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Angst vor faulen Tricks. Viswanathan Anand (links) und Wesselin Topalow verbindet gegenseitiges Misstrauen.

© AFP

Schach-WM: Aus dem Kleinbus ans Brett

Nach einer Odyssee des amtierenden Weltmeisters Viswanathan Anand durch halb Europa startet die Schach-WM in Sofia mit einem Tag Verspätung. Herausforderer Wesselin Topalow könnte aufgrund der Strapazen seines Gegners bei der Anreise leichte Vorteile haben.

Schon einmal stand Island während einer Schachweltmeisterschaft im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Damals, 1972, spielten der Russe Boris Spasski und der Amerikaner Bobby Fischer in der Hauptstadt Reykjavik ihren „Jahrhundertkampf“. Derzeit steht wieder eine Schachweltmeisterschaft bevor, wieder ist einer der beiden Hauptdarsteller zu spät gekommen und wieder hat es irgendwie mit Island zu tun. Mit Eyjafjalla, dem Vulkan.

Viswanathan Anand, der indische Weltmeister, war am vergangenen Freitag auf der Durchreise zum Spielort Sofia in Frankfurt am Main hängen geblieben, mit Ehefrau Aruna und seinen Sekundanten. Als am Sonntag immer noch keine Flugerlaubnis kam, mieteten sie sich einen Kleinbus, um noch halbwegs pünktlich nach Sofia zu kommen, zur Eröffnung des WM-Kampfs gegen Wesselin Topalow, den Herausforderer. Nach 40 Stunden Fahrt quer durch Europa hatte der Inder die bulgarische Hauptstadt erreicht. Vier Tage später als ursprünglich geplant.

Anand bat darum, die für den heutigen Freitag angesetzte erste Partie um drei Tage zu verschieben. Er sei mental nicht in der Lage, kurz nach einer so langen Reise zu spielen. Zudem wäre dies „aufgrund der Ermüdung und der Tatsache, dass der Gegner einige Wochen zuvor angekommen ist, unfair und ungerecht“. Die Bitte des 40 Jahre alten Inders wurde von den Veranstaltern als „inakzeptabel“ zurückgewiesen. Der Weltschachbund Fide verkündete aber inzwischen einen Kompromiss: Die erste Partie wird um einen Tag, auf Samstag, verschoben. Insgesamt stehen zwölf Partien auf dem Plan.

Dass es ein schachhistorisch ähnlich bedeutender WM-Kampf wird wie Spasski gegen Fischer, ist nicht zu erwarten. Zumal der Herausforderer, Wesselin Topalow, 35, seine Teilnahme vor allem den guten Beziehungen zum Fide-Präsidium verdankt. Der Bulgare brauchte sich nicht zu qualifizieren, sondern war gleich für das Kandidatenfinale gesetzt worden, welches er im vergangenen Jahr, ebenfalls in Sofia, gegen Großmeister Gata Kamsky gewann. Anand hatte eigentlich nicht in der Heimat seines Gegners spielen wollen, sondern lieber in einem neutralen Land. Umgestimmt haben dürfte ihn letztlich das hohe Preisgeld von zwei Millionen Euro (1,2 Millionen für den Sieger).

Ex-Weltmeister Kramnik sieht Topalow als Favoriten

Am Tag, als auf Island der Vulkan ausbrach, ging Anand fest davon aus, dass sich ein Skandal wie bei der WM 2006 zwischen Topalow und Kramnik diesmal nicht wiederholt. „Ich bin mir sicher, dass Schach im Mittelpunkt stehen wird“, sagte Anand. Er denke auch nur an Schach im Moment. „Als Gegner zeigt Topalow viel Energie. Ich erwarte einen Kampf zwischen zwei harten Rivalen. Genau wie in meinem vorigen Match.“ Dies war im Jahr 2008 in Bonn. Anand schlug den Russen Wladimir Kramnik, den Weltmeister von 2000 bis 2007, in überzeugender Manier.

Heute sagt Kramnik, Anand sei im Vergleich zu Topalow „objektiv der bessere Schachspieler“. Weil der Kampf jedoch in Sofia stattfindet, sei Topalow favorisiert, glaubt Kramnik. Ob Anand wirklich stärker spielt als Topalow, lässt sich allenfalls an der Schnellschachbilanz ablesen, die mit 12:3 Siegen klar zugunsten des Inders ausfällt. „Er ist geboren fürs Schach“, hat Topalow über Anand in einem Interview gesagt. „Er schafft es, schnell und ohne Fehler zu spielen, ich hingegen spiele langsam und gut.“ Tatsächlich bietet sich im klassischen Schach, mit langer Bedenkzeit wie bei dieser WM, ein anderes Bild, besonders in den letzten Jahren: Inzwischen steht es, die Unentschieden nicht mitgezählt, 11:10 für Topalow.

Kramniks Einschätzung ist zweifellos geprägt von seinen Erfahrungen im WM-Kampf 2006 im russischen Elista. Als er gegen Topalow mit 3:1 in Führung ging, streute zunächst dessen Manager, Silvio Danailow, und später auch Topalow den haltlosen Verdacht, Kramnik habe während der Partien heimlich Computerzüge auf der Toilette empfangen. Für seine diffamierenden Äußerungen erhielt Topalow später einen „strengen Verweis“ von einer Ethik-Kommission der Fide. Dabei war es Kramnik gewesen, der vor dem Skandalkampf strikte Maßnahmen gegen jegliche Hilfen von außen veranlasst hatte: Störsender rund um das Spielgebäude und eine Glaswand zwischen Zuschauern und Spielern, um heimliche Zeichen zu verhindern.

Anand hat sich für die WM in Sofia nun ähnliche Maßnahmen gewünscht. Aus Deutschland ließ er ein elf mal elf Meter großes Netz aus Gaze kommen, das im ehrwürdigen Military-Club zwischen Bühne und Zuschauerbereich gespannt, nur einseitig durchsichtig ist: Die Spieler können nicht ins Publikum blicken. Außerdem soll jeder Zuschauer vor dem Betreten mit Metalldetektoren auf elektronische Geräte überprüft werden.

Die Furcht, durch irgendetwas aus dem psychischen Gleichgewicht gebracht zu werden, hat in WM-Kämpfen eine lange Tradition. Als Boris Spasski in Reykjavik 1972 gegen Bobby Fischer eine Reihe von Partien verlor, vermuteten die Sowjets eine geheimnisvolle Strahlung und ließen seinen Sessel untersuchen. Man fand aber bloß zwei tote Fliegen.

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