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© AFP

Schach-WM: Kramnik vergisst seine Idee

Den Titel als Weltmeister wird Wladimir Kramnik am Samstag womöglich verlieren, seine geniale Intuition ist ihm in den vergangenen Tagen abhanden gekommen. Bessere Chancen hat der Inder Anand.

Berlin - Immerhin scheint der Russe bei der Schach-WM in Mexiko- Stadt seinen Humor wiedergefunden zu haben, obwohl er in der zehnten Runde gegen den führenden Viswanathan Anand nicht über ein Remis hinauskam. Als am Ende der Pressekonferenz gefragt wurde, ob Kramnik jenes hübsche Damenopfer gesehen habe, wenn er im 29. Zug unvorsichtig einen Bauern geschlagen hätte, log der Weltmeister zur allgemeinen Erheiterung: „Nein, das habe ich nicht gesehen.“ Da musste auch Anand lachen.

Natürlich hatte Kramnik das simple dreizügige Matt gleich gesehen, als Anand seinen Springer aufs Feld f4 schob. Es war der erste kritische Moment einer laut Anand „aufregenden Partie“, die beide hinterher noch lange gemeinsam analysierten. Bis zum 27. Zug hatten sie fast tempogleich gezogen; offenbar waren alle überraschenden Wendungen vorbereitet gewesen. Nach dem Springerzug wurde klar, dass Anand, obwohl materiell leicht in Nachteil, etwas tiefer vorbereitet war. „Als ich diesen Trick gefunden hatte, war ich sehr zufrieden“, sagte er. Tatsächlich kontrollierte Anand dank seines „Monsterspringers“ Kramniks Schwerfiguren zuverlässig (siehe Analyse).

Mit diesem halben Punkt ist Anand vier Runden vor Ende des Turniers dem WM-Titel näher gekommen. Während der Inder mit 6,5 Punkten seinen Vorsprung gegenüber dem Zweitplatzierten Boris Gelfand (5,5 Punkte) behauptete, sind Kramniks Chancen weiter gesunken. Er hat nur 5 Punkte (ebenso wie Peter Leko und Levon Aronjan) und befindet sich offensichtlich nicht in Bestform.

Besonders gegen Alexander Morosewitsch in Runde neun hatte Kramnik nicht wie Kramnik gespielt: Erst ein hastiger Bauernvorstoß, dann ein skurriles Turmmanöver – das war zu viel. Morosewitsch widerlegte den untypischen Leichtsinn des Weltmeisters gekonnt, und dieser erklärte nach seiner Niederlage, er sei „überoptimistisch“ gewesen. Auch nach der Partie gegen Anand sagte Kramnik, er sei wieder „ein wenig überoptimistisch“ gewesen. Anderseits hatte er sich auch einige Züge ausgedacht, etwa den kleinen Sidestep mit dem Turm von f1 nach e1 – ein Bauernopfer, das dem Gegner Angst einjagte. „Das habe ich nicht gesehen“, gab Anand hinterher zu. Doch schon zwei Züge später übersah Kramnik die Chance, einen wichtigen Bauern zurückzugewinnen. „Ich hatte plötzlich die eigentliche Idee vergessen.“ Martin Breutigam

Kramnik - Anand (10. WM-Runde) Remis

1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sf3 Sf6 4.Sc3 e6 (Damengambit, halbslawisches System) 5.Lg5 h6 6.Lh4 dxc4 7.e4 g5 8.Lg3 b5 9.Le2 Lb7 10.0-0 Sbd7 11.Se5 Lg7 12.Sxd7 Sxd7 13.Ld6 (Anand besitzt zwar einen Mehrbauern, aber noch keinen sicheren Platz für den König; obendrein ist seine Bauernstruktur anfällig.) 13...a6 14.Lh5 Lf8 15.Lxf8 Txf8 16.e5 Db6 17.b3 0-0-0 18.bxc4 Sxe5 19.c5 Da5 20.Se4 Db4 21.Sd6+ Txd6! (Anand: „Als wir dieses Qualitätsopfer entdeckten, war ich sehr zufrieden, Schwarz besitzt sehr gute Kompensation mit zwei Bauern.“) 22.cxd6 Sd7! (Der Springer strebt zu seinem zentralen Bestimmungsort d5.) 23.a4 Dxd6 24.Lf3 Sb6 25.axb5 cxb5 26.Lxb7+ Kxb7 27.Dh5 Sd5 28.Dxh6 Sf4! 29.Kh1! (Kramnik droht jetzt 30.Dxg5. Aber bloß nicht 29.Dxg5??, wegen 29...Se2+ 30.Kh1 Dxh2+! 31.Kxh2 Th8+ und matt.) 29...Dd5 30.f3 Td8 31.Dg7 Td7 32.Df8! Se2?! (Im Nachhinein gefiel Anand 32.Dd6 besser.) 33.Tfe1! (Um den Springer auf die d-Linie zu locken und dort zu fesseln.) 33...Sxd4 34.Ted1 e5 35.Tac1? (Stärker war aber 35.Dh6! De6 36.Dxg5; was Anand als „ziemlich unangenehm“ empfunden hätte, weil der weiße h-Bauer vermutlich leichter vorrücken könnte als die schwarzen Freibauern am Damenflügel.) 35...Dd6 36.Dg8 f6 37.Tc8 a5 38.h3 a4 39.De8 Kb6 40.Tb8+ Ka5 41.Ta8+ remis (Denn beide Spieler sahen kein Fortkommen mehr; Anand hatte die Folge 41...Kb6 42.Dc8 Tb7 43.De8 Td7 im Sinn.)

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