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Verbindet Klassik mit Moderne: Viswanathan Anand.

© dpa

Schach-WM: Die Rechenmonster greifen an

Bei der Schach-WM sorgen Maschinen dafür, dass Magnus Carlsen und Viswanathan Anand immer noch gleichauf liegen. In Chennai schauen vor allem Anands Sekundanten ständig auf die Bildschirme ihrer Computer.

Er sei sehr froh, dass es eine lange Partie war, sagte Magnus Carlsen, als er mit Schachweltmeister Viswanathan Anand nach sechs Stunden Spielzeit das vierte Remis besiegelt hatte. Der 22 Jahre alte Herausforderer mag schwerblütige Kampfpartien. Bei der Schach-WM in Chennai/Indien passen sie aber auch aus einem anderen Grund ins Kalkül des Norwegers, offenbar gehören lange Partien zu seiner Wettkampftaktik gegen den 43 Jahre alten Anand. Tatsächlich könnte, weil beim Stand von 2:2 unentschieden noch kein Qualitätsunterschied im Spiel der beiden Großmeister zu erkennen ist, irgendwann der Altersunterschied den Ausschlag geben.

Bislang macht der Weltmeister einen frischen Eindruck, obwohl ihm die lange Sitzung am Mittwoch, in der er stark unter Druck geriet, zu schaffen machte. „Gut, dass morgen Ruhetag ist“, sagte der Inder. Die fünfte von zwölf Partien wird Carlsen am heutigen Freitag mit Weiß eröffnen.

Allein mit langen Partien dürfte Anand nicht müde zu spielen sein. Er hat hart an seinem Körper gearbeitet und einige Kilogramm abtrainiert. Oft hat Anand in seiner Karriere bewiesen, wie wandlungs- und anpassungsfähig er ist. Dass er in der digital revolutionierten Schachwelt mit 43 noch den WM-Titel hält, verdankt er gewiss auch diesen Eigenschaften, nicht seinem Genie allein. Anand beherrscht heute alle Stilrichtungen, verbindet Klassik mit Moderne. Fragt man ihn, ob hundert Jahre alte Partien für ihn noch eine Rolle spielen, gerät Anand ins Schwärmen: „Ich lese oft und gerne über die besten Partien der Schachgrößen. Es wirkt irgendwie romantisch, wie sie sich damals vorbereitet und Neuerungen ausgedacht haben. Heute schaut man einfach auf den Bildschirm und legt los.“

In Chennai schauen vor allem seine Sekundanten auf die Bildschirme ihrer Computer. Unter anderem dient ihm diesmal der Ungar Peter Leko, der bei der WM 2008 in Bonn noch im Team von Wladimir Kramnik gegen Anand gearbeitet hatte. Tag und Nacht durchforsten die Sekundanten Hunderte von Partien nach unentdeckten Ideen und versuchen, selbst neue zu kreieren. Mit Rechenmonstern wie „Houdini“ oder „Rybka“ dringen sie dabei in ungeahnte Varianten-Tiefen vor, manchmal müssen sie die Bewertungen der Programme noch für das Denken eines menschlichen Gehirns uminterpretieren. Am Morgen zeigen sie dann dem ausgeruhten Chef ihre Ergebnisse. „Das Team macht einen fantastischen Job“, sagt Anand.

Bei solcher Präzisionsarbeit kaum verwunderlich, dass Anand und Carlsen sich bislang neutralisiert haben. Vermutlich werden Kleinigkeiten über Sieg und Niederlage entscheiden, sei es eine überraschende Neuerung oder ein grober Fehler zu fortgeschrittener Stunde.

Gegen kleine Psychotricks hingegen wirken beide immun. Dass Garry Kasparow, der Weltmeister von 1985 bis 2000, nach Chennai gekommen ist, hat bei Anand kaum mehr als ein Achselzucken ausgelöst. Kasparow macht keinen Hehl daraus, dass er zu Carlsen hält. Er soll sich vor der WM sogar als dessen Ratgeber ins Spiel gebracht haben. Doch Carlsen empfiehlt, „die Sache mit Kasparow nicht zu hoch zu hängen“. Er habe in Chennai noch nicht einmal mit ihm gesprochen. Und Anand stimmte zu, dass Mätzchen am Rand diesmal keine Rolle spielen: „Wie Magnus sagte, diese Weltmeisterschaft wird auf dem Brett entschieden.“

In langen Partien, vielleicht.

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