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Ziehen als Volkssport. Während der WM werden indische Schulkinder nach draußen geschickt, um das Schachspielen zu bewerben. Dabei ist Indien schon jetzt die Nation mit den weltweit meisten professionellen Schachspielern. Foto: Reuters

© REUTERS

Schach-Weltmeisterschaft: Viswanathan Anand und die Last der 1,2 Milliarden

Der indische Volksheld Viswanathan Anand bricht bei der Schach-Weltmeisterschaft unter dem Erwartungsdruck seiner Landsleute ein. In der siebten Partie, die am Montag um 10.30 Uhr deutscher Zeit beginnt, muss Anand eigentlich gewinnen, um eine Vorentscheidung zu verhindern.

Erst quälte ihn Magnus Carlsen mit listigen Zügen im Turmendspiel, anschließend gerieten für Schachweltmeister Viswanathan Anand auch noch die Journalistenfragen zur Tortur. Anand sollte etwas Unerklärliches erklären: weshalb er nach der fünften auch die sechste Partie um die Schach-WM in Chennai/Indien so kläglich verlor. „Ein Fehler nach dem anderen und dann fliegt alles auseinander“, sagte er resignierend. Ob er nun, bei einem 2:4-Rückstand zur WM-Halbzeit, überhaupt noch eine Chance auf die Titelverteidigung hat? Anand blieb einsilbig: „Ich werde mein Bestes geben.“ Was dies bedeute, fragte einer kess nach. Er verstehe die Frage nicht, antwortete Anand genervt: „Mein Bestes bedeutet mein Bestes.“

Von Bestform konnte in den beiden zurückliegenden Partien indes nicht die Rede sein. Dass der 43 Jahre alte Inder derart einbrechen würde, kam unerwartet. Fast schon unbegreiflich war es, dass er in der fünften und sechsten Partie zwei Stellungen verlor, die scheinbar ohne große Mühe remis zu halten waren. Ist Anands Respekt vor der Spielkunst und der Energie seines 22-jährigen Herausforderers zu groß? Oder hemmt es ihn, dass diese WM in seiner Heimat stattfindet? Der Wirbel um Anand ist enorm in Indien, schon öfters ist er zum Sportler des Jahres gewählt worden. Während der Partien übertragen Kameras jede Regung ihres Helden live ins ganze Land, ein Großteil der 1,2 Milliarden Inder verfolgt gebannt seine Züge.

Dennoch konnte sein Freund Hans-Walter Schmitt nach den ersten vier Remispartien ein positives Zwischenfazit ziehen: „Ich dachte, er wäre vor seinem eigenen Publikum mehr unter Druck und sekundärer Anspannung, nein, es ist ganz anders.“ Schmitt hat Anand schon oft zu Weltmeisterschaften begleitet, aber „noch nie in solch starker mentalen Verfassung erlebt“. Wie gesagt, das war nach der vierten Partie, als noch alles in Ordnung zu sein schien für Anand. Inzwischen hat sich nicht nur die Qualität seiner Züge verändert, sondern auch die Körpersprache: Während sich Carlsen nun immer öfter selbstbewusst in seinen Sessel fläzt, wirkt Anand zunehmend verunsichert.

In den vergangenen drei Partien hat Carlsen Anand seinen Stil aufgezwungen

Vor fast zwei Jahrzehnten hatte er schon einmal dem Druck vor heimischem Publikum nicht standgehalten: Seit Anand in Sanghi Nagar 1994 einen WM-Kandidatenkampf gegen Gata Kamsky verlor, hat er es fortan vermieden, noch einmal ein wichtiges Duell in Indien zu spielen. Seinen WM-Titel verteidigte er in der Fremde: 2008 in Bonn, 2010 in Sofia, 2012 in Moskau. Den WM-Kampf gegen Carlsen in Chennai auszutragen, dieses Verlangen hatte eher der Weltschachbund Fide als Anand selbst.

Wenn Anand nicht bald verkürzen sollte, könnte dieser WM-Kampf sogar vorzeitig beendet sein. In den vergangenen drei Partien hat Carlsen Anand seinen Stil aufgezwungen. Während Carlsen auch an vermeintlich öden Stellungen großes Interesse entwickelt, scheinen Anand diese eher zu langweilen. Vielleicht wird der Weltmeister in der siebten Partie, die er am Montag um 10.30 Uhr deutscher Zeit erneut mit Weiß eröffnen darf, mal wieder ein wenig Druck entfalten können und etwas Schärferes wagen als die Spanische Eröffnung, mit der er in Chennai bislang nichts erreichte. Auch in der sechsten Partie erwies sich Carlsens „Berliner Verteidigung“ als unüberwindbar.

Dem Norweger Carlsen lag ein Remisangebot fern

Dem Norweger gelang es mit einem überraschenden Springerrückzug, den Anand hinterher „ziemlich gut“ nannte, die Chancen auszugleichen. Allerdings lag Carlsen trotz der vereinfachten Stellung ein Remisangebot fern. „Ich dachte, dass ich ihn nach dem Sieg gestern heute etwas unter Druck setzen sollte. Es gab nicht viel zu riskieren“, sagte Carlsen.

Diese Haltung sollte Wirkung zeigen: Ohne Not opferte Anand im 38. Zug einen Bauern, um ein remisliches Turmendspiel abzuwickeln. Doch fortan schuf Carlsen in seiner typischen, findungsreichen Art immer neue Probleme. Ja, es sei immer noch remis gewesen, sagte der Weltranglistenerste, aber „ich hatte noch eine kleine Falle“. In die lief Anand nach fünfeinhalb Stunden Spielzeit prompt hinein.

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