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Sport: Schach-WM: Immun gegen alle Tricks

Als der Traum von einem Matt für ihn zum 15. Mal in Folge geplatzt war, reichte Garry Kasparow seinem Gegenüber die Hand.

Als der Traum von einem Matt für ihn zum 15. Mal in Folge geplatzt war, reichte Garry Kasparow seinem Gegenüber die Hand. Im Gesicht des damit entthronten Schach-Champions erkannte der "Times"-Reporter ein "gequältes Lächeln", während Wladimir Kramnik, der neue Weltmeister, die Arme empor streckte, als habe er gerade das entscheidende Tor in einem WM-Finale geschossen. Die 15. Partie der Braingames-Schach-Weltmeisterschaft in London, in der Kasparow zum ersten Mal in diesem Match mit seinem Damenbauern eröffnete (Katalanisch), endete nach 38 Zügen und fast vierstündiger Spielzeit remis. Kramnik, dem nun umgerechnet etwa drei Millionen Mark des Preisgeldes zustehen, führt mit 8,5 : 6,5 Punkten und ist vor der bedeutungslos gewordenen letzten Runde nicht mehr einzuholen.

Der 25-jährige Russe gewann die zweite und die zehnte Partie, sein ehemaliger Lehrmeister, der zuvor leicht favorisiert war, blieb hingegen sieglos. Kasparow, 13. Weltmeister der Schachgeschichte, bezeichnete diesen ohne den Weltverband Fide durchgeführten Wettkampf als "die wirkliche Weltmeisterschaft" und Kramnik als den "14. Weltmeister". Ob es nun womöglich zu einem Vereinigungsmatch mit dem im Dezember feststehenden neuen Fide-Champion kommen wird, ließ Kramnik offen: "Ich warte, bis Braingames etwas ausgearbeitet hat."

Mit dem Sieg verbannte der Weltranglisten-Zweite zugleich sein Image als schlampiges Genie. In der Vergangenheit hatte Kramnik einige Wettkämpfe gegen Großmeister verloren (Kamsky, Gelfand und Shirov), denen er im Grunde überlegen war. Diesmal bereitete sich der 1,95 Meter große Moskauer ein halbes Jahr gründlich vor, trainierte etliche Kilogramm ab und wirkte immun gegen sämtliche Züge und psychologischen Tricks Kasparows. Kramnik wartete zudem mit Eröffnungen auf, die man bei ihm noch nie gesehen hatte. Vor allem erwies sich die Berliner Verteidigung in der spanischen Partie als eine überraschend gute Wahl. "Kramnik traf einige kühne Entscheidungen, und meine gesamte Eröffnungsvorbereitung war erledigt", sagte Kasparow. Er sei nicht auf dem Schachbrett, sondern in der Vorbereitung ausgespielt worden. "Nach der achten Partie musste ich jeden Tag zehn Stunden arbeiten, um mein Eröffnungsrepertoire wieder aufzubauen."

Ob ihn, wie zwischenzeitlich angedeutet, private Sorgen aus der Balance gebracht haben könnten - etwa der Streit mit seiner ersten Ehefrau um das Sorgerecht der siebenjährigen Tochter -, wird Kasparow vermutlich auf der abschließenden Pressekonferenz am Sonntag erläutern. Mit seiner Niederlage endete eine 15-jährige Erfolgsgeschichte: Kasparows Name erschien bereits am 1. Januar 1984 an erster Stelle der Weltrangliste. Im gleichen Jahr forderte er den damaligen Weltmeister Anatoli Karpow heraus. Beide saßen sich fünf Monate lang in 48 Partien gegenüber; dann wurde der Wettkampf aus nie ganz geklärten Gründen abgebrochen. Ein Jahr danach eroberte Kasparow mit einem 13:11-Erfolg den WM-Titel. In den darauf folgenden fünf Jahren versuchte sich Karpow dreimal als Herausforderer, scheiterte aber jeweils knapp.

Garry Kasparow stammt aus Baku in Aserbaidschan, siedelte 1990 fluchtartig nach Moskau um und nahm die russische Staatsbürgerschaft an. Drei Jahre später kehrte er dem Weltschachbund Fide den Rücken und gründete einen eigenen Verband. Allerdings waren ihm bei diesen so genannten PCA-Weltmeisterschaften seine Finalgegner, Nigel Short (1993) und Viswanathan Anand (1995), nicht gewachsen. Die erste Wettkampfniederlage musste der charismatische Champion im Mai 1997 hinnehmen: Er unterlag in einem Mini-Match überraschend dem IBM-Computer "Deep Blue", der pro Sekunde über 200 Millionen Stellungen prüfte. Kasparows Wunsch nach einer Revanche blieb damals unerfüllt. Auch aus seinem Interesse an einem Rückkampf gegen Kramnik machte er am Donnerstagabend kein Hehl.

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