Bauern f6 unter Druck setzte (siehe Notation auf Seite 23). Wäre dieser Bauer einfach vorgerückt, hätte Kramnik seinen mächtigen Läufer nach f6 gezogen und damit die Region um den gegnerischen König gelähmt. Also schützte Morosewitsch lieber seinen Bauern - König nach g7. Und wieder geschah etwas Unerwartetes, Kramnik schob seinen g-Bauern zwei Felder vor. Das sah riskant aus, weil er damit seinen eigenen König entblößte. "Ein Schlüsselzug", meinte hingegen der Weltmeister, "so wird die schwarze Schwäche fixiert." Kramnik hatte also - bis zur Resignation des Gegners zwölf Züge später - alles voraus gesehen. Morosewitschs beachtlichen Gegenangriff auf der g-Linie konnte er locker abschütteln: Er opferte seinen Turm für einen Springer, landete mit dem Läufer auf dem Wunschfeld f6 und zog dann seinen Freibauern vor. Ein grandioser Sieg. Kramnik selbst fand das "trivial". So ist er halt.

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